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Land spart bei Behindertenhilfe Träger der Eingliederungshilfe in der Börde bangen um die Zukunft der Einrichtungen für Menschen mit Behinderung

Der Protest gegen Einsparungen in der Eingliederungshilfe in Sachsen-Anhalt geht weiter. Auch Trägern von Werk- und Wohnstätten für behinderte Menschen in Haldensleben stehen schwierige Zeiten bevor.

Von Vivian Hömke 09.12.2024, 13:13
Andy (l.) und Sascha leben in einer Wohngemeinschaft für geistig behinderte Menschen in Haldensleben. Ines Marggraf ist Mitarbeiterin der Lebenshilfe Ostfalen, Träger der Eingliederungshilfe.
Andy (l.) und Sascha leben in einer Wohngemeinschaft für geistig behinderte Menschen in Haldensleben. Ines Marggraf ist Mitarbeiterin der Lebenshilfe Ostfalen, Träger der Eingliederungshilfe. Foto: Vivian Hömke

Haldensleben. - Andy und Sascha leben zusammen mit sechs weiteren Mietern im Alter zwischen 30 und 66 Jahren in einer außergewöhnlichen Wohngemeinschaft in der Schützenstraße in Haldensleben. Das Ganze ist vor sechs Jahren als Modellprojekt gestartet: Jeder hat sein eigenes abschließbares Reich, die Küche wird von allen gemeinsam genutzt – eben wie in einer normalen WG. Das Besondere ist jedoch: Ein ambulanter Pflegedienst kommt regelmäßig und unterstützt die Bewohner, die alle eine geistige Behinderung haben, zum Beispiel bei der Körperpflege. Außerdem ist jemand vom Träger der Eingliederungshilfe vor Ort, wenn die Mieter zu Hause sind – auch an den Wochenenden. Nachts hat jemand vom Pflegedienst Bereitschaft.

Alle zwei Jahre kann die Mietergemeinschaft den Träger neu bestimmen. In diesem Fall ist es die Lebenshilfe Ostfalen. Fünf Betreuer in Voll- oder Teilzeit kümmern sich um die zum Teil mehrfach schwerstbehinderten Bewohner, versuchen aber gleichzeitig, ihnen trotz ihrer Einschränkungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Vormittags arbeiten Andy, Sascha und die anderen in der Regel in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, ebenfalls betreut von Mitarbeitern der Eingliederungshilfe. Der Betreuungsschlüssel liegt dort laut Nicole Olms, Verwaltungsleiterin der Lebenshilfe Ostfalen, bei eins zu zwölf.

Es könnte Jahre dauern

Aufgrund des vom Land gekündigten Rahmenvertrages zur Eingliederungshilfe und damit verbundenen Kürzungen beim Personalschlüssel bangen die Träger nun um die Zukunft ihrer integrativen Einrichtungen. Grund ist laut einem Bündnis der Liga der Freien Wohlfahrtspflege und der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Werkstätten für behinderte Menschen der vom Land vorgelegte Entwurf einer Rechtsverordnung, die dem Bündnis nach ab 2025 „drastische Kürzungen zu Lasten der Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen“ enthält. Es sei völlig unklar, auf welcher Leistungs- und Vergütungsbasis die Hilfen ab Januar 2025 erbracht werden sollen. „Eine bedarfsgerechte Versorgung wird so nahezu unmöglich“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Worum geht es?

  • Die Landesregierung hat zum 1. Januar25 den Rahmenvertrag zur Eingliederungshilfe gekündigt. Der Landesrahmenvertrag regelt die Leistungen und Vergütungen, die von den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen erbracht werden.
  • Begründet wird die Kündigung damit, dass die Ziele des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und der UN-Behindertenrechtskonvention bei einer Neuverhandlung des Vertrages besser umgesetzt werden können. Insbesondere sollen die Ambulantisierungsquote verbessert und die Vermittlungsquoten im Bereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderung erhöht werden.
  • Eine Rechtsverordnung soll den Rahmenvertrag zunächst ersetzen. Diese enthält jedoch empfindliche Personalkürzungen. Um sich bei den Landespolitikern Gehör zu verschaffen, plant ein Bündnis aus Werkstätten für behinderte Menschen, Wohneinrichtungen, Verbänden, ambulanten Assistenzangeboten, privaten Anbietern sozialer Dienste, integrativer Kitas und Frühförderstellen vom 10. bis 18. Dezember eine Mahnwache vor dem Landtag in Magdeburg. Am 10. Dezember findet ein Protestmarsch statt. Start ist um 11 Uhr auf dem Domplatz.

Tritt die Rechtsverordnung in Kraft, müssten auch in der WG in der Schützenstraße theoretisch ein bis zwei Stellen gestrichen werden, sagt Andreas Stahl. Er ist Leiter des familienunterstützenden Dienstes bei der Lebenshilfe Ostfalen in Haldensleben. Das wäre quasi das Aus für die WG. „Die Mitarbeiter sind 365 Tage im Jahr hier. Es wäre der Supergau, wenn dann zum Beispiel mal jemand krank ist“, sagt Andreas Stahl.

„Das Land erreicht damit genau das Gegenteil“, ergänzt Nicole Olms mit Fingerzeig auf die Gründe für die Kündigung des Landesrahmenvertrages. „Wir wollen den Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, aber dazu braucht es Personal“, betont die Verwaltungsleiterin.

Bis ein neuer Rahmenvertrag verhandelt worden ist, könnten Jahre vergehen, sagt Nicole Olms. Dass Einrichtungen der Lebenshilfe nun kurzfristig geschlossen werden, müssten Mitarbeiter und Bewohner dennoch nicht befürchten. „Wir sind ein relativ großer Träger und können das eine gewisse Zeit überbrücken. Aber es hat alles seine Grenzen“, erklärt Nicole Olms. „Wir wären schon zufrieden, wenn der Personalschlüssel so bleibt, wie er jetzt ist, bis eine Einigung gefunden ist“, sagt sie.