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Flut Geheilte Wunden und Erkenntnisse

"Was die Flut ins Stammbuch geschrieben hat" - darüber wurde jetzt wieder einmal in Fischbeck geredet.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 29.10.2019, 14:00

Elbe-Havel-Land l Weil nichts in Vergessenheit geraten soll, weil reden hilft, Wunden zu heilen und weil man aus der Katastrophe lernen will, finden immer mal wieder Flutveranstaltungen in Fischbeck statt. Am Montag hatte Landratskandidat Patrick Puhlmann eingeladen.

„Es macht betroffen, obwohl ich gar nicht betroffen war.“ Nur aus den Medien kennt Patrick Puhlmann (SPD) das, was am 10. Juni 2013 über das Elbe-Havel-Land hereingebrochen ist. Viel anschaulicher geworden ist ihm das am Montag, als er im Fischbecker Haus der Vereine von Betroffenen hörte, was sie erlebten. Das interessierte auch den Landtagsabgeordneten Holger Hövelmann (SPD), der die Einladung nach Fischbeck gern annahm. Nur zu gut konnte er nachvollziehen, was die Bewohner des Elbe-Havel-Landes erlebten. Denn 2002 war er Landrat in Anhalt-Zerbst und somit Leiter des Krisenstabes, als dort gegen die Fluten gekämpft werden musste.

Zunächst schilderte Bürgermeister Bodo Ladwig, wie er die Tage um den 10. Juni erlebte: „Am 8. Juni um 17 Uhr bei der Bürgerversammlung habe ich nach Rücksprache mit dem LHW voller Überzeugung gesagt, dass die Deiche sicher sind. Zwei Stunden später sah die Situation dann schon anders aus!“ Aus dem gerade mal 30 Zentimeter langen Riss auf dem Deich, der ihm da gezeigt wurde, entwickelte sich quasi bitten Minuten ein drei Meter langer Riss.“ Da begann die Rettungsaktion – letztlich vergeblich. Am 10. Juni, zwei Minuten nach Mitternacht, hielt der Deich den Wassermassen nicht mehr Stand. Als Beschäftigter der Agrargenossenschaft flüchtete sich der Bürgermeister zur Milchviehanlage, die etwas höher gelegen ist. Sieben Mann schafften es, die vom Wasser eingeschlossenen Tiere zu retten, „wir haben nicht ein Tier verloren!“

Ähnliches berichtete Ottmar Kapl, damals Geschäftsführer der Scharlibber Agrargenossenschaft. „Im Gegensatz zu Fischbeck hatten wir etwas Zeit, uns vorzubereiten. Wir Mitarbeiter sollten der Evakuierungsaufforderung folgen und die Anlage verlassen – hätten wir das getan, wären 8000 Schweine ersoffen.“ Zum diskutierten Thema Evakuierung sagte Ottmar Kapl, dass sich das weit weg am Schreibtisch schnell sagen lässt, „aber man muss die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen! Natürlich wussten wir nicht, ob es richtig ist, was wir da machen. Aber die Mitarbeiter wollten einfach nur die Tiere retten. Also haben wir uns mit Pumpen und Notstromaggregaten versorgt. Leider gab es keine offiziellen Höhenkarten, anhand denen wir schlauer gewesen wären, wie hoch das Wasser kommt. Glücklicherweise hat man uns dann doch einen Katastrophenzug geschickt. Gemeinsam haben wir es mit 28 Pumpen und drei Notstromaggregaten geschafft, die Anlage weitestgehend trocken zu halten und alle Tiere zu retten.“ Bei künftigen Katastrophen müsse man besser vorbereitet sein. Dem pflichtete Holger Hövelmann bei.„Man darf keine Angst vor Entscheidungen haben, auch wenn im Nachhinein betrachtet vielleicht zwei oder drei von zehn falsch sind. Und man muss sich auf die Menschen verlassen, die mehr wissen als man selbst."

Fakten zur Gesprächsrunde beisteuern konnte Bernd Witt, damals Bürgermeister der Verbandsgemeinde. „Theoretisch sieht alles einfach aus, die Umsetzung in der Praxis ist es meist nicht. Der Katastrophenschutz vor Ort muss zu 100 Prozent funktionieren und man muss auf alles vorbereitet sein – auch auf Sturm, Schneemassen, extremen Frost, Stromausfall. Deshalb ist es wichtig, alle Pläne stets auf dem Laufenden zu halten. Und jeder muss wissen, was zu tun und wer Ansprechpartner ist!“

Nach den Folgen befragt, berichtete Bodo Ladwig, dass um die 70 Prozent der Schäden in seiner Gemeinde beseitigt sind, im Außenbereich ist noch viel zu tun. 16 Häuser, das Gerätehaus in Fischbeck und der Bauhof in Wust mussten abgerissen und neu aufgebaut werden. Drei, vier Ältere sind nach der Flut nicht zurück gekommen. „Die Flut hat uns fester zusammengeschweißt!“ Holger Hövelmann bezeichnete die Solidarität, die ganz Deutschland mit dem Elbe-Havel-Land zeigte, als bemerkenswert, „das bleibt unserer Gesellschaft hoffentlich erhalten!“

Viele der Gäste konnten von eigenen Erfahrungen berichten, Bilder zeigen. So wie Klaus Ölmann aus Schönhausen, der das große Spendenlager im Gewerbegebiet leitete.

Nach drei Stunden bei Kaffee und von Fischbecker und Klietzer Frauen gebackenen Kuchen sowie Bratwurst war vieles erzählt, wurden Wünsche geäußert und Forderungen zum optimalen Katastrophenschutz ausgesprochen. Patrick Puhlmann machte im Schlusswort deutlich: „Beim Katastrophenschutz muss man als Landrat vom ersten Moment an 100 Prozent fit sein. Deshalb ist es mir so wichtig, die Lage der Betroffenen vor Ort zu verstehen. Dort werden die Schutz- und Rettungsmaßnahmen ja am Ende durchgeführt. Ich bin dankbar für die Offenheit, mit der wir heute einen Nachmittag lang über persönliche Erlebnisse sprechen konnten und auch die Dinge, die gut gelaufen sind und solche, die noch besser laufen müssen, zur Sprache kamen."