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Geschichte Die Schatzkammer des Museums

Die Corona-Zwangspause haben Mitarbeiterinnen des Havelberger Prignitz-Museums für wichtige Arbeit im Depot genutzt.

Von Andrea Schröder 07.06.2020, 11:01

Havelberg l Nutzen, Sammeln, Bewahren, Erschließen: Das sind die vier Säulen der Museumsarbeit. Während die erste mit Ausstellungen, Führungen und Museumspädagogik für Besucher erlebbar und sichtbar ist, finden die anderen eher im Verborgenen statt. Das Prignitz-Museum in Havelberg hat in seiner bald 116-jährigen Geschichte eine reiche Sammlung angelegt – von der Steinzeit bis zur Gegenwart, aus der Prignitz, dem Elb-Havel-Winkel und der umliegenden Region. In den Ausstellungsräumen im Obergeschoss der früheren Klosteranlage am Dom sind in der Siedlungs-, Dombau- und Stadtgeschichte viele Exponate zu entdecken. Doch gibt es weitaus mehr, das in einem gut gesicherten Depot aufbewahrt und, wenn es die Zeit erlaubt, weiter erschlossen wird.

Das Bewahren unter den richtigen klimatischen und räumlichen Verhältnissen, die das jeweilige Objekt benötigt, ist die eine Seite. Genauso wichtig ist die Geschichte des Objektes, erklärt Museumsleiterin Antje Reichel, als sie durch die 21 Räume des Depots führt. Seit einem guten Monat ist sie nur noch allein als Museologin in der in der Trägerschaft des Landkreises Stendal befindlichen Einrichtung tätig. Ihre langjährige Mitarbeiterin Sabine Ball ist aus persönlichen Gründen Ende April vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Ein Verlust für die Museumsarbeit. Antje Reichel hofft, dass die Stelle schnell neu besetzt werden kann, damit die Angebote des Museums nicht darunter leiden. Um all die Aufgaben bewältigen zu können, die außerdem anliegen, könnte sie noch mehr Personal an ihrer Seite haben. Allein für das Aufarbeiten der Karteien für die zig-tausenden Museumsobjekte und deren Digitalisierung.

Das ist ihr großes Ziel für die nächsten Jahre: Alles, was das Museum hat, in digitaler Form zu inventarisieren. Dann könnten bei virtuellen Museumsrundgängen auch die Dinge gezeigt werden, die jetzt im Depot liegen. Und es fiele leichter, Sonderausstellungen mit eigenen Exponaten thematisch zu gestalten. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Und allein ist es nicht zu schaffen. „Drei, vier Museologen hätten damit für Jahre zu tun.“ Antje Reichel ist froh, in der Corona-Zwangspause wenigstens ein kleines Stück weitergekommen zu sein mit den verborgenen Schätzen der Sammlung. Zudem haben sich die Mitarbeiterinnen Maria Zohm, Simone Techel und Dagmar Martins in der Schließzeit fleißig in der Bibliothek und im Archiv des Museum mit den Sammlungen beschäftigt. Zunächst möchte sie erstmal das Nummernchaos beseitigen.

Wie viele Exponate das Museum besitzt? „Wir haben 20.000 Inventarnummern vergeben. Sie sind der Schlüssel zum Objekt. Dahinter kann sich aber eine große Zahl verbergen. Zum Beispiel 750 Münzen oder 6000 Notgeldscheine.“ Sie kann von sich behaupten, in den über 30 Jahren, die sie im Museum arbeitet, jedes Stück mindestens einmal in der Hand gehabt zu haben. Und sie kennt jede Menge Geschichten dazu. Sie machen die Sammlung erst richtig interessant. „Das ist das Futter, mit dem wir arbeiten.“

Bevor die Geschichten in den Computer wandern können, muss der Nummernsalat behoben werden, der über ein Jahrhundert entstanden ist. Gelangt ein Objekt in das Museum, fertigen die Mitarbeiter einen Lieferbeleg an. Ein Foto kommt dazu und möglichst die Geschichte. Auf einer Karteikarte halten sie wichtige Informationen fest. So wie zum gerahmten Bild „Reise mit der Schnellpost“ aus der Zeit um 1840. Oder zur Armmarke des Feuerwehrmannes Bauer Benneckendorf, der der Schönfelder Feuerwehr angehörte. 1967 gelangte diese ins Museum.

„Wir bekommen oft Exponate geschenkt, die wenigstens werden gekauft. Die Leute bringen sie vorbei. Manchmal finden wir aber auch eine Plastiktüte am Eingang“, erzählt Antje Reichel. Dann geht es darum, mehr über das Objekt zu erfahren. Sie erinnert sich an eine sehr massive Truhe. „Als ich 1987 im Museum angefangen habe, hieß es nur, dass es eine Gerichtstruhe war. Irgendwann sprach ich mit der Havelbergerin Helga Brauer darüber, die im früheren Stadt- und Landgericht, in dem sich heute die Sparkasse befindet, gearbeitet hat. Die Truhe aus dem Jahr 1816 stammte tatsächlich von dort, musste bei der Auflösung des Gerichts aus dem Fenster bugsiert werden und kam 1980 ins Museum.“

Manchmal bekommt das Museum ganze Nachlässe geschenkt, wie die von der Enkelin des Museums-Mitbegründers Dr. Richard Hartwich. Von 1904 bis 1930 hatte der Sanitätsrat das Prignitz-Museum geleitet. Christa Riedel-Hartwich blieb dem Museum bis zu ihrem Tod 2015 als Förderin verbunden. Ihrer Sammlung ist ein extra Raum im Depot gewidmet. Auch die Ausstattung des Bäckers am Weinberg ist ins Museum gekommen und die des aufgelösten Havelberger Museums „Raule&Meer“. Oder auch die Ergebnisse von archäologischen Grabungen bei Fischbeck. Diverse Urnen zeugen von früheren Siedlungen.

Arbeits- und Haushaltsgeräte, Werkzeuge, Feuerwehr- und Vereinsutensilien, Möbel, Bilder, Geschirr, Uhren, Fernseher, Radios, auch der erste Museumscomputer, Fahnen, Kleidungsstücke, Kinderspielzeug, Schiffsmodelle, Bücher und vieles andere mehr lagern im Depot. Ebenso ein Wal-Wirbel. Er stammt aus der Stadtkirche und war dort ein Kuriosum. Er stand wohl für die biblische Jona-Geschichte. Aus vergleichsweise jüngerer Zeit stammt der Waffenständer der einstigen Stasi-Mitarbeiter Havelbergs.

Arbeit im Depot ist oftmals mit viel Schmutz verbunden. Exponate müssen gereinigt, geölt oder etwa mit Wurmschutzmittel behandelt werden. In einigen Fälle kommt ein Restaurator und nimmt sich der Stücke an. Wie demnächst einem sehr umfangreich erhaltenen Papiertheater, das Margit Pohland im Jahr 2013 dem Museum schenkte.

Größer wird demnächst die Sammlung von Kirchenstühlen. Zwei Frauen aus Berlin haben auf ihrem Dachboden zwei Stühle aus der Stadtkirche gefunden, die aus der Zeit vor 1854 stammen. In jenem Jahr hielten die Kirchenbänke Einzug.

Im Blick hat Antje Reichel auch immer die Provenienzforschung, mit der die Herkunft von Kunst- und Kulturgütern geklärt wird. Vor allem jener, die während der Zeit des Nationalsozialismus den rechtmäßigen Besitzern als Beutekunst entwendet worden sind. Auch deshalb ist es so wichtig, die Herkunft von Objekten zu kennen. „Wir bewahren Geschichte auf. Kommunen etwa haben ein Archiv mit viel Papier. Wir haben hier ein 3-D-Archiv.“