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Kriegsende In Havelberg wird am 2. Mai 1945 gekämpft

Vor genau 75 Jahren, am 2. Mai 1945, erreichten die Soldaten der Roten Armee Havelberg. Tags darauf war die Stadt „vom Feind gesäubert“.

Von Ingo Freihorst 02.05.2020, 01:01

Havelberg l Die Elb-Havel-Region wurde in der Schlussphase der „Operation Berlin“ der Sowjetarmee, die vom 25. April bis zum 8. Mai 1945 dauerte, in die letzten Kämpfe des Krieges verwickelt. Unter dem Kommando von Marschall Georgi Schukow eroberten die Verbände der 1. Belorussischen Front die Reichshauptstadt und stießen zum Mittellauf der Elbe vor. Hier nahmen sie mit der 9. amerikanischen Armee Kontakt auf, deren erste Truppenverbände am 12. April das westliche Elbufer erreicht hatten.

Den Abschnitt zwischen Werben und Tangermünde hielt die 102. US-Infanteriedivision besetzt. Die östliche Elbseite wurde mit Fliegerunterstützung unter Artilleriefeuer genommen, besonders mögliche Beobachtungspunkte wie Kirchtürme und wichtige Verkehrswege wie die Bahnstrecke Berlin-Hamburg. Beschossen wurden zudem die Munitionswerke in Klietz und Nitzow.

Die bislang kaum vorhandene Wehrmacht in der Elb-Havel-Region wurde am 30. April verstärkt: Die 3. Marine-Infanteriedivision, V-Waffen-Einheiten der Division des Oberst Gerlach von Gaudecker, Volkssturmeinheiten und die 1. Panzervernichtungsbrigade „Hitlerjugend“ wurden in den Raum zwischen Havelberg und Schollene verlegt und sollten sich am rechten Havelufer festsetzen. Die Gefechtsstände befanden sich auf dem Schönhauser Damm (Panzervernichtungsbrigade) sowie in einem Wald bei Havelberg (Division Gaudecker).

Der Heimatverein Havelberg hatte 1992 und 1994 unter dem Titel „Kriegsende und Nachkriegszeit“ zwei Hefte mit Zeitzeugenberichten herausgegeben. Im ersten Heft berichtet der damalige Panzergrenadier Klaus Weniger zum 1. Mai 1945: „Wir verließen Genthin und folgten der Straße nach Schollene. Havelberg war unser nächstes Ziel. Wieder am Ende der Kräfte, kommen wir (zu Fuß) dort an...

Nach Aufstellung einer Abteilung aus etwa 60 Mann erhalten wir Waffen, Gewehre und Maschinengewehre aus Beutebeständen. ... Wir rücken ab nach Süden in der Nähe eines Gehöfts in der Königsallee und von dort zum Elbdeich.“

Am 2. Mai erlebt er folgendes: „Sehr früh am Morgen machten wir Stellungswechsel. ... Junge Soldaten in SS-Tarnuniform, mit Panzerfäusten ausgerüstet und halb barfuß, wollen den Feind, der bald da sein wird, aufhalten. Auf den Brücken sind große Munitionskisten aufgestapelt, ihre Sprengung wird vorbereitet. Nachdem sich die ,Kettenhunde‘ (Feldpolizei) plötzlich abgesetzt haben, geht das geschäftige Treiben in eine nervöse Unruhe über. Zivilisten eilen durch die Straßen und schließen sich anderen wartenden Menschen auf einem Fabrikgelände an. Sie stehen nach Nahrungsmitteln an. Es geht alles ruhig zu. ...

Der Lage angepasst, setzte ich mich auch ab. Ich laufe neben anderen Soldaten auf die Elbe zu. Im Wald sehe ich die verlassenen Stellungen der Wehrmacht. Alles scheint organisiert, das Gewehr liegt rechts neben dem Stahlhelm und zeigt in Richtung Westen, Geschützrohre größeren Kalibers liegen auf dem Boden.“

Der Havelberger Gustav Lörzer berichtet in dem Heft, dass die Stadt seit April 1945 ab und an bombardiert wurde, unter anderem wurde die Ziegelei getroffen. Später schoss die amerikanische Artillerie von der anderen Elbseite – am Dom, an Häusern im Bischofsberg und der Pritzwalker Straße entstanden Schäden. Tote gab es am Markt, der Weinbergstraße und in der Villa am Camps.

Die SS setzte am 2. Mai das Hotel „Kronprinz“ in Brand, insgesamt fünf Häuser brannten dabei ab. Die Havelberger löschten teils mit Eimern und Kannen und konnten die weitere Ausbreitung des Feuers nur mit Mühe stoppen. Einsatzleiter war Albert Frontzek.

Die Rote Armee rückte von Wöplitz kommend in Havelberg ein, ihre Panzer fuhren am Dom und am Prälatenweg auf. Die Panzersperren in Krugtorhohlweg und in der Bahnhofstraße wurden dabei überrollt.

Am 3. Mai war die Stadtinsel voll deutscher Soldaten, ein russischer Panzer schoss an der Steintorbrücke um sich und tötete dabei eine Schülerin, die auf den Balkon getreten war. Der Panzer wurde mit einer Panzerfaust außer Gefecht gesetzt. Vom Domberg feuerte ein russisches Maschinengewehr, Kämpfe gab es zudem an der Schurre, ein Wohnhaus brannte dabei ab. Vor allem kämpften hier Hitlerjungen, teils in HJ- und teils in Wehrmachtskleidung. – Etliche sind in Havelberg beerdigt, gefallen im Alter von 15, 16 Jahren.

Gegen 3.30 Uhr wurden in der Nacht zum 4. Mai die drei Brücken zur Stadtinsel gesprengt. Vorher hatten sich noch der Stadtkommandant mitsamt dem Stab und der Bürgermeister abgesetzt.

Später wurden Notbrücken errichtet – für Fußgänger aus einem Bootssteg über den Stadtgraben sowie eine für Fahrzeuge auf Höhe der Fleethe über die Havel. Weil in der Havel und dem Schleusenkanal noch etliche vollbeladene Kähne festlagen, hatten die Havelberger Glück: Die Ladungen wurden vom sowjetischen Stadtkommandenten beschlagnahmt, so manches kam auch der notleidenden Bevölkerung zugute. Eines Tages liefen alle Männer mit blauen Luftwaffenmützen herum, für die Kinder gab es Schreibhefte und an der Alten Zieglei waren Marmelade und Zigaretten zu haben.

Dass auch Dahlen und Nitzow beschossen wurden, berichtete im Heft Alexander Vorkampf. Er war dem Volkssturm zugeteilt, die zehn Männer waren im Forsthaus nördlich von Nitzow untergebracht. Sie bewachten das Bahngelände und das Havelufer.

In Dahlen wurde die Ziegelei beschossen und brannte bis auf die Außenwände ab. Nitzow war am 16. April dran, Kirche, Schule, einige Häuser und ein Pferdestall wurden getroffen. Durch das Loch in der Südseite der Kirche konnte man aufrecht hindurchgehen. Auch in der Nacht lag man unter Beschuss, weshalb viele Nitzower den Ort verließen und im Wald campierten. Die Schäden in der Dorfstraße mussten 20 Frauen aus der nahen KZ-Außenstelle der Dynamit AG ausbessern. SS-Frauen mit Bluthunden bewachten die Häftlinge.

Anfang Mai zogen tausende deutsche Soldaten teils mit Panzern durch Nitzow, kamen dann aber wieder zurück. An der Havel wurden Soldaten, die rüberschwimmen wollten, von der SS erschossen. Zurück blieben später etliche Verpflegungswagen mit Lebensmitteln und Bekleidung, aus denen sich die Einwohner bedienten. In der Nacht vom 2. zum 3. Mai besetzte die Rote Armee das Dorf, zwei Familien begingen daraufhin Selbstmord.

Im Prignitz-Museum sind weitere Berichte von Zeitzeugen zu finden. Einer (er wollte anonym bleiben) war damals Lehrling auf der Werft, er war in Duisburg ausgebombt und lernte darum seit Januar 1945 in Havelberg weiter. Im Februar und März kamen viele Flüchtlinge in die Stadt, wohl aus Schlesien, schrieb er. Am „Führergeburtstag“, 20. April, gab es Fliegeralarm – Bomber flogen mal wieder mit „Geburtstagsgrüßen“ nach Berlin. Danach wurde Havelberg mehrfach von amerikanischer Artillerie beschossen, zudem kamen amerikanische Spähtrupps.

Die Sandauer hoben in der Nacht zwischen ihrer Fähre und dem Havelberger Mühlenholz Schützengräben aus. Auch dieser Zeitzeuge hörte, dass Sandau wegen der Ermordung eines amerikanischen Parlamentärs aus Rache und Vergeltung zerstört worden war. Vom Domberg aus sah er dort die Kirche brennen.

Im Prignitz-Museum findet sich nebst zweier Karten auch ein übersetzter Bericht der Roten Armee über ihre Kämpfe in Havelberg. In der Kampfmeldung vom 3. Mai des Kommandeurs der 212. Krinewer Schützendivision, eines Oberst Maslow, heißt es: „1. Die Reste der Einheiten des Gegners, die zusammengeführt wurden, haben im Laufe des Tages in Havelberg einen erbitterten Widerstand geleistet. Unter Benutzung von Steinbauten hat der Gegner starkes Handfeuerwaffen-Maschinengewehrfeuer auf Kampfeinheiten gerichtet. Besondere Aktivität hat die Panzerfaust gezeigt. Die Luftwaffe des Gegners hat keine aktiven Handlungen gezeigt. Festgestellt wurden einige Flüge mit Erkundungsziel.

2. Die Teile der Division verfolgten den eilig zurückgezogenen Gegner und erreichten am 2. Mai um 18 Uhr die Stadt Havelberg. Die 669. Spezialeinheit führte Kämpfe um die Stadt, räumte Steinbauten von Maschinengewehr- und Panzerfaustschützen des Gegners zum Morgen des 3. Mai. Vollständig wurde der süd-westliche Teil der Stadt entlang des Ufers der Havel geräumt. Die 692. und die 369. Spezialeinheit marschierten bis zum Morgen des 3. Mai und verteilten sich im Wald Theerofen und in Wöplitz.

Um 11.30 Uhr haben die Einheiten die Havel südlich von Havelberg überquert und führten die Säuberung der Insel-Stadt Havelberg sowie des Gebietes westlich und süd-westlich der Stadt bis zum westlichen Ufer der Elbe, bis 14 Uhr haben alle Einheiten die Aufgabe erfüllt. ...

4. Im Laufe des Tages im Kampf um die Stadt wurden nach nicht vollständigen Daten bis 500 Gefangene genommen.“

Am Folgetag, 5. Mai, hat die Division laut Bericht keine Verluste mehr zu beklagen, in der Stadt wird am Vormittag Ordnung geschaffen, auch Ausrüstung, Fahrzeuge und Material der Rotarmisten werden in Ordnung gebracht. Die drei Spezialeinheiten werden umgruppiert und beziehen am Elbufer auf Höhe Toppel, am südöstlichen Stadtrand und im Sandauer Wald ihre neuen Stellungen. An diesem Tag machte man sogar 5000 Gefangene.