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Kriegsende Deich als letzte Verteidigungslinie

„Nie wieder Krieg!“ - Diese Botschaft vermittelte der Militärhistoriker Harald-Uwe Bossert bei seinem Vortrag über das Kriegsende .

Von Ingo Freihorst 04.05.2019, 01:01

Schönhausen l Der Saal im Schönhauser Bürgerzentrum war bis auf den letzten Platz gefüllt, eingeladen hatte zu diesem Vortrag der Putinnen-Verein aus Tangermünde. „Dieses Thema betrifft die gesamte Welt“, wies Vorsitzender Eberhard Puls auf die Aktualität hin.

Wie man es vom, Havelberger Harald-Uwe Bossert kennt, wurde sein Vortrag mit diversen Fotos, Musik und teils bislang kaum bekannten Videos bereichert. Eines zeigte, wie Zivilisten die zerstörte Eisenbahnbrücke bei Hämerten mühselig überqueren, ein junger Mann trug dabei noch ein Kind im Arm.

Die Zivilisten waren es auch, welche an den Kriegsfolgen übel zu leiden hatten. Viele starben kurz vor dem Ende der Kampfhandlungen: Der Havelberger erwähnte aus Schönhausen Ruth Kietzmann, welche nur zwei Jahre alt wurde, sie starb beim russischen Einmarsch. Oder Siegfried Zibel, welcher mit acht Jahren von einer Granate getötet wurde.

An den Elbdeichen hatten die letzten Gefechte des Krieges stattgefunden. Hier kämpften die jüngsten und die ältesten Soldaten der deutschen Wehrmacht, die Armee Wenck war deren letztes Aufgebot. Entsprechend wurde sie auch als „Hitlerjungen-Armee“ bezeichnet. Auch Arbeitsdienstler, Magenkranke und Genesende waren vertreten.

Offizielle Dokumente existieren von dieser Armee nur wenige, das Gros wurde vor dem Elbübergang vernichtet, damit es dem Gegner nicht in die Hände fallen konnte. Vieles, was im Chaos der letzten Kriegstage geschah, wird so für immer verschollen bleiben. In der amerikanischen und russischen Geschichtsschreibung werde die 12. Armee komplett ausgeblendet, so Bossert.

„Der Krieg war 1945 dorthin zurückgekehrt, wo er hergekommen war“, berichtete der Havelberger. Zwischen Potsdam und der Elbe verbluteten deutsche Divisionen mit halben Kindern, „sie wurden in disziplinierter Sinnlosigkeit geopfert“. Krieg kennt keine ethischen Grenzen: In jedem Menschen steckt eine Bestie, die zuschlägt, sobald entsprechende Umstände herrschen.

Der General der Panzertruppe Walther Wenck wurde am 6. April 1945 von Hitler zum Oberbefehlshaber der 12. Armee ernannt. Einige seiner Truppenteile standen nur auf dem Papier, sie wurden vorher zerrieben. Die Aufstellung sollte eigentlich in Blankenburg erfolgen, doch stand dort schon der Amerikaner. So wich man nach Roßlau aus.

Eigentlich sollte die 12. Armee gen Westen ziehen, doch war Berlin am 22. April von der Einschließung bedroht. So wurde Wenck vom Oberkommando befohlen, zur Reichshauptstadt umzuschwenken. Am 26. April erfolgt der letzte deutsche Angriff, 20 000 eingeschlossene Soldaten aus dem Potsdamer Bereich brachen aus und stießen zur Wenck-Armee, hinzu kamen 3000 Patienten aus den Beelitzer Heilstätten. Am 1. Mai gelang auch der 9. Armee der Durchbruch. Walther Wenck beschloss den Rückzug zur Elbe – mit dem Ziel der Gefangennahme durch die Amerikaner. Ein Novum in er Militärgeschichte!

Anfang April hatten an Weser und Oder die Offensiven der Amerikaner und der Roten Armee begonnen, das Rennen nach Berlin war eröffnet. Eine zusammenhängende deutsche Frontlinie existierte da schon nicht mehr, verteidigt wurden nur noch Orte, Brücken und Verkehrswege. Die Amerikaner kamen im Westen rascher voran als erwartet. Ende April reichten sich Soldaten beider Armeen auf der Elbe bei Torgau die Hände. Die Stadt wurde kampflos erobert, denn das hier befindliche 48. Panzerkorps der 12. Armee war mit zum Kessel nach Halbe umgeschwenkt, um dort die eingeschlossene 9. Armee „rauszuhauen“.

Das Foto mit dem Händedruck auf der Elbe war reine Propaganda: Das eigentliche Zusammentreffen der beiden verbündeten Armeen erfolgte zwei Tage vorher bei Strehlau, doch waren da nur einfache Soldaten beteiligt – und ringsum lagen 300 tote Zivilisten.

Von Westen kommend stießen die drei amerikanischen Panzer-Kampfkommandos der 9. US-Armee rasch vor. In Tangermünde regte sich heftiger Widerstand, Luftunterstützung wurde angefordert. Doch zum Glück für die alte Kaiserstadt wurde da gerade Braunschweig zerbombt.

In Stendal verhandelten die Amerikaner am 3. Mai mit der 12. Armee. Diese durfte die Elbe an drei Übergängen überqueren, Sanitäter und Verpflegung waren mitzubringen. Ein Übergang war bei Schönhausen, um diesen Brückenkopf möglichst lange zu halten, wurde unter anderem bei Klietz und Sandau erbittert gekämpft.

Über die zerstörte Elbbrücke bei Tangermünde retteten sich auch Zivilisten zu den Amerikanern, obwohl diese dies verboten hatten. Auf den östlichen Elbwiesen ließ die Wehrmacht alles liegen, was bei der Flucht hinderlich war. Die Elbe wurde blutig und zum riesigen Grab. Die letzten Kämpfe fanden am 7. Mai zwischen Fischbeck und Schönhausen statt, die letzte deutsche Verteidigungslinie bildete der Elbdeich.