1910: Der Kaiser wird 51 und Marta Müller geboren
Seit gestern blickt die Weddendorferin Marta Müller auf 103 Lebensjahre zurück. Die immer noch sehr rüstige Jubilarin feierte ihren Ehrentag im Kreis ihrer großen Familie.
Weddendorf l Marta Müller hat sich mittlerweile an den Trubel, der seit vier Jahren an ihrem Geburtstag einsetzt, gewöhnt. Ruhig und gelassen, immer mit einem kleinen Lächeln im Gesicht, nahm sie gestern die zahlreichen Glückwünsche zu ihrem 103. Ehrentag entgegen. "Meine Mutter kann zwar nicht mehr so gut hören und sehen, doch sie bekommt noch sehr viel mit", erzählte Heidrun Keßler, Tochter der ältesten Weddendorferin. Sie pflegt ihre Mutter seit über 15 Jahren liebevoll im Familienhaus in der Niendorfer Straße. "So lange es mit dem Hören und Sehen ging, hat sich meine Mutter zum Beispiel sehr für Politik und Fußball interessiert. Das geht nun leider nicht mehr. Aber sie fährt noch sehr gerne Auto. Natürlich als Beifahrerin", merkte Heidrun Keßler schmunzelnd an.
Wäre die zweifache Ur-Uroma Geschichtslehrerin, ihre Schülerinnen und Schüler hätten keine Geschichtsbücher gebraucht. Denn Marta Müller ist die Geschichte in Person.
Als Marta Müller am 11. September als geborene Kniep in Weddendorf das Licht der Welt erblickte, hatte im Januar Kaiser Wilhelm II seinen 51.s Geburtstag gefeiert. Als sie acht war, endete 1918 nicht nur der Erste Weltkrieg, sondern auch der Wilhelm dankte als Kaiser ab. 1923, Marta Müller war inzwischen 13 Jahre alt, erlebte sie in der Weimarer Republik die Inflation, danach die sogenannten goldenen 20er Jahre und mit 19 Jahren, 1929, den Beginn der Weltwirtschaftskrise.
Diese Krise war eine Ursache, dass sie ab ihrem 23. Lebensjahr, 1933, den sicherlich schlimmsten Abschnitt der deutschen Geschichte miterleben musste - die Zeit der menschenverachtenden Nationalsozialisten. Ihre mörderische Diktatur dauerte bis 1945. Marta Müller, mittlerweile im 35. Lebensjahr, lernte anschließend die nächste Diktatur kennen - die der Arbeiter und Bauern in der DDR unter Führung der SED. 1989 war mit dem Mauerfall und der 1990 erfolgten deutschen Wiedervereinigung auch diese Zeit vorbei. Die Weddendorferin war inzwischen 79 Jahre alt und längst Rentnerin.
In Landwirtschaft gearbeitet
Bis zu ihrem Ruhestand hatte sie zunächst in der Landwirtschaft geschafft und dann im Oebisfelder Bahnbetriebswerk - als Pförtnerin und in der Nähstube. "Meine Mutter hat die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, die Nazi-Ära und 40 Jahre DDR erlebt. Hätte sie über ihr Leben in den verschiedenen Epochen ein Buch geschrieben, es wäre sicher interessant geworden", sagte ihre Tochter Heidrun und fügte hinzu: "1910, im Jahr ihrer Geburt, waren Kraftfahrzeuge noch eine absolute Rarität. 103 Jahre später, meine Mutter ist immer noch auf der Erde, arbeiten die Menschen daran, zum Mars zu fliegen. Diese Zeitspanne hat meine Mutter über einen sehr großen Zeitraum bewusst miterlebt. Im Prinzip kaum vorstellbar."