"So hoch hatten wir das Wasser hier noch nie"
Im Landkreis Lüchow-Dannenberg ist die Hochwassersituation weiter angespannt. Die Stadtinsel in Hitzacker bleibt weiter Evakuierungsgebiet. Auch das früher von Hochwasser verschonte Gorleben ist jetzt überflutet.
Gorleben l Sybille Müller aus Pretzetze steht fassungslos vor ihrem Fachwerkhaus, welches außendeichs an der Straße liegt. Der liebevoll gestaltete Garten liegt komplett unter Wasser, "den können wir vergessen". Im Haus drückt das Wasser von unten hoch - "zum Glück", findet Sohn Kai Müller, "so kommt kein Schlamm mit". Sechs Pumpen, mit Notstrom versorgt, verhindern das Schlimmste. Die Feuerwehr hat geholfen, das komplette Haus mit Plane abzudichten und mit Sandsäcken zu sichern. So lässt sich der Wasserspiegel im Inneren niedrig halten.
Und Sybille Müller hat Glück im Unglück: Sie hat 2008 eine Elementarversicherung abgeschlossen. So wird zumindest der materielle Schaden irgendwann ausgeglichen. Aber die Nerven liegen blank: "Das war diesmal kein Spaß", seufzt die Frau, die seit 1967 hier lebt und wegen der "wunderschönen Lage auch nie wieder weg will - trotz Castor und Hochwasser".
Zutritt nur für "unaufschiebbare Erledigung zur Sicherung"
Einige Kilometer weiter wird auf dem Betriebshof der Fischerei Köthke gegen die Elbe gekämpft. Eine Bundeswehreinheit aus Hannover hilft tatkräftig. Das Wohnhaus liegt inzwischen unmittelbar an der Elbe. Regine Köthke kann von der Haustür direkt in den Kahn steigen. "So hoch hatten wir das Wasser hier noch nie", berichtet die Erzieherin, deren Mann einer der letzten Elbfischer Deutschlands ist. Gorleben liegt normalerweise hoch genug, ist nicht eingedeicht. Auch der Forsthausweg liegt unter Wasser, zwei Ferienhausbesitzer aus Hamburg waten vorsichtig zu ihrem Häuschen.
Der Hochwasserscheitel in Hitzacker ist kaum erreicht, schon mehren sich die Anfragen am Bürgertelefon, wann die Bewohner der Stadtinsel wieder in ihre Häuser zurückkehren können.
Die Hochwasserschutzzonenverordnung legt die Evakuierung bei einem Bemessungswasserstand von 7,76 Metern fest. Der aktuelle Pegelstand hat in Hitzacker 8,17 Meter erreicht. Die Prognosen gehen davon aus, dass der Höchststand sich einige Tage halten und dann erst langsam wieder sinken wird. So bleibt die Stadtinsel von Hitzacker auch in den nächsten Tage noch Evakuierungsgebiet.
Für "unaufschiebbare Erledigungen zur Sicherung an den Häusern" erteilt die Samtgemeinde im Feuerwehrgerätehaus Hitzacker Ausnahmegenehmigungen. Nur mit einer solchen Genehmigung kann die von der Polizei gesicherte Absperrung an der Drawehnertorstraße passiert werden. Und es werden von der Polizei nicht mehr als sieben Personen gleichzeitig auf die Stadtinsel gelassen, um die schnelle Erreichbarkeit bei Gefahrenlage sicherzustellen.
"Seit 30 Stunden steht das Wasser in Schnackenburg auf stabilem Niveau", teilte Ernst-August Schulz von der Kreisverwaltung gestern in der Lagebesprechung des Katastrophenschutzstabs im Lüchower Kreishaus mit. Es gäbe jedoch noch keinen Anlass zur Entwarnung: "Denn das Wasser wird langanhaltend auf diesem Niveau stehen bleiben, mindestens für anderthalb Tage", so lautet seine aktuelle Prognose.
Gestern lag das Augenmerk auf der L 256 zwischen Meetschow und Gartow. Hier ist geplant, mit Unterstützung der Bundeswehr vorsorglich eine zweite Deichlinie aufzubauen. Auch ein Sickerwasser-Problem in Wussegel wird von Fachleuten derzeit beobachtet. In Tiesmesland prüft die Feuerwehr zwei Mal am Tag die Lage. Weiterhin sind Deichläufer rund um die Uhr im Einsatz, um die gesamte Deichstrecke zu beobachten.
Die Sandsack-Produktion wurde am Montagabend vorerst eingestellt. Aktuell stehen insgesamt mehr als 300000 gefüllte Sandsäcke als Reserve zur Verfügung.
Mehrere tausend Einsatzkräfte der Feuerwehren und Hilfsorganisationen sowie zahlreiche freiwillige Helfer arbeiten seit Tagen unermüdlich an den Deichstrecken im Landkreis Lüchow-Dannenberg, um die Sicherheit der Bevölkerung vor Ort zu gewährleisten.
"Die vergangenen Tage haben eine enorme Solidarität der Menschen untereinander gezeigt. Für Arbeitgeber ist dieser ehrenamtliche Einsatz jedoch oft keine einfache Situation", so Landrat Jürgen Schulz. Er bedankt sich daher ausdrücklich bei den Arbeitgebern für das Verständnis und die Unterstützung.
Jürgen Schulz bittet die Arbeitgeber, ihre Mitarbeiter auch weiterhin von der Arbeit freizustellen, damit diese "so ausgezeichnet wie bisher helfen können. Eine Bewältigung dieser Elbeflut wäre ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer nicht möglich", so Schulz. Arbeitgeber können nach Beendigung des Katastrophenfalles beim Landkreis Lüchow-Dannenberg einen Antrag auf Erstattung der Lohn- und Gehaltskosten stellen.
Auch aus dem benachbarten Salzwedel kam Hilfe für das Wendland. 14 Altmärker packten bei Gorleben mit an. Sandsäcke füllen hieß es für die jungen Leute von Aktion Musik. Die Idee dazu hatte David Steinke, nachdem er am Sonntag bereits bei Tangermünde, Arneburg und Werben mit gegen die Wassermassen gekämpft hatte. "Wir wollen den Leuten im benachbarten Wendland helfen", sagte er. Über das soziale Netzwerk Facebook hatte er Freunde eingeladen, mit ins Nachbarbundesland zu fahren. Vormittags machten sie sich gen Norden auf. "Wir haben einige Stunden Sandsäcke gefüllt, bis sie alle waren", sagte David Steinke. Am späten Nachmittag ging es für sie zurück nach Hause.