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HeimatgeschichteSydower Pfarrer war auch Landwirt und Arzt

Gleich zwei außergewöhnliche Pfarrer hatten einst in Sydow ihren Dienst verrichtet. An deren Wirken erinnerten Sydower und Gäste beim Gedenken an den 101. Jahrestag der Gründung der Sydower Bruderschaft.

Von Ingo Freihorst 19.09.2023, 18:39
Am im Jahre 2000 an seiner ersten Pfarrstelle aufgestellten Grabstein des einstigen Sydower Pfarrers Georg Schulz wurde nach der Andacht das Foto nachgestellt, welches damals bei der Ankunft dieses jetzigen Gedenksteines entstanden war. Unterstützt wurde das Gedenken von der Aktion „Demokratie leben“.
Am im Jahre 2000 an seiner ersten Pfarrstelle aufgestellten Grabstein des einstigen Sydower Pfarrers Georg Schulz wurde nach der Andacht das Foto nachgestellt, welches damals bei der Ankunft dieses jetzigen Gedenksteines entstanden war. Unterstützt wurde das Gedenken von der Aktion „Demokratie leben“. Foto: Ingo Freihorst

Sydow - Im Jahre 1917 hatte Georg Schulz nach bestandenem Examen seine erste Pfarrstelle in Sydow angetreten. Fünf Jahre später steckte die deutsche Kirche in einer Krise – dafür sorgten das Erbe des Ersten Weltkrieges, der Untergang der Monarchie und die ungeliebte Weimarer Republik. Weshalb Georg Schulz seine Kollegen zu einer „brüderlichen Aussprache über die religiös-kirchlichen Grundprobleme“ nach Sydow einlud. 30 Pfarrer beteiligten sich vom 1. bis 3. August 1922 an der ersten Zusammenkunft – der Keimzelle der Sydower Bruderschaft.

Einen kleinen Einblick in das Wirken dieser Bruderschaft gewährten auf der Gedenkveranstaltung am Sonntag in Sydow die Pfarrerstöchter Ruth Priese aus Halberstadt und Angelika Schrem aus Berlin, deren Väter Paul Hinz und Georg Schrem Mitglieder der Bruderschaft waren.

Domprediger wurde zweimal inhaftiert

Ruth Prieses Vater war vorm Krieg Domprediger in Kolberg, er wurde dort zweimal kurz inhaftiert – weshalb er Gebetskreise für inhaftierte Pfarrer initiierte und wenig später ein Buch mit Briefen von ihnen herausgab. Zuletzt war er in Halberstadt tätig, wo im Wohnzimmer regelmäßig sehr ernsthafte Treffen der Bruderschaft stattgefunden hatten. Theologischer „Lehrer“ war ein Pfarrer aus Ilsenburg.

Angelika Schrems Familie floh vor dem Kriegsende aus Berlin aufs Land nach Zepernick, wo ihr Vater vom dortigen Amtskollegen für die Bruderschaft geworben wurde. Sie erinnert sich an größere Treffen, welche zweimal im Jahr in Berlin und Goslar stattfanden. Zwischendurch tagten die regionalen Gruppen, wobei es tägliche Losungen gab und eine strenge und straffe Ordnung herrschte. Auf den monatlichen Treffen wurden theologische Themen erörtert, dazu wurden Briefe verfasst.

Pfarrerin Rebekka Prozell begrüßte im Sydower Gemeinschaftshaus die Pfarrerstöchter Angelika Schrem und Ruth Priese (von rechts). Ihre Väter waren Mitglieder in der Bruderschaft gewesen.
Pfarrerin Rebekka Prozell begrüßte im Sydower Gemeinschaftshaus die Pfarrerstöchter Angelika Schrem und Ruth Priese (von rechts). Ihre Väter waren Mitglieder in der Bruderschaft gewesen.
Foto: Ingo Freihorst

Georg Schulz hatte verschiedene Arbeitsweisen, berichtete Pfarrerin Rebekka Prozell aus dessen Leben. So kam er zu den Sitzungen des Gemeindekirchenrates nur, wenn ihn das Thema interessierte. In seiner zweiten Pfarrstelle, die er 1924 in Drackenstedt in der Magdeburger Börde antrat, schraubte er alsbald die Namensschilder an den Bänken ab und entfernte die Bilder der Patrone.

Er geriet als Pfarrer in Verruf, als er sich 1934 scheiden ließ. Drei Jahre später folgte die zweite Scheidung – als Pfarrer wurde er dadurch untragbar. Nach dem Krieg lebte er von Nothilfe, die Bruderschaft unterstützte ihn finanziell. 1954 verstarb er in Hamm.

Grabstein wurde 2000 nach Sydow überführt

Seine Schwiegertochter ließ den Grabstein im Jahr 2000 nach Sydow überführen. Hier steht er auf den inzwischen neu gestalteten Kirchhof vorm Kirchportal. Eine Infotafel wurde ebenfalls aufgestellt.

Georg Schulz war schon vor der Scheidung nicht unumstritten. Zeitgenossen sahen ihn als „prophetischen Adlerkopf, der durch sein Charisma gleichsam faszinierend wie abstoßend wirkte“. Andere sahen in ihm einen leidenschaftlichen Christen. Für andere wiederum war er schrecklich und gefährlich, ein irrender und verstrickter Mensch. Rebekka Prozell hatte übers Internet ein Buch von ihm erworben: „Das ist auch heute noch schwere sprachliche Kost.“

Einen zweiten außergewöhnlichen Sydower Pfarrer stellte Hans Schulz, der Vorsitzende vom Geschichtskreis und Marionettenbühne Wulkow-Wust GuM vor. Notiert ist dessen Wirken in der neuesten Broschüre des GuM, welche sich nach dem Heft über die Bruderschaft erneut komplett Sydow widmet.

Pfarrer legte Niederung trocken und schuf Äcker

Diesmal handelt es sich um Auszüge aus dem Pfarrbuch der Parochie Sydow, verfasst vom Pfarrer Nachtigall, die letzten Einträge stammen von 1892. Zum Pfarrbezirk gehörte auch Zollchow. Weshalb neben der Auflistung der Sydower Pastoren, des Ortes und seiner Bewohner auch Zollchow erwähnt wird. Berichtet wird zudem über die Inflation nach dem Siebenjährigen Krieg, den Sydower Dorfbrand von 1760 sowie die Schulen.

Sabine Schönfeld vom GuM überreichte Siegfried Danker für sein ehrenamtliches Engagement eine  Ehrenmedaille aus Porzellan.
Sabine Schönfeld vom GuM überreichte Siegfried Danker für sein ehrenamtliches Engagement eine Ehrenmedaille aus Porzellan.
Foto: Ingo Freihorst

Die umfangreichen Aufzeichnungen bekam der GuM von seinem inzwischen verstorbenen Mitglied Gerd E. Schug. Wegen der Detailtreue und Authentizität entschloss man sich, diese komplett abzudrucken (in Kürze mehr).

Pfarrer Nachtigall beschrieb das Wirken seines Vorgängers Samuel Friedrich Schultze, welcher von 1756 bis 1803 in Sydow tätig war, sehr ausführlich. Dieser war ein Landwirt, welcher seiner Zeit weit voraus war. Er führte eine Musterwirtschaft und fütterte Pferde und Vieh auch im Stall – damals kaum bekannt. Seine Felder umsäumten Hecken, als Erster baute er Klee und Luzerne an. Und zwar so viel, dass er nicht nur seinen Futterbedarf decken konnte, sondern Kleesamen auch bis in die Altmark verkaufte. Zudem zog er Gräben und legte Niederungen trocken, um Ackerland zu schaffen. Und er erprobte, wie man den Kleesamen am besten aufbereiten konnte.

Doch war der Pfarrer nicht nur Landwirt, sondern auch – von der Not getrieben – Arzt. Denn 1743 starben 43 Menschen an der Ruhr. Er forschte nach Mitteln dagegen – seitdem starb keines seiner Pfarrkinder mehr. Als vier junge Frauen kurz nach der Entbindung starben, griff er erneut ein und machte sich kundig.

Der GuM nutzte das Gedenken auch, um einem engagierten Mitglied aus Sydow zu danken: Siegfried Danker kümmert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich um den Erhalt der Sydower Kirche – dafür wurde er von Sabine Schönfeld mit der Ehrenmedaille des GuM geehrt. Das Amt wurde ihm quasi in die Wiege gelegt: Bereits sein Vater hatte sich um das Gotteshaus gekümmert.