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Bauprojekt Wie weiter am Magdeburger Stadtmarsch?

Im Magdeburger Stadtrat wird am Donnerstag weiter über die Bebauung des Stadtmarsches diskutiert. Vorab eine Faktensammlung.

Von Katja Tessnow 22.01.2020, 09:35

Magdeburg l Vor zwei Jahren präsentierten die beiden Magdeburger Großvermieter Wobau und MWG erstmals Pläne zum Bau eines neuen Wohnviertels am Eingang zum Stadtpark. Entstehen sollen rund 300 Wohnungen und Einrichtungen zur öffentlichen Nutzung, wie Gastronomie.

Der potenzielle Bauplatz
Das zur Bebauung vorgesehene Grundstück ist 3,5 Hektar groß – zum Vergleich: Der gesamte Stadtpark plus Stadtmarsch bis Strombrücke misst 350 Hektar – und liegt zwischen Messeplatz und dem einzeln stehenden Wohnhaus neben dem MDR-Funkhaus. Aktuell wird es von einer nach Verhandlungen mit den bauwilligen Unternehmen (Abfindungszahlungen) in Auflösung befindlichen Kleingartensparte und einem wilden Grünbereich geprägt. Einen Teil des Geländes hat die MWG von Privatbesitzern angekauft. Eine andere Teilfläche hat die Stadt aus ihrem Besitz der eigenen Wohnungsbaugesellschaft Wobau überlassen.

Historie
Vor dem Krieg war die Fläche bebaut und bereits in den 1920er Jahren strebten die Protagonisten des Neuen Bauens um Bruno Taut eine Entwicklung zum urbanen Viertel samt Rathaus und Wohnbebauung am Standort an. Zur Umsetzung kam es nicht. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg blieb die Fläche, abgesehen von der Gartennutzung auf einem Teilbereich, unangetastet und dem grünen Wildwuchs überlassen.

Projekt im Wandel
Was genau am Standort entstehen könnte, ist noch in der Debatte. Die nach einem Architekturwettbewerb von MWG und Wobau favorisierte Hochhausbebauung ist vom Tisch. Stattdessen werden die Planungen auf Basis eines zurückhaltenderen Entwurfs mit terrassenförmigen Wohnblöcken und einem Parkhaus-Riegel Richtung Messeplatz fortgeführt. Im Gegenwind kritischer Stimmen schwenkten MWG und Wobau auf ein ökologisches Musterprojekt, dass sich mit Sonnenenergie teils selbst versorgen soll, ein. Weitere Teile sind neben dem Platz für rund 300 Wohnungen zur öffentlichen Nutzung vorgesehen (Gastronomie, Stadtplatz, Steg über die Elbe).

Baumschutz
Schon Anfang 2019 ließ die MWG einen Teil der zur Bebauung vorgesehenen wilden Grünfläche roden – und kassierte dafür neun Monate später eine Geldstrafe. Die Stadt stufte die unangemeldete und ungenehmigte Rodung als Ordnungswidrigkeit ein; Nachpflanzungen sind angewiesen. Auf die Frage, wie viele schutzwürdige Bäume aktuell noch auf dem potenziellen Baugrundstück stehen und wie viele davon durch eine Bebauung gefährdet wären, verweigert die Untere Umweltschutzbehörde bei der Stadtverwaltung eine Antwort. Rathaussprecherin Kerstin Kinszorra informiert knapp: „Dazu äußern wir uns nicht, da es sich hierbei um ein privates und nicht um ein städtisches Grundstück handelt.“ Am Rande der Kontra-Bebauung-Kundgebung am Montag vor dem Rathaus verwies Wobau-Chef Peter Lackner auf Überlegungen der Bauherren zur Verkleinerung des Baufeldes (Wegfall zweier Wohnhäuser) zugunsten des Baumschutzes.

Hochwasserschutz
Beim Elbe-Rekordhochwasser 2013 war die zur Bebauung vorgesehene Fläche nicht von Überflutung betroffen, gibt Burkhard Henning, Direktor des Landesbetriebes für Hochwasserschutz, auf Nachfrage zu Protokoll. Ein potenzielles Risiko künftiger Überflutungen könne zum Zeitpunkt weder bestätigt noch dementiert werden. „Genau das muss im Bauleitverfahren geprüft werden“, so Henning.

Denkmalschutz
Gehört das Areal zum Stadtpark Rotehorn (immerhin ein Flächendenkmal) oder nicht? Oberbürgermeister Lutz Trümper sagt entschieden nein, Gegner der Bebauung verweisen auf den Flächennutzungsplan 2002, der das Areal bis zur Strombrücke als Teil des Stadtparkes ausweist. Trümper sagt, der genannte Plan habe dies „falsch dargestellt“. Die Untere Denkmalschutzbehörde bei der Stadtverwaltung ließ eine Bitte der Volksstimme um abschließende Aufklärung unbeantwortet.

Befürworter
Das Bauvorhaben am Stadtmarsch hat prominente Unterstützer, zu denen neben Oberbürgermeister Lutz Trümper auch dessen Amtsvorgänger Willi Polte, SCM-Geschäftsführer Marc-Henrik Schmedt, Stadtplanungschef a. D. Eckart Peter, IHK-Vizepräsident Rolf Lay und - nach anfänglichem Widerstand – Schaustellerchef Karl Welte gehören. Sie alle und noch eine Menge weiterer Befürworter des Projektes versprechen sich von einer Bebauung eine große Chance zur Aufwertung des Filetstücks.

Gegner
Der Bund für Umwelt und Naturschutz, weitere örtliche Umweltinitiativen (u. a. Fridays for Future), eine eigens gegründete Bürgerinitiative, Stadträte mehrerer Fraktionen und weitere Magdeburger stehen einer Bebauung ablehnend gegenüber. Sie führen den Umweltschutz im sensiblen Bereich dicht am Flora-Fauna-Schutzhabitat „Mittlere Elbe“ einerseits und die hinreichenden Möglichkeiten zur Schaffung neuen Wohnraums ohne Eingriffe in die Natur als Argumente an.

Bürger
Wie die Mehrheit der Magdeburger über das Projekt denkt, ist schwer einzuschätzen. Eine von den Linken bereits Anfang 2018 beantragte Bürgerbefragung lehnte der Stadtrat mehrheitlich ab. An einer nicht repräsentativen Volksstimme-Umfrage Ende 2018 zu zwölf Entwürfen für eine mögliche Bebauung hatten sich insgeamt 2106 Leser beteiligt. Die meisten Stimmen (753/35,7 Prozent) waren auf einen heute verworfenen Vorschlag mit Hochhäusern entfallen. 99 Stimmen (4,9 Prozent) hatten sich für keinen Vorschlag entscheiden können oder eine Bebauung abgelehnt.

Aktuelle Ratsbeschlusslage
Auf dem Grundstück herrscht bereits Baurecht, allerdings nicht für Wohnungen, sondern für Gewerbe, genauer für ein Medienzentrum in Nachbarschaft des MDR-Funkhauses. Investoren rückten davon aber bereits vor vielen Jahren ab. Anfang 2018 stimmte der Stadtrat der Einleitung eines Satzungsverfahrens zur jetzt geplanten Wohnbebauung zu. Das Verfahren samt Umweltverträglichkeitsprüfung, Lärmschutzgutachten und Einschätzung zum Hochwasserschutz läuft noch.

Antrag im Stadtrat
Die Fraktion Gartenpartei/Tierschutzallianz fordert die Aufhebung des alten Bebauungsplans für ein Medienzentrum und des Ratsbeschlusses zum Satzungsverfahren für einen neuen B-Plan. Das Areal soll als Grünfläche/Parkanlage mit Kleingärten gesichert, ein Bürgerpark errichtet und bereits gefällte Bäume sollen aufgeforstet werden.

Der Rat stimmt zu
Sagt eine Ratsmehrheit „Ja“ zum Antrag von Gartenpartei/Tierschutzallianz, ist die Bebauung tatsächlich vom Tisch.

Der Rat lehnt ab
Lehnt eine Ratsmehrheit den Antrag ab, gilt noch längst kein Baurecht. Das Bauleitverfahren liefe mit den oben genannten Prüfungen (Umwelt, Lärm, Hochwasser) und mit einer Beteiligung der Öffentlichkeit weiter – Ausgang offen. Vor einem rechtsgültigen Bebauungsplan wären weitere Hürden im Stadtrat zu nehmen. MWG und Wobau planen einen Baustart nicht vor 2023.