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Politik Internetportal zum Schutz von Kommunalpolitikern: Haldensleber berichten von Bedrohungen und Beleidigungen

Immer öfter werden Kommunalpolitiker laut einer Forsa-Umfrage beleidigt oder gar bedroht. Dafür gibt es das Internetportal „Stark im Amt“, das Hilfestellungen geben soll. Landtagskandidat Tim Teßmann (CDU), Haldenslebens vorläufig suspendierte Bürgermeisterin Regina Blenkle (FUWG) und Stadträtin Katharina Zacharias (SPD) berichten über ihre Erfahrungen.

Von Juliane Just Aktualisiert: 04.08.2021, 13:51
Von Tim Teßmann (CDU) wurden im Vorfeld der Landtagswahl mehrere Plakate mit Bedrohungen beschmiert. Auch beim sozialen Netzwerk Facebook wurde der 31-Jährige beleidigt.
Von Tim Teßmann (CDU) wurden im Vorfeld der Landtagswahl mehrere Plakate mit Bedrohungen beschmiert. Auch beim sozialen Netzwerk Facebook wurde der 31-Jährige beleidigt. Foto: Tim Teßmann

Haldensleben - „Man fühlt sich ein Stück weit ohnmächtig“, sagt Katharina Zacharias. Die 31-Jährige SPD-Stadträtin erhielt 2020 Morddrohungen. Zuerst fand sie eine Zeichnung in ihrem Briefkasten, auf dem ein Strichmännchen am Galgenstrick baumelt. Daraufhin brachte der AfD-Stadtrat Wolfgang Rehfeld beim sozialen Netzwerk Facebook eine Steinigung für die SPD-Politikerin ins Spiel. „Es ist surreal, wenn einem das zum ersten Mal passiert. Bei den Politikern im Bundestag kennt man das, aber in Haldensleben ist der Rahmen ja viel kleiner“, sagt sie.

Wie Zacharias erleben viele Politiker regelmäßig, dass ihnen auf kleiner kommunaler Ebene der Hass entgegenschlägt. Mehrere Studien offenbaren, dass immer mehr Kommunalpolitiker beleidigt oder bedroht werden. Deshalb wurde das Internetportal „Stark im Amt“ gegründet, das Hilfestellungen für Betroffene bietet. Es soll Bürgermeistern, Landräten und Ratsmitgliedern Ratschläge geben, um mit Beleidigungen und Bedrohungen umzugehen.

Katharina Zacharias hätte dieses Portal genutzt, dass zur Zeit der Morddrohungen gegen sie jedoch noch nicht existierte. Es sei wichtig, dass Mandatsträger von dieser Möglichkeit wissen. „Kommunalpolitik ist so vielschichtig wie unsere Gesellschaft. Gerade in kleineren Gemeinden kann die Stimmung schnell kippen“, sagt sie.

Suspendierte Bürgermeisterin Blenkle wurde mehrmals bedroht

Eine weitere Politikerin, die sich nach eigenen Angaben bei dem Portal Hilfe gesucht hätte, ist Haldenslebens suspendierte Bürgermeisterin Regina Blenkle. „Es ist eine Zumutung, was ich hier ertragen musste“, sagt sie rückblickend. Beleidigungen und Bedrohungen gipfelten darin, dass sie mehrmals tote Ratten und Mäuse an der Tür ihres Privathauses auffand. Blenkle war seit Beginn ihrer Amtszeit im Juli 2015 eine umstrittene Politikerin. Im Februar 2017 wurde sie vom Haldensleber Stadtrat vorläufig suspendiert. Die Drohungen gingen weiter.

Erst im Dezember 2020 drapierten Fremde mehrere tote Mäuse vor ihrer Haustür. Ein totes Tier wurde mit einem Bindfaden an den Türknauf gehangen. „Ich bin kein ängstlicher Mensch, aber das ging mitunter weit unter die Gürtellinie“, erinnert sie sich.

Forsa-Studie: Einige Bürgermeister denken über Wegzug nach

Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung zeigt, dass Blenkle nicht das einzige Stadtoberhaupt mit solchen Problemen ist. Demnach wurden 57 Prozent der Bürgermeister schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen. Mehr als zwei Drittel gaben demnach an, dass sie ihr Verhalten aus Angst vor Angriffen und Beleidigungen geändert hätten. Ein Fünftel der Bürgermeister hat aus Sorge um die eigene Sicherheit oder die der Familie schon über einen Rückzug aus der Politik nachgedacht. Einige davon denken nach der Amtsniederlegung aufgrund der hohen persönlichen Belastung über einen Wegzug aus dem jeweiligen Gebiet nach.

Regina Blenkle kann das nach ihren Erlebnissen gut nachvollziehen. „Ich weiß nicht mehr, ob das noch meine Heimatstadt ist. Würden Sie hier noch leben wollen?“, fragt sie. Jedes Mal habe sie Anzeige erstattet, herausgekommen sei nie etwas. Sie spricht von Zerstörungen von privatem Vermögen wie Fahrzeugen, privaten Beleidigungen und öffentlichen Hetzaktionen in sozialen Netzwerken.

Beschimpfungen in den sozialen Netzwerken

Im Internet wurde sie als „geistig beschränkt“, „Monster“ und „Führerin“ beschimpft. Eine Fotomontage zeigte Blenkle als Frau des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Auch dagegen habe sie sich gewehrt, doch im Internet scheint der Kampf noch aussichtsloser. „Dort findet man die Täter nur selten. Sie müssen keine Verantwortung für ihr Tun übernehmen“, so Blenkle.

Dass das jedoch auch anders geht, hat Landtagskandidat Tim Teßmann (CDU) gezeigt. Nach mehreren Beleidigungen im Netz schrieb er die Nutzer an und bot ihnen ein persönliches Treffen an. „Die meisten denken, als Politiker ist man automatisch korrupt. Das kann man in einem Vier-Augen-Gespräch klären“, ist sich der 31-Jährige sicher.

Angriffe auf Politiker haben sich verdoppelt

„Gegenwehr ist bitternötig“, betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei dem Start des Portals. Die registrierten Angriffe auf Amts- und Mandatsträger hätten sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. Wenn Politiker bedroht würden, gerieten Debatten und Entscheidungen in eine Schieflage.

Als im Vorfeld der Landtagswahl im Mai 2021 Plakate von Tim Teßmann mit de Parole „Wir kriegen euch!“ beschmiert wurden, sei das ein „unschönes Gefühl“ gewesen, sagt er. Bei Vor-Ort-Terminen bemerke er aber auch, dass sich der Unmut selten gegen ihn persönlich richtet. „Oft bekommt man die Unzufriedenheit der Bürger direkt ab. Dabei handelt es sich jedoch oft um Entscheidungen, die man selbst gar nicht beeinflussen kann“, sagt er.

Der Facebook-Kommentar von Wolfgang Rehfeld (AfD) zu den Morddrohungen gegen Katharina Zacharias (SPD).
Der Facebook-Kommentar von Wolfgang Rehfeld (AfD) zu den Morddrohungen gegen Katharina Zacharias (SPD).
Screenshot: Facebook
Unbekannte haben Haldenslebens suspendierter Bürgermeisterin Regina Blenkle 2020 tote Mäuse an die Tür gehängt.
Unbekannte haben Haldenslebens suspendierter Bürgermeisterin Regina Blenkle 2020 tote Mäuse an die Tür gehängt.
Screenshot: Facebook