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Todesmarsch Hundisburger gedenken Fremden

1945 zog ein Todesmarsch durch Hundisburg. Nun informiert eine Tafel über die dunkle Stunde Hundisburgs.

Von Juliane Just 15.05.2020, 01:01

Hundisburg l Es war im April 1945, als sich rund 200 halb verhungerte Gestalten in Häftlingskleidung und Holzschuhen durch Hundisburg zogen. Aus Richtung Rottmersleben kommend wollten sie nach Althaldensleben. Viele von ihnen mussten Holzkarren ziehen. Drei vor Schwäche zusammengebrochene Häftlinge wurden am Ortseingang, am „Stein“ und am „Kuhteich“ von der SS-Begleitmannschaft erschossen und liegen gelassen. Ihre Geschichte soll nun erzählt werden – wenn auch anonym.

Eine Informationstafel auf dem Friedhof berichtet nun über die Umstände im Jahr 1945. Es handelte sich bei den Personen um Gefangene aus dem ehemaligen Konzentrationslager Mittelbau-Dora im Südharz. Ab Ende 1944 näherten sich die alliierten Truppen und die SS ließ alle Konzentrationslager evakuieren. Vor allem geschah dies, um die Zeugen der unmenschlichen Lagerbedingungen und grausamen Morde wegzuschaffen. Wer zu fliehen versuchte oder vor Erschöpfung zusammenbrach, wurde erschossen. Diese unmenschlichen Fußmärsche werden auch Todesmärsche genannt.

„Wir dürfen nicht vergessen, zu erinnern“, sagt Otto Harms. Er ist Wahl-Hundisburger und gräbt sich seit vielen Jahren ehrenamtlich in die Geschichte des Ortes ein. Er hat die Informationstafel an dem Kriegsdenkmal auf dem Friedhof vor drei Jahren angeregt. Zwei der nicht identifizierten Ermordeten sind damals auf dem heute kommunalen Friedhof des Dorfes begraben worden. Die Pflege der Gräber gehörte zu DDR-Zeiten zum festen Pionierprogramm der Hundisburger Schule. 1968 wurde zudem ein Denkmal auf dem Friedhof errichtet, das der Hundisburger Bildhauer Karl Werner gestaltet hatte. Bis 1989 fanden dort am „Gedenktag der Opfer des Faschismus“ Veranstaltungen statt, die allerdings vorwiegend politisch geprägt waren und an denen die Hundisburger vermutlich deshalb irgendwann das Interesse verloren.

Doch das will Otto Harms nicht zulassen. „Das Denkmal sollte schon zwei Mal abgerissen werden. Man bricht mit der Geschichte“, so Otto Harms. Es sei sein Ziel, diese Denkmäler mit politischer Bedeutung zu erhalten – aber dann mit den notwendigen Informationen, die nötig sind. „Es gibt keine Aufzeichnungen über den Todesmarsch, der 1945 durch Hundisburg zog. Alles, worauf man sich stützen kann, sind Aussagen von Zeitzeugen“, erläutert der Hundisburger. Damit das Geschehene auch nicht in Vergessenheit geraten wird, wenn die letzten Zeitzeugen nicht mehr leben, hat der Hobbyhistoriker die Arbeit auf sich genommen und mit etlichen Hundisburgern Gespräche geführt. Er möchte Geschichten wie die des Todesmarsches in einem Buch festhalten. Dieses ist schon geschrieben und wird demnächst auch veröffentlicht.

Über die Geschehnisse am 12. April 1945 erfuhr er erschreckende Details, in vielen Köpfen ist der Todesmarsch bis heute präsent. In diesem Jahr hat er sich zum 75. Mal gejährt. Otto Harms hat die Hundisburger Ortschaftsräte darauf schon frühzeitig aufmerksam gemacht. So wurde eine Gedenkveranstaltung anberaumt, doch sie musste aufgrund der Corona-Pandemie und den Kontaktbeschränkungen ausfallen. „Auch das ist Geschichte und wir können es nicht ändern“, sagt Otto Harms. Die Gedenkveranstaltung soll 2021 nachgeholt werden.

Der Text auf der Informationstafel, die die Stadt Haldensleben für 700 Euro installiert hat, berücksichtigt neue Erkenntnisse aufgrund von Harms Recherchen des letzten Jahres. Das betrifft insbesondere das Datum. Zeitzeugen haben zunächst von dem 11. oder sogar 12. April über den Todesmarsch durch Hundisburg berichtet. „Doch bei der Rückverfolgung über Rottmersleben und Bornstedt nach Drackenstedt und erneuter Befragung der Zeitzeugen können nur die Mittagsstunden des 10. April in Frage kommen“, so Otto Harms. Der Marsch hat sich nach dem Massaker von Drackenstedt, bei dem über 50 Häftlinge erschossen wurden, in den Morgenstunden des 10. April in Richtung Bornstedt in Bewegung gesetzt und erreichte gegen Mittag Rottmersleben und Hundisburg.

Sicher ist nunmehr auch nach Aussagen von Teilnehmern am Todesmarsch aus Drackenstedt, dass die Häftlinge aus Stempeda, dem Lagerkomplex Mittelbau-Dora gekommen sind. Im Südharz bei Nordhausen wurden in diesen SS-Arbeitslagern Häftlinge interniert, die beim Ausbau und Betrieb der unterirdischen Rüstungsfabrik Mittelwerk GmbH eingesetzt waren.

Unbekannt war bislang auch, wer die beiden Erschossenen auf dem Friedhof begraben hat. Erst das im Herbst 2019 geführte Gespräch mit dem Enkel des 1945 von den Sowjets eingesetzten Bürgermeisters Paul Götzschel ergab, dass seine Großeltern die beiden Toten mit dem Handwagen zum Friedhof brachten und in Bettlaken gewickelt in weniger als einem Meter Tiefe begruben. Das habe ihm seine Großmutter Martha Götzschel an den Gräbern oft erzählt.

Nicht nur die Tafel an dem Denkmal ist nun errichtet worden, auch an dem Denkmal selbst haben Sanierungsarbeiten begonnen. Auch dieser Vorschlag kam von Otto Harms. Die Hundisburger Ortschaftsräte bewerteten die Idee von Otto Harms generell positiv und stimmten ihm vor allem in einer Angelegenheit zu: Das Denkmal auf dem Friedhof müsse nach mehr als 50 Jahren auf jeden Fall saniert werden.

„Wir sind Otto Harms sehr dankbar für sein Engagement“, sagt Ortsbürgermeister Nico Schmidt. Viele Hundisburger hätten gemischte Gefühle bezüglich des Denkmals, da es in der Geschichte oft politisch zweckentfremdet wurde. Das Vorhaben sei deswegen nicht unumstritten gewesen unter den Hundisburgern. „Es gehört aber zu unserer Geschichte dazu und wir müssen damit bewusst umgehen“, so Nico Schmidt.