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Von Berlin aufs Land Ein Leben auf dem Bauernhof

Dass Caroline Nagel, die Großstadtpflanze, die das quirlige Leben in Berlin genießt, mal raus aufs Land zieht - niemals!

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 11.04.2019, 15:00

Schollene l Und nun lebt sie im 870-Seelendorf Schollene auf einem Bauernhof, füttert Kühe und fährt Traktor. Wieder tauschen? Niemals!

 

Sie steckt sich noch ein paar Mohrrüben in die Jackentasche, dann greift sie den grünen Eimer mit Weizen und läuft Richtung Weide. Caroline Nagel muss nicht lange rufen. Uschi, Elfriede, Gretchen, Pippa, Kira und all die anderen stehen längst am Zaun und warten! Den kleinen Leckerbissen zwischendurch wollen sie sich nicht entgehen lassen. Caroline Nagel hat auch eine große Nuckelflasche dabei. Die ist für Kitty. Das Anfang März geborene Zwillingsmädchen wurde von seiner Mama Kimi nicht angenommen – Caro ist die Ersatzmama. Dreimal am Tag gibt es zwei Liter Milch aus der Flasche, zwölf Wochen lang. Kitty hüpft ungestüm über die Weide, voller Vorfreude auf die Mahlzeit. Und die Streicheleinheiten. Die gibt es zur Genüge von Caro. Denn die 28-Jährige liebt die Herde der robusten Fleischrindrasse Fleckvieh-Simmental, die hinterm Haus auf der großen Weide an den Havel-Nebenarm „Lanke“ angrenzend grast. Jede einzelne Kuh kennt sie beim Namen, die in diesen Wochen geborenen Kälbchen dazu. Inzwischen ist fast der gesamte Nachwuchs 2019 auf der Welt – Bulle „Lemon Soup“ hatte im Sommer 2018 gute Arbeit geleistet.

Dass sie mal inmitten einer Herde Kühe steht, wäre für Caroline Nagel noch vor ein paar Jährchen undenkbar gewesen. Sie ist in Berlin aufgewachsen, hat BWL studiert und in einer großen Firma gearbeitet. Manchmal am Wochenende ging es raus aufs Land zu Tante Birgit Lewerenz und Familie nach Schollene. „Als Kind fand ich das spannend, als Jugendliche nicht mehr, da hab ich mich eher gelangweilt und war froh, wenn wir wieder abgereist sind.“

Doch 2012, da war Caroline Sydow gerade mal 21, wendet sich das Blatt. Sie begleitet die Verwandtschaft zum Schollener Feuerwehr-Jubiläum. Bekannte erzählen von Jörg, dem jungen Mann vom Bauernhof Nagel, zu dem sie doch soooo gut passen würde. Quatsch! Und doch unterhalten sich die beiden an dem Abend nett und Jörg lädt Caro ein, doch mal auf dem Hof vorbei zu schauen, „Kälbchen Elfriede ist gerade geboren“. Kälbchen? Caros Augen leuchten! Klar will sie das sehen. Noch am gleichen Tag stattet sie Elfriede einen Besuch ab – und verliebt sich nicht nur in das drollige Kälbchen, sondern auch in Jörg.

Dass sie eigentlich Angst vor den großen Kühen hat, ist schnell vergessen. Eigentlich wollte Caro einst sogar Tiermedizin studieren, aber weil sie dann auch Großtiere hätte behandeln müssen, entschied sie sich für BWL.

Immer öfter lässt die junge Frau am Freitagabend die Großstadt hinter sich, fährt die anderthalb Stunden raus aufs Land zu ihrem Jörg. Irgendwann will sie sonntags nicht mehr abreisen und entscheidet sich für ein Leben auf dem Bauernhof. Jörg macht ihr einen Antrag, am 1. Juli 2017 wird geheiratet. Klar, dass das Hochzeitsauto ein Traktor ist! Immerhin ein Fendt 1050 mit 500 PS, der größte Serientraktor! Wenn schon, denn schon!

Um ihre Herde kümmern sich Nagels, inzwischen vom elterlichen Hof in der Ortsmitte umgezogen in ein eigenes Heim am Ortsrand, vor und nach der Arbeit. Denn sie sind Landwirte „nur“ im Nebenerwerb. Hauptberuflich leitet Jörg Nagel die Agrargenossenschaft in Nennhausen, Caro arbeitet im Vertrieb einer mittelständischen Chemiefirma in Premnitz. Schon morgens bevor sie losfährt zur Arbeit, schaut sie auf der Weide vorbei. Jetzt muss ja auch Kitty versorgt werden. Und sobald sie nach acht Stunden Arbeit zurück auf dem Hof ist, zieht sie die Gummistiefel an und beginnt mit der zweiten Schicht. Im Frühling und Sommer ist noch mehr zu tun, als sich „nur“ um die recht pflegeleichten Rinder zu kümmern. Denn deren Futter und auch noch Getreide zum Verkauf wird auf 58 Hektarn Ackerland angebaut. Dazu dann noch die Wiesen für Gras für Silage und Heu – das Winterfutter. Klar, dass Caro auch Traktor fährt, das macht Spaß! Fernweh? Nein! „Ich habe doch jeden Tag Urlaub auf dem Bauernhof!“

Ohne diesen Spaß wäre all die Arbeit vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung auch nicht zu schaffen. An ihrer Freude mit dem Fleckvieh und auch an der zweijährgien Mischlingshündin Maya, die immer an ihrer Seite ist, lässt Caro die große weite Welt teilhaben. Sie hat einen Blogg auf Instagram, postet fast jeden Tag ein Bild oder eine kurze Videosequenz unter „Caros Bauernhofleben“, die Zahl der Follower ist auf 450 angewachsen. „Ich kann zeigen, wie das Leben auf dem Bauernhof wirklich ist.“ Und das ist nicht immer eitel Sonnenschein! „Auch wenn es regnet und kalt ist, muss die Arbeit erledigt werden. Manchmal, aber wirklich nur manchmal, würde ich mich nach der Arbeit einfach auch mal aufs Sofa vor den Fernseher setzen und nichts tun. Aber sobald ich dann draußen bin und die Kühe mich freudig erwarten, ist der Antrieb wieder da.“

Und das 365 Tage im Jahr! Fast jedenfalls. Caros Eltern aus Berlin kommen gern zu Besuch, packen mit zu. Auch die Nachbarn helfen mal. Ein, zwei kurze Trips übers Wochenende sind schon mal drin.

Das Fernweh plagt Caro nicht. „Ich hab doch jeden Tag ,Urlaub auf dem Bauernhof‘ – was will ich mehr? Andere bezahlen dafür viel Geld. Als Kind und Jugendliche war ich in London und Paris, habe Mittelmeerkreuzfahrten gemacht, war in Kanada und den USA und sogar zwei Mal auf Hawaii. Wenn ich jetzt mal nach Berlin fahre, um meine Familie zu besuchen und mich mit alten Freundinnen zu treffen, kann ich der Hektik des Großstadtlebens gar nichts mehr abgewinnen. Ich vermisse hier in Schollene nichts!“

Das liegt wohl auch daran, dass Caro und Jörg Nagel so gut ins Gemeindeleben integriert sind. Beide sind Mitglied der Feuerwehr, Caro leitet seit einem Jahr mit Unterstützung von Freundinnen die Kinderwehr. „Das ist eine schöne Abwechslung! Die Zeit nehmen wir uns gern, es macht Spaß, Kinder zu begeistern.“

Nach den etwas ruhigeren Wintermonaten ist nun wieder gut zu tun auf dem Bauernhof. Natürlich auch wegen dem Nachwuchs. Kitty soll wie alle anderen Kälbchen groß und stark werden. Zu den „Flaschenkindern“ hat Caro ein besonders Verhältnis. Und auch zu Elfriede – dem Kälbchen von einst, wegen dem überhaupt erst ihre Liebe für das Bauernhofleben entflammt ist ...