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Bilanz / Ausblick Trümper will mit AfD gelassen umgehen

Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) über Stadtentwicklung, sein Verhältnis zur AfD und eine erneute Kandidatur 2022.

Von Rainer Schweingel 29.12.2019, 00:01

Magdeburg l 2019 neigt sich dem Ende zu. Bilanz und Ausblick von Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD):

Volksstimme: Angenommen, jemand aus Magdeburgs Partnerstadt Nashville fragt Sie, wie das Jahr in Magdeburg verlief. Was antworten Sie?

Lutz Trümper: Es war ein Jahr, in dem vieles, was geplant war, auch realisiert werden konnte. Kindergärten wurden übergeben. Förderbescheide für Schulsanierungen sind eingetroffen. In der Wirtschaftsförderung ist das Gewerbegebiet Rothensee jetzt ausgelastet. Es geht also vorwärts. Es gibt aber auch Rückschläge wie das Beispiel Enercon. Es gibt in der Stadt viele Baumaßnahmen, die manche positiv finden wie ich. Die aber auch Nachteile haben wie die Behinderungen im Straßenverkehr. Diese Debatte beherrscht die Stadt. Mit Beginn des Weihnachtsmarktes und der Eröffnung der Lichterwelt ist die Stimmung merklich besser geworden. Darüber freuen sich die Leute. Wenn man alles zusammenfasst, so war 2019 aus meiner Sicht ein ganz normales Jahr.

Wenn Ihnen dieselbe Frage ein Magdeburger stellt, der sich ja hier besser auskennt, was sagen Sie dem?

Dass sich die Stadt gut entwickelt hat. Der Blaue Bock hat Richtfest gefeiert. Die ersten Gebäude im neuen Domviertel sind fertig. Das Hundertwasserhaus hat sich zum Besuchermagnet entwickelt. Und die Innenstadtgestaltung nimmt weiter Formen an. Die Magdeburger werden sicher die Verkehrsbehinderungen genauso beklagen, was in bestimmten Bereichen auch eine wichtige Frage ist. Wenn ich meine Firma in Buckau habe und ich sehe, dass Kunden dort schlecht rankommen, dann ist das ein Problem, manchmal bis zur Betriebsaufgabe.

Und das soll wie gelöst werden?

Mit dem Baustellenthema in Buckau befassen wir uns intensiv. Wir wollen ein Marketingkonzept entwickeln für den Bereich Buckau, damit die Gewerbetreibenden dort überleben können. Wir wollen die Baustelleneinrichtungen optimieren und so hinbekommen, dass alles schneller geht. Einzelheiten kann ich aber noch nicht nennen.

Sie sind jetzt 18 Jahre am Stück im Amt. Was unterscheidet 2019 von allen anderen Amtsjahren?

Es gibt einen Einschnitt politischer Natur. Seit den Kommunalwahlen im Mai ist im Stadtrat die Mehrheit aus CDU und SPD, die es seit 1990 gab, nicht mehr vorhanden. Damit ist die Mehrheitsfindung im Stadtrat schwieriger geworden. Allerdings muss man auch sehen: Die meisten Themen im Stadtrat werden weitgehend einstimmig beschlossen. Da stimmen von Linke bis AfD alle zu, weil man die Sachfragen selten zu politischen Gefechten nutzen kann. Jetzt müssen wir sehen, wie es weitergeht zum Beispiel bei der 2020 anstehenden Wahl der Wirtschafts- und Kulturbeigeordneten.

Welche Lust verspüren Sie auch vor diesem Hintergrund, 2022 noch mal als OB-Kandidat anzutreten?

Diese Entscheidung werde ich 2021 treffen ...

... und machen Sie wovon abhängig?

Unter anderem von der politischen Konstellation ...

... die wird dieselbe sein wie heute.

Ja, aber es ist noch nicht geklärt, ob die SPD mich aufstellt. Das ist eine Frage, über die man reden muss. Das werden wir dann klären, wenn es so weit ist. Und wenn man älter wird, spielt auch die gesundheitliche Frage eine immer größere Rolle, also ob man sich das zutraut. Und ich kann heute noch nicht sagen, wie es in dieser Frage in zwei Jahren bei mir aussieht.

Zweifeln Sie denn daran, dass die SPD Sie aufstellt, vorausgesetzt, Sie wollen selber?

Zweifeln will ich nicht sagen. Ich weiß es einfach nicht. In der SPD gibt es ja immer wieder Diskussionen, um meine Person ohnehin, weil ich ja mal zwei Jahre nicht dabei war und ich in manchen Meinungen auch nicht die linke Seite der SPD vertrete. Da gibt es schon Diskussionen. Wie das am Ende aussieht, muss man daher abwarten.

Den neuen Stadtrat haben Sie schon angesprochen. Wie nehmen Sie aus Sicht eines OB dort die neuen Mehrheitsverhältnisse mit starken Grünen und starker AfD wahr?

Ich sehe da keine großen Unterschiede. Ich bin im Stadtrat jetzt 25 Jahre dabei. Meine Meinung werde ich auch jetzt nicht davon abhängig machen, welche Grundstimmung gerade im Stadtrat herrscht. Ich sage meine Meinung so, wie ich es für richtig halte – da muss ich nicht immer richtig liegen. Kein Mensch ist unfehlbar. Aber ich nehme auch weiterhin keine große Rücksicht. Wenn ich von etwas überzeugt bin, dass es richtig ist, dann sage ich das auch. Und dann muss man sehen. Ob man dafür eine Mehrheit bekommt.

Wie schwer ist es denn jetzt, neue Mehrheiten zu finden?

Das hängt von den konkreten Sachthemen ab. In den meisten Fragen herrscht im Stadtrat weitgehende Einigkeit, zum Beispiel bei Schul- und Kitaplanung oder dem ökologischen Umbau der Stadt. Aber im Detail gibt es dann schon mal Unterschiede.

Zum Beispiel?

Nehmen wir die Energiepolitik. Ich lasse mir da nicht irgendwelche Phrasen oder Überschriften umhängen. Ich bin von Hause aus Naturwissenschaftler und will dann auch wissen: Wie geht das denn konkret? 2022 steigen wir aus der Kernkraft aus und 2038 schalten wir die Kohlekraftwerke ab. Aber es hat mir noch keiner erklären können, wie dann die Energieversorgung des Landes sicher funktionieren kann.

Die AfD ist erstmals in Fraktionsstärke in den Stadtrat eingezogen. Wie sehen Sie deren Arbeit?

Da gibt es eine ganz große Spannbreite. Wir haben eine ganze Reihe von Vorlagen, die wir oder andere Fraktionen einbringen. Da stimmt die AfD dann zu. Dann aber gibt es Fälle, da erschreckt man regelrecht. Ein Beispiel war die Schulplanung. Da hatte ein Abgeordneter der AfD doch tatsächlich vorgeschlagen, man solle ausländische Schüler in separaten Klassen unterbringen, damit die deutschen Schüler vernünftig lernen können. Da geht einem der Hut hoch. Das erinnert an Zeiten, in denen man Kinder, die anders waren, einfach rausgenommen hat aus Schulklassen. Es ist ungeheuerlich, solche Aussagen zu machen. Das hat mit Menschlichkeit nichts mehr zu tun. Ich war neulich in der Weitlingschule mit einem Ausländeranteil von über 70 Prozent. Die meisten der Kinder sprechen sehr gut deutsch und einige von ihnen sind sogar Klassenbeste. Hier Differenzierungen vorzunehmen hat mit Menschlichkeit nichts mehr zu tun. Das ist sozusagen die Spannbreite der AfD: Hier stimmen sie mit vernünftigen Vorschlägen anderer Fraktionen mit. Und dann treffen sie solche unmenschlichen, faschistischen Aussagen. Da kann ich meinen eigenen Ohren nicht trauen, dass so etwas im Stadtrat vorgetragen wird. Da weiß man noch nicht so genau, woran man ist und welche Meinung da am Ende bei der AfD-Fraktion überwiegen wird.

Wie sollte Ihrer Meinung nach mit der AfD umgegangen werden – sie ausgrenzen oder sie wie jede andere Fraktion nehmen?

Ich bin für Gelassenheit und dafür, von Fall zu Fall zu entscheiden. Menschenfeindlichen Aussagen und Vorschlägen müssen wir aber entschieden entgegentreten.

Wie passt dann dazu, dass ausgerechnet Sie in der Novembersitzung des Stadtrates als Einziger mit der AfD dagegen gestimmt haben, dass sich Magdeburg als „Sicherer Hafen“ für Flüchtlinge erklärt?

Man könnte ja auch sagen: Die AfD hat mir zugestimmt. Das können Sie sehen, wie Sie wollen. Ich hatte der SPD schon im August gesagt, dass wir in diesem Punkt nicht zueinanderkommen. Ich habe zu dem Thema Flucht und Asyl eine klare Position aus den Erfahrungen, die ich hier gemacht habe. Ich möchte als Kommune Flüchtlinge aufnehmen, die einen Aufenthaltstitel haben, und nicht die, die keine Chance haben, in Deutschland zu bleiben. Diese Menschen haben nämlich nichts zu verlieren und bereiten daher häufig Probleme. Allein der Name „Sicherer Hafen“ muss ja auch Frust bei den Flüchtlingen erzeugen. Wenn ich denen jetzt in Afrika sage, hier ist ein sicherer Hafen, dann kommen die her, halten sich bei uns auf und nach einem halben Jahr wird den meisten von ihnen gesagt, dass sie wieder nach Hause müssen. Vorher haben sie Geld ausgegeben und sich in Lebensgefahr begeben. Das ist doch kein sicherer Hafen, sondern eine Irreführung der Menschen, die sich da auf den Weg machen.

Ihr Vorschlag stattdessen?

Wir sollten den Menschen sagen, dass sie hier keine Chance auf Asyl haben, und dass wir uns kümmern, dass im jeweiligen Heimatland etwas für den Aufbau gemacht wird. Das ist doch viel sinnvoller, als ihnen zu sagen, kommen Sie her, und dann schicken wir sie wieder nach Hause. Das ist eben anders als bei denen, die aus einem Kriegsgebiet wie Syrien kommen. Das Abstimmungsverhalten im Stadtrat hat mich allerdings überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich die CDU enthält und gar keine Meinung hat. Aber das ist dann eben so. Ich mache meine Meinung nicht davon abhängig, wie die AfD abstimmt.

Dann frage ich mal nach Ihrer grundsätzlichen Haltung zur SPD. Trifft es der Begriff Hassliebe?

Nein.

Wie würden Sie formulieren?

Die SPD redet immer davon, dass wir uns erneuern müssen. Wir erneuern uns schätzungsweise alle zwei Jahre, sagen aber nicht, was das Neue konkret sein soll. Nach meiner Meinung ist das Neue eben nicht, was die SPD als Markenkern hat, nämlich die soziale Gerechtigkeit, sich also um die Schwachen zu kümmern. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit.

Sondern?

Das reicht eben nicht aus, wenn man ein Land regieren will. Immer in den Phasen, in denen die SPD den Bundeskanzler stellte, waren Leute an der Spitze, die wussten, wie Wirtschaft funktioniert. Die wussten, wie man dafür sorgen kann, dass Arbeitsplätze geschaffen werden, und die wussten, wie man das Land modernisieren kann. Das sind doch die zentralen Themen. Ich kann mich nicht nur auf einen Nenner fokussieren und sagen: Wir sind die linke Partei und kümmern uns um die, die schwach sind. Klar müssen wird das auch, aber nicht nur. Mich stört die einseitige Konzentration auf soziale Gerechtigkeit.

Warum?

Das haben auch die Wahlen gezeigt. Mit einer Konzentration auf ein Thema kann man keine 20 Prozent oder mehr bekommen. Für mich ist auch nicht die Frage, ob man in der Koalition bleibt oder nicht. Die zentrale Frage für mich ist das Gesamtangebot der SPD. Dazu gehören Digitalisierung, Modernisierung, ein Umbau der Wirtschaft, ökologische Fragen und vieles mehr. Das ist eine ganz schwierige Materie. Deshalb gehören eben viele Leute dazu, die sich darum kümmern, und nicht nur die, die sagen, ich brauche eine Grundrente. Das ist nur ein Teil einer Gesamtstrategie.

Die SPD hat gerade ein neues Führungsduo gefunden. Angenommen, Sie wären Parteichef: Was wären Ihre Kernthemen für eine erfolgreiche SPD?

Ich würde einen Plan entwickeln und der Bevölkerung vorlegen. Inhalt: Wo wollen wir in zehn Jahren sein? Unser Land kann sich im Moment viele Wohltaten leisten, weil wir wirtschaftlich gut dastehen. Also muss doch das zentrale Ziel sein, dass ich die Wirtschaft am Laufen halte. Ich muss mich also darum kümmern, dass ich im Weltmarkt mit einer starken Konkurrenz aus Asien eine eigene Wirtschaft habe, die funktionieren kann. Das ist die zentrale Frage. Wenn ich das nicht habe, kann ich mir auch keine sozialen Wohltaten mehr leisten. Mir fehlt eine zentrale Aufgabe und Aussage wie: Das ist unsere Strategie, so antworten wir auf die ökologischen Fragen, so bauen wir die Autoindustrie und in diesen Schritten machen wir die Energieumstellung. Und daneben sorgen wir dafür, dass die Leute Arbeit haben. Und dann kommt der zweite Teil, in dem ich dafür sorge, dass es gerecht zugeht.

Mit der Grundrente?

Renten sind eine wichtige Frage. Die Grundrente ist nur ein erster Schritt, aber nicht ganz korrekt umgesetzt. Wenn Menschen, die 33 Jahre gearbeitet haben und damit nicht unter die Grundrente fallen, dieselbe Grundsicherung bekommen wie Menschen, die nie gearbeitet haben, dann ist das nicht gerecht. Es muss aus meiner Sicht ein System aufgebaut werden, das einen Grundbetrag vorsieht. Alle, die was eingezahlt haben, müssen dann anteilig was obendrauf bekommen – damit sie ein Motiv haben, arbeiten zu gehen, weil die Arbeitsleistung auch anerkannt wird.