Lockdown Schule in der guten Stube
In der guten Stube von Anja und Torsten Wolf in Havelberg findet derzeit jeden Vormittag ein „Schultag“ statt.
Havelberg l „Das Beste ist das etwas spätere Aufstehen als sonst“, erklärt der neunjährige Sebastian. Daran könnte sich der Drittklässler gewöhnen. „Ja, ich mich auch. Das ist gut“, schließt sich die zwölfjährige Leonie der Meinung ihres Bruders an. – Etwa eine Stunde später, als wenn sie zur Schule gehen müssten, holt Mutter Anja die beiden Geschwister jetzt aus ihren Betten.
Auf alles andere aber könnten Sebastian und Leonie sowie ihre Eltern gut und gerne verzichten. „Von Montag bis Freitag jeweils bis zum Mittagessen um 12 Uhr wird hier mit den Lernaufgaben durchgezogen – knapp drei Zeitstunden mit Laptop, Büchern und Heften“, berichtet Anja Wolf. „Das reicht. Dann ist zu Hause ,Schulschluss‘ und die Kinder können sich hier ihren Freizeitinteressen widmen.“
Doch beim Besuch der Volksstimme ist bis zum Mittag noch viel Zeit. An Sebastians „Arbeitsplatz“ liegen aufgetürmt alle seine Schulbücher und Arbeitshefte. Und das aktuelle Aufgabenblatt, das ihm sein Klassenlehrer Claus Sobotzik jeweils für Montag und Dienstag sowie für Mittwoch bis Freitag per E-Mail zusendet. Mit allen wichtigen Fächern, die er in der Grundschule in Havelberg im Unterricht hat, muss sich Sebastian befassen: mit Mathematik, Deutsch, Englisch, Heimat- und Sachkunde. „Am liebsten mache ich Englisch“, ist zu erfahren – ab Klasse 3 steht diese Fremdsprache erstmals auf dem Stundenplan. Dank der Aufsicht und Betreuung durch Mutter Anja läuft das Homeschooling an jedem Tag so ab, wie es auch sein soll. Und auch mal mit einer kleinen Pause zwischendurch. „Was die Grundschul-Aufgaben angeht, kann ich noch ganz gut mithalten, da schaffen wir an einem Tag manchmal auch mehr, als auf dem Arbeitsblatt steht“, so Anja Wolf. Die Mathematik hat Sebastian und sie in der Vorwoche aber doch etwas aufgehalten – die Geometrie stand hier im Mittelpunkt.
Dennoch: Begeistern kann die aktuelle Lage den Neunjährigen ganz und gar nicht. „Ich gehe lieber jeden Tag zur Grundschule. Da kann ich unter meinen Klassenkameraden sein und Freunde treffen. Und wenn ich im Unterricht einmal Schwierigkeiten habe, etwas zu verstehen, ist immer gleich der Lehrer da, von dem ich mir alles erklären lassen kann. Da lerne ich viel besser, als hier zu Hause.“ Obwohl für solche Fälle im Homeschooling auch telefonische Erreichbarkeiten von allen Fachlehrern eingerichtet sind.
Sebastian vermisst aber noch viel mehr: den Sportunterricht, den er am allerliebsten macht, und die Trainingsstunden und Spiele in der E-Jugend des FSV Havelberg. „Ich bin traurig darüber, dass jetzt auch kein Fußball in der Sporthalle gespielt wird. Und ich hoffe wirklich, dass es bald weiter geht. Nun schon seit November dauert die lange Fußballpause.“
Wenigstens ein Trost bleibt ihm aber noch: Nach dem Homeschooling darf er sich zumindest mit einem Freund im Freien treffen.
Für seine Schwester Leonie ist alles noch ein bisschen anstrengender. Sie lernt am Gymnasium – entsprechend schwierig sind auch schon in der Klassenstufe 6 die Anforderungen an sie. Beim Homeschooling kann sie auf den Laptop nicht verzichten. Die Fachlehrer legen die Aufgaben für die Schüler im Internet auf der Lernplattform Moodle – wenn diese denn auch funktioniert, was zuletzt nicht immer der Fall war – ab. „Da ist jeden Tag was Neues drin.“ Über Moodle können dann fertige Hausaufgaben zur Kontrolle auch gleich an die Fachlehrer zurück gesendet werden. Für Leonie sind es eine ganze Reihe von Fächern, die sie in der Woche „beackern“ muss. „Mathematik liegt mir am besten. Heute möchte ich Geografie fertig machen und vielleicht auch noch Ethik. Dann muss ich in den nächsten Tagen nicht noch mal damit anfangen.“ Ihr persönlicher Eindruck und auch der ihrer Mutter ist folgender: „Es fühlt sich so an, als ob die Fachlehrer jetzt viel mehr Stoff aus dem Lehrplan an die Schüler weitergeben, als das in der Schule möglich wäre. In 45 Minuten Unterricht wäre diese Flut an Aufgaben nie und nimmer zu bewältigen.“ Auch das ist ein Grund dafür, dass Leonie lieber in der Schule lernt, als im heimischen Wohnzimmer. Ein anderer sind – wie bei ihrem Bruder – die Klassenkameradinnen und Freundinnen. Mit den liebsten davon unterhält sie sich nach dem Homeschooling per Video-Telefonie. Und auch die Zwölfjährige bedauert, dass sie jetzt auf den Sportunterricht verzichten muss.
Für Anja Wolf bedeutet die Elternbegleitung beim Homeschooling ihrer Kinder täglich „eine Zwölf-Stunden-Schicht. Vormittags neben dem Homeschooling auch noch Homeoffice, was sehr anstrengend und aus dem Grund nicht so einfach unter einen Hut zu bringen ist, und nach dem Mittag dann bis 19 Uhr Schicht auf Arbeit. Denn alles ist bei mir auch nicht im Homeoffice zu erledigen.“ Zu Hause abgelöst wird sie in dieser Zeit von ihrem Mann Torsten, der sich dann um die beiden Kinder kümmert.
„Wenn ich ganz ehrlich bin, dann liegen bei mir durch die zusätzliche Belastung mit dem Homeschooling schon mal die Nerven blank“, schildert Anja Wolf die derzeitige Situation. Sie wünscht sich „dass die Kinder möglichst bald wieder zum Unterricht in die Schule gehen können. Und nicht vielleicht erst ab dem Monat März. Andere Eltern, denke ich, hoffen das ebenfalls. Wir sind schließlich alle keine Lehrer. Und außerdem verfügt auch nicht jeder über die technischen Voraussetzungen für die Schule zu Hause.“