Havelrenaturierung Bäume müssen weichen

Um die hundert Bäume und Sträucher sind seit Anfang Januar 2019 entlang der alten Panzerstraße in Havelberg gefällt worden.

Von Andrea Schröder 08.03.2019, 00:01

Havelberg l Die Havelbergerin Helga Klemm ist sauer: Nicht nur, dass der Biber im Herbst 2018 sämtliche Apfelbäume aus ihrem Garten in der Weinbergstraße geholt hat – in den vergangenen Wochen sind etliche Bäume entlang der alten Panzerstraße von der Jederitzer Chaussee bis zum Weinberg der Säge zum Opfer gefallen. „Ich möchte wissen, was das mit Naturschutz zu tun hat“, schreibt sie in ihrem Leserbrief.

Die Volksstimme traf sich mit Holger Lengsfeld vom Nabu-Institut für Fluss- und Auenökologie in Rathenow, das das größte Renaturierungsprojekt Europas, für das eine Gesamtsumme von 21 Millionen Euro geplant ist, begleitet. Der Natur wieder mehr Raum zu geben und sie damit zu schützen, ist das Ziel dieses Gewässerrandstreifenprojektes, mit dem bis zum Jahr 2021 an der Unteren Havel zwischen ­Pritzerbe und Gnevsdorf auf 90 Kilometern Länge 15 Altarme wieder zum Fließen gebracht, Deiche zurückgebaut, 71 Deckwerke auf 29 Kilometern Länge beseitigt und über 80 Hektar Auwälder neu angelegt werden. Vieles ist in den zurückliegenden Jahren bereits geschehen. So sind gegenüber Nitzow sowie zwischen Havelberg und dem sogenannten Kriegshafen bei Kuhlhausen Deckwerke zurückgebaut und zwei Altarme angeschlossen worden. Arbeiten gab es auch im Bereich Vehlgast, Kuhlhausen und Strodehne.

Die Panzerstraße zwischen Jederitzer Chaussee und Weinberg gehört zum Maßnahmenkomplex 7. Dieser einst von der russischen Armee zur Überquerung der Havel in die Landschaft gebaute Wall wirkt wie ein Bahndamm in der Fluss­aue und vermindert den Abfluss von Wasser durch die Flussaue. Für einen geregelten Wasserabfluss bei Hochwasser ist es jedoch wichtig, dass das Wasser über die Wiesen schneller abfließen kann, erklärt Holger Lengsfeld. Vor dem Rückbau galt es, die auf dem Wall stehenden Bäume und Sträucher zu entfernen. Um die hundert sind es insgesamt, die nicht erhalten werden können. „Wir haben uns um jeden Baum Gedanken gemacht und nicht wahllos alles abgeholzt, auch wenn es sich mit Weiden und Pappeln um kein wertvolles Holz handelt“, versichert der Fachmann und verweist auf Bäume, die stehen geblieben sind.

Eine Planfeststellung durch das Landesverwaltungsamt war nicht erforderlich, es reichten die Genehmigungen der Unteren Naturschutzbehörde und der Unteren Wasserbehörde des Landkreises Stendal. Eine artenschutzrechtliche Untersuchung wurde vorgenommen, wonach es zum Beispiel keine Fledermäuse oder seltene Käfer gibt, die durch das Abholzen gestört würden. Auch die Ersatzmaßnahmen wurden genau geplant. Fast 1500 Pflanzen wurden neu gepflanzt, teilweise Gehölze der Hartholzaue wie Eichen, Buchen und Weißdorn sowie in der Weichholzaue vorkommende Korb- und Mandelweiden. Eine Besonderheit ist auf der Seite zur Jederitzer Chaussee der Bewuchs mit Dornengehölzen. Viele von ihnen wurden umgesetzt. In den eingezäunten Bereichen wurden zudem Stein- und Holzhaufen aufgeschichtet für die häufig vorkommende Zauneidechse und andere Kleintiere.

Ein größeres Problem war, das gefällte Holz loszuwerden. „Wer denkt, dass wir damit Geld verdienen können, liegt falsch. Wir haben zum Glück jemand gefunden, der es der energetischen Verwertung zuführt, so dass die Entsorgung kostenneutral verlief“, sagt Holger Lengsfeld.

Der Rückbau der Panzerstraße soll im Sommer beginnen. Für das kommende Jahr ist dann die Schlitzung der alten Sommerdeiche an den Poldern Remonte und Burgwall auf der Weinbergseite geplant. Der Abtransport erfolgt über einen Weg, der zwischen Havelberg und Wöplitz hoch zur Landesstraße führt. Dass sich das Schreddern des Holzes der gefällten Bäume, wie von Helga Klemm kritisiert, an einem Tag bis in die Nacht zog, ist der Tatsache geschuldet, dass die Leihmaschine maximal ausgelastet werden sollte. Dass jedoch der Biber aus Rache für die Bauarbeiten an der Ziegeninsel in den Gärten in der Weinbergstraße Bäume gefällt hat, hält Holger Lengsfeld für einen Trugschluss. „Auch wir haben Probleme mit dem Biber, deshalb zäunen wir unsere Neuanpflanzungen ein.“

Der teilweise Rückbau der alten Sommerdeiche gehört mit zu diesem Maßnahmenkomplex. Dem Hochwasserschutz des Grünlandes dienen sie nicht mehr. Der Landesbetrieb für Hochwasserschutz hat sie schon lange aus der Unterhaltung herausgenommen. Ein Teil des Deiches verläuft parallel zur Panzerstraße. Die dazwischen stehenden Bäume wurden ebenfalls entfernt.

Während die Panzerstraße auf der anderen Havelseite zur Wiese umfunktioniert wird, wird der Weg auf der Weinbergseite erhalten. Dieser wird befestigt, so dass die Landwirte ihre Flächen erreichen oder Spaziergänger den Polder Remonte umrunden können. An sechs Stellen werden diese auf teilweise mehreren hundert Metern geschlitzt. Diesen Rundweg zu erhalten, war der Stadt zum Beispiel wichtig. „Das ist der Anspruch unseres Projektes: Wir machen nichts, was nicht gewollt ist“, sagt Holger Lengsfeld in Bezug auf alle Maßnahmen. Mit betroffenen Landwirten und Anwohnern sind die Projektmitarbeiter im Gespräch. „Sollte jemand ein Problem haben, kann er sich gern an uns wenden. Im Büro in Rathenow ist immer jemand erreichbar.“

Zum Maßnahmenkomplex 7 gehörte auch der Rückbau von rund 20 Metern Buhne an der Havelberger Ziegeninsel und der Anschluss des Altarmes an der Aderlanke, wofür jede Menge Schlamm ausgebaggert wurde. Dabei musste leider ein Baum gefällt werden, der bei Hobbyfotografen ein beliebtes Motiv an der Havel war. „Der Baum stand auf künstlichem Habitat“, erklärt Holger Lengsfeld und versichert, dass mit der Renaturierung auch viele neue schöne Motive entstehen. Überhaupt wird der Rückbau der Deckwerke und der Anschluss der Altarme von vielen Wasserwanderern und Anglern sehr positiv bewertet, wie die Mitarbeiter des von Rocco Buchta geleiteten Nabu-Institutes immer wieder feststellen. Nicht nur Tiere und Pflanzen sind Nutznießer davon, auch der Mensch.