Technik Letzte Traktor-Fahrt geht ins Museum
Der Trecker der Arbeitsgemeinschaft "Kfz-Technik" der ehemaligen POS "Karl Liebknecht" Haldensleben kommt nun in ein Museum.
Haldensleben/Magdeburg l Auch wenn die Tränen nicht rollen, feuchte Augen hat Peter Golomb schon. Zum letzten Mal sitzt er hinterm Lenkrad des kleinen blauen Traktors, der ihn seit den 70er Jahren. „Mein schöner Trecker. Es tut mir in der Seele weh“ sagt er und streichelt noch einmal über das Gefährt. Das bekommt nun einen neuen Besitzer – das Technikmuseum Magdeburg.
Ursprünglich als Dieselameise erblickte die Zugmaschine das Licht der Welt. Dass sie heute als fahrbares Ausstellungsstück im Museum landet, ist der Verdienst hunderter Schüler. „1975 habe ich an der damaligen Polytechnischen Oberschule ,Karl Liebknecht‘ die Arbeitsgemeinschaft ,Kfz-Technik‘ gegründet“, blickt Peter Golomb zurück. Interessierten Jugendlichen das Schrauben am „lebenden Objekt“ beizubringen und sie das Technikverständnis zu lehren, hatte sich der Lehrer vorgenommen. „Mit einem Kart-Wagen haben wir begonnen“, so Golomb weiter.
1976 wurde die Dieselameise gekauft – „für 300 Ostmark“, erinnert sich der ehemalige Lehrer noch gut. Zwei Jahre später begann der Umbau zum Traktor. „Wir sind damals beim Kreisbetrieb für Landtechnik in Althaldensleben untergekommen, später hatten wir unsere Werkstatt in Süplingen.“ Seit 1982 tuckerte der Trecker über Haldenslebens Straßen – ganz offiziell mit einer Zulassung. Sogar eine Auszeichnung hat er damals bekommen – bei der „Messe der Meister von Morgen“.
Beliebt war der kleine Kraftprotz auch bei den ganz jungen Haldenslebern. „Ich habe mit dem Traktor auch Kinder im Anhänger chauffiert, beispielsweise am Kindertag. So kam ein bisschen Geld in die Kasse, für Sprit und Ersatzteile. Später waren solche Fahrten aber verboten“, erinnert sich Golomb noch gut daran, dass er einmal mit einer „Kinderfuhre“ von der Polizei angehalten und ihm die Weiterfahrt untersagt wurde. „Seitdem habe ich es dann gelassen.“
Doch immer habe es am Traktor etwas zu schrauben und zu reparieren gegeben, und mit Feuereifer seien sowohl Jungen als auch Mädchen bei der Sache gewesen, erzählt Peter Golomb. „Die meisten Ersatzteile haben wir vom Schrott geholt oder selbst gebaut – wir hatten ja nichts“, ist er noch heute stolz auf den Enthusiasmus seiner damals jungen Mitstreiter.
Selbst ein Räumschild hatten die AG-Mitglieder zu DDR-Zeiten gebaut, genauso wie die entsprechende Aufhängung. Und sogar in den Ferien hätten sich die jungen Technikfreunde getroffen und ihren Trecker gehegt und gepflegt.
Die Arbeitsgemeinschaft hat die Wende überlebt, Peter Golomb hat sie mit hinüber in die bundesdeutsche Zeit gerettet. „So lange ich Lehrer war, lief die AG. Ich habe die Jungen und Mädchen ja jeden Tag in der Schule gesehen. Da war es leicht für mich, sie an die AG zu erinnern.“
Doch seit er vor einigen Jahren in den Ruhestand ging, sei es immer schwerer geworden, die Arbeitsgemeinschaft am Leben zu erhalten. „Das Interesse der Jugendlichen ist heute einfach nicht mehr da. Selbst das Mopedfahren lockt sie nicht mehr“, bedauert er. Deshalb hat er die AG im vergangenen Jahr aufgegeben.
Den blauen Trecker aber, den wollte er unter keinen Umständen verkaufen. „Interessenten gab es, auch aus der Landwirtschaft. 2500 Euro war das höchste Gebot. Doch zum einen möchte ich mich nicht daran bereichern und zum anderen ist das Fahrzeug nicht voll funktionstüchtig für die Landwirtschaft. Es hat beispielsweise keine Differenzialsperre. Wenn der neue Besitzer deshalb den Trecker nicht nutzen könnte, wäre er vielleicht verschrottet worden. Das wollte ich auf keinen Fall zulassen“, erklärt er, weshalb er den Kontakt zum Technikmuseum Magdeburg gesucht hat.
Gerhard Unger, der Vorsitzende des Vereins „Kuratorium Industriekultur in der Region Magdeburg“, in dessen Trägerschaft sich das Museum befindet, ist begeistert von dem Gefährt. „Das Interessante für uns ist, dass es mit Kindern und Jugendlichen gebaut wurde“, hebt er den besonderen Stellenwert hervor. „Auch wir wollen damit junge Leute, in erster Linie Studenten, begeistern. Schließlich ist das Technikmuseum auch außerschulischer Lernort.“
Auch er und seine Mitstreiter versuchen, junge Leute an Technik heranzuführen. „Heutzutage setzen die Museen viel auf Visualisierung. Wir aber wollen nicht nur etwas zum Angucken, sondern auch zum Ausprobieren anbieten“, versichert Unger. Deshalb werde der blaue Trecker auch auf dem Museumsgelände seine Runden drehen.
Von Peter Golomb bekommt Unger eine kurze Einweisung zum Starten und zur Handhabung des Traktors. Sein Kollege Eberhard Pohl verlädt inzwischen die diversen Ersatzteile, die Golomb noch immer in seiner Garage aufbewahrt hat – Hauptschalter, Kopfdichtung, Auspuffdichtung und -aufhängung, Glühkerze und Spurstangen lädt Pohl in den Transporter.
Dann dreht Peter Golomb die Anlasserkurbel, mit einer dicken schwarzen Abgaswolke rumpelt der Trecker los und tuckert im Standgas vor sich hin. Zum letzten Mal setzt sich Golomb hinters Lenkrad und bugsiert seinen Liebling vorsichtig auf den Anhänger. „Ich räum‘ jetzt hier noch ein wenig auf“, sagt er leise und beendet so ein Kapitel Haldensleber Technikgeschichte.