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Wolfangriff Kalb auf Wiese bei Piplockenburg getötet

Anscheinend hat der Wolf in Piplockenburg zugeschlagen. Die Meinungen von Landwirt und Wolfsexperte gehen aber auseinander.

Von Anett Roisch 13.12.2016, 00:01

Piplockenburg/Mannhausen l „Wieder ist ein Kalb tot. Weil ich mir keinen Rat wusste, hatte ich den Wolfsbeauftragten Andreas Berbig angerufen. Eine Probe konnte Berbig angeblich nicht nehmen, weil inzwischen einige Tage vergangen sind“, sagte Landwirt Jürgen Germer und zeigte auf das tote 14 Tage alte Kälbchen, dem ein großes Fleischstück am Hinterbein fehlt.

Andreas Berbig von der Referenzstelle Wolfsschutz des Landes Sachsen-Anhalt und Mitarbeiter des Naturparks Drömling sahen sich das tote Kalb an. Berbig erklärte: „Wichtig ist, dass wir sofort Bescheid bekommen. Dann können wir gucken, was es für frische Fraßspuren gibt. Dann nehmen wir auch genetische Proben. Wir versuchen, 24 Stunden nach dem Feststellen des Vorfalls vor Ort zu sein. Das war in diesem Fall nicht möglich. Wir konnten keine typischen Bissspuren erkennen.“ Andererseits könne Berbig einen Wolf nicht ausschließen.

Der 67-jährige Diplom-Landwirt Germer ist bereits sein ganzes Leben in der Landwirtschaft und seit der Wende mit eigenem Betrieb auf 450 Hektar naturnah in der Muttertierhaltung tätig. Erst vor zwei Wochen war ein Kalb aus der Mutterkuhherde verschwunden. Als Germer es fand, war auch dieses Tier halb aufgefressen. Ein paar Tage später entdeckte Germer dann das abgenagte Gerippe und hielt es fotografisch fest. In den letzten drei Jahren sollen es – nach Germers Ausführungen – insgesamt 14 Kälber gewesen sein, die er als Verlust registrierte. Bei einem Wert von etwa 800 Euro pro Kalb (Absetzer) wären das etwa 11 200 Euro, die Germer bei dem Verkauf der Tiere bekommen hätte.

„Es heißt, wenn es ein Wolf war, dann müssen Sie es nachweisen, aber das kann ich nicht. Im Drömling ist ringsherum Buschwerk, da verschwinden die Wölfe mit samt ihrer Beute. Ich selbst habe im Drömling drei Mal Wölfe in der Nähe meiner Kuhherde gesehen“, sagte der Piplockenburger. Und auch ein Busfahrer habe ihm erzählt, dass er einen Wolf am Allerkanal sah. Ein Jäger aus Mannhausen habe ihm berichtet, dass er einen Wolf in seiner Herde beobachtet hat.

„Ich war immer der Meinung, dass man bei den toten Tieren die DNA des Wolfes feststellen kann, aber man hat die Knochen nicht mitgenommen. Vom Wolfsbeauftragten habe ich eine Broschüre bekommen“, sagte Germer. Darin sei beschrieben, wie die Schaf- und Ziegenhalter ihre Tiere schützen, indem sie die entsprechenden Zäune aufbauen. „Aber die Flächen, die wir für unsere Rinderherden haben, sind viel größer. Ich kann nicht fünf mal Draht mit Strom und Maschendraht bis in die Erde legen bei einer Fläche von 30 Hektar Grünland. Und wenn das Gras abgefressen ist, dann müssen wir die nächste Wiese einzäunen. Das kann ja keiner bezahlen. Dann kann ich die Rinderhaltung aufgeben“, gab der Landwirt zu bedenken.

Es soll Entschädigungen bei Wolfsschäden geben. „Aber in der Broschüre steht, dass das für Rinderhalter nicht zutrifft. Heißt das, dass der Zaunbau für Rinderhalter nicht finanziell bezuschusst wird oder dass die Entschädigung bei Rinderhalter nicht zutrifft?“, fragte Germer und betonte: „Ich habe noch keinen Cent Entschädigung bekommen.“ Wegen der Größe des Areals bei der Rinderhaltung sei ein wolfssicherer Zaun nicht geeignet. Nutzen und Aufwand für den Zaunbau – ist auch nach Ansicht des Wolfsexperten – nicht gerechtfertigt. „Einen Schadensausgleich hingegen würde Germer bekommen, wenn an Hand der Umstände ein Wolf angenommen wird“, so Berbig.

Germers Idee ist es, sich nun mit anderen Landwirten zu treffen, um einen Überblick zu bekommen, wie hoch die Schäden bei den anderen Landwirtschaftsbetrieben sind. „Es wird in Frage gestellt, dass es ein Wolf war. So viele wildernde Hunde kann es gar nicht geben. Es sind auch keine Füchse, Dachse oder Marder. Das sind Wölfe. Diese hohen Verluste haben wir ja erst seit drei Jahren“, sagte Germer. Gut kann sich der Drömlingsbauer noch an den 10. Juli diesen Jahres erinnern. Gemeinsam mit seinem 13-jährigen Enkel Jonathan war er zur Mittagszeit auf der Wiese, als vier Kühe seiner Herde mit gesenkten Köpfen auf einen Wolf losgingen und ihn so verjagten. „Der Wolf ist aber schlau. Er sucht Kälber, die allein im Gras liegen“, weiß Germer.

„Die Anzahl der Wölfe hat sehr zugenommen. Man muss eine gerechte Regelung finden, die uns Tierhalter auch in die Lage versetzt, den Verlust ausgleichen zu können. Wenn die Menschen den Naturschutz und die Wölfe möchten, die wir 150 Jahre lang nicht hatten, dann muss auch die gesamte Gesellschaft diejenigen, die im Drömling wohnen und arbeiten, für die Verluste entschädigen“, so der Landwirt. Er gestand, dass die Wölfe die Existenz seines Unternehmens bedrohen. „Das kann so auf keinen Fall weiter gehen. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Wölfe, aber die aggressiven müssen selektiv beseitigt werden. Der Wolf vermehrt sich ja jedes Jahr. Der Wolf braucht Fleisch, da er ja kein Pflanzenfresser ist“, gab Germer zu bedenken. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf dreht Germer manchmal drei Mal am Tag seine Runden, um nach dem Rechten zu sehen. „Die Kälbchen sind gefährdet. Das eine ist gerade mal eine Woche alt. Aber ich kann ja nicht immer da sein. Und wie soll ich denn so eine große Fläche sichern?“, sagte Germer und legte kopfschüttelnd die Broschüre beiseite.

„Für den Drömling selbst ist noch kein Rudel nachgewiesen worden. Das nächste Wolfsrudel ist in der Colbitz-Letzlinger Heide und nördlich in den Sichauer Bergen. Das schließt aber nicht aus, dass Wölfe durch den Drömling durchziehen“, erklärte der Wolfsexperte. Außerdem haben Wölfe einen großen Aktionsradius. Etwa 20 Kilometer könne ein Wolf in der Nacht unterwegs sein. Berbig wies darauf hin, dass es durch Monitorings aussagefähige und verlässliche Fachdaten zu den Wolfsvorkommen gibt. Die natürliche Wiederausbreitung des Wolfes habe zu einer weiteren Erhöhung der Zahl der in Sachsen-Anhalt lebenden Wolfsrudel und Wolfspaare geführt. Neu hinzugekommen seien die Rudel bei Möckern und Parchen im Landkreis Jerichower Land sowie in der Klietzer Heide im Landkreis Stendal. „Außerdem konnte in einigen anderen Wolfsterritorien, die bislang von Wolfspaaren besiedelt wurden, erstmals die Aufzucht von Welpen und damit die Bildung von Rudeln nachgewiesen werden“, so Berbig. Gegenwärtig gäbe es damit in Sachsen-Anhalt ein Wolfspaar sowie zwölf Wolfsrudel. Einige davon leben grenzübergreifend zu Nachbarbundesländern. „Das gesamte Verbreitungsgebiet des Wolfes in Sachsen-Anhalt hat sich damit nicht erweitert. Vielmehr fand eine Verdichtung der bekannten Vorkommen innerhalb des Verbreitungsgebietes statt“, so der Experte. Eine aktuelle Karte zu den Wolfsvorkommen gibt es auf der Internetseite des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt.

Infos gibt es bei Berbig, unter Tel. 039321/518 32, per Mail andreas.berbig@mittelelbe.mule.sachsen-anhalt.de. Bei vermutlichen Wolfsschäden ist er per Handy 0162/313 39 49 zu erreichen.