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Zweiter Weltkrieg Der Bomber-Abschuss über Magdeburg - Zeitzeugen erzählen von Kriegsnacht

Der 16. Januar 1945 gehört zu den furchtbarsten Daten in der Magdeburger Stadtgeschichte. Damals legten englische Bomber die Innenstadt in Schutt und Asche.

Aktualisiert: 26.4.2021, 11:11

Magdeburg. Tausende Opfer waren damals in Magdeburg zu beklagen. Was kaum jemand weiß: Es gab auch Tote unter den Angreifern. Eine Maschine stürzte in Alt-Olvenstedt ab. Die Geschichte hat der Heimathistoriker Sven Holste aus dem Stadtteil Magdeburger Stadtteil Alt-Olvenstedt aufgearbeitet.

Zum Bomberverband, der in den Abendstunden des 16. Januar 1945 Magdeburg angriff, gehörten auch 15 Halifax Bomber der No. 466 Squadron (Staffel) der Royal Australian Air Force (RAAF). Für eine Maschine dieser Staffel endete der Krieg um 21.54 Uhr direkt über der Elbestadt.

Anflug über Helgoland, Hannover und Braunschweig

Was genau in den Köpfen der Besatzung der NP969, vom Typ Halifax III vorgegangen ist, ist nicht überliefert. Fest steht, dass sie, wie die anderen Angehörigen dieser Staffel um 12.30 Uhr auf der Basis in Driffield in England über den nächtlichen Einsatz in Magdeburg informiert wurden. Während der Unterweisung rüsteten die Bodenmannschaften die eingeplanten Maschinen mit je einer 2.000-Pfund-Luftmine und je elf Container mit insgesamt über 1.300 Stabbrandbomben aus. Entsprechend der Order wurden die Maschinen vollgetankt.

Wie für die anderen Mitglieder der Squadron galt Magdeburg auch für die Mitglieder der siebenköpfigen Crew unter dem Kommando des Piloten Flugoffizier Lydon F. B. Barrett aus Australien als ein Ziel mit äußerst starker Luftverteidigung. Die junge Besatzung startete um 18.35 Uhr gemeinsam mit den anderen 14 Maschinen ihrer Einheit in Richtung Helgoland. Dort drehte die Staffel in Richtung Südosten, um mit anderen Verbänden an Bremerhaven vorbei, über Hannover und Braunschweig, Magdeburg anzufliegen.

Nachtjäger im Luftraum

Die 466. Squadron hatte in dieser Nacht den Auftrag Industrie-Anlagen und bebautes Gebiet anzugreifen. Der Auftrag für die Besatzung der Halifax NP969 lautete detailliert, Eisenbahngleise und Bahnhöfe zu bombardieren. Wie ein Einsatzbild einer anderen Maschine aus dieser Nacht belegt, konnten die Besatzungen die Details am Boden durch die abgeworfenen Beleuchtungsbomben (im Volksmund „Christbäume“ genannt) und den vorhandenen Schnee sehr gut erkennen und warfen gegen 21.43 Uhr ihre verheerende Ladung ab.

Das scheint der Moment gewesen zu sein, auf den der einzige deutsche Nachtjäger im Magdeburger Luftraum nur gewartet zu haben schien. Oberleutnant August Wiethüchter vom 9. Nachtjagdgeschwader 3 griff mit seinem Nachtjäger vom Typ JU 88 die Halifax an.

Was sich zu diesem Zeitpunkt an Bord des Bombers abspielte, schrieb der Navigator, Sergant Cecile F. White, nach seiner Befreiung 1945 an die Mutter von Funker William Thomas Simpson, dem jüngsten Besatzungsmitglied: „Wir hatten gerade unseren Abwurf beendet, als wir von einem Nachtjäger angegriffen wurden. Schaut euch die Leuchtspuren an, sagte der Pilot Lyndon Barrett. Er hatte nicht gemerkt, dass wir das Ziel waren. Ich war der Erste, der das bemerkte, als die ersten Geschosse im Bereich meiner Station einschlugen. Ich schlug sofort Alarm. Um dem Angreifer auszuweichen, versuchte der Pilot in den Sturzflug zu gehen. Aber der Schaden war schon zu groß. Der Kanzelschütze Jack Powell sagte: ’Skipper, die beiden Steuerbordmotoren brennen.’ Im Flugmanöver begann die Maschine zu rotieren. Lyndon sagte: ’Steigt aus!’ Ich legte meinen Fallschirm an und versuchte die Luke unter meinem Sitz zu öffnen. Ich wurde an den Boden der Maschine gepresst und verlor das Bewusstsein.“

Flugzeug schlug am Magdeburger Ortsrand auf

Dafür sorgten die während der Abwärtsspirale auftretenden G-Kräfte. Ihnen hielt auch der Bomber nicht stand. Er brach noch in der Luft auseinander. In diesem Moment wurde White ins Freie geschleudert, kam zu Bewusstsein und öffnete seinen Schirm. Die Teile der Halifax schlugen am Ortsrand von Olvenstedt auf dem Acker auf und brannten aus.

Natürlich machten sich viele Olvenstedter am Morgen des 17. Januar auf den Weg, um das abgeschossene Feindflugzeug zu besichtigen. Es war kein schöner Anblick mit den sterblichen Überresten, wie Augenzeugen berichten. Ein riesiges Trümmerfeld überzog den mit Schnee bedeckten Acker. „Ich kann mich bei dem einen noch genau an die Bomberjacke mit dem Fellkragen erinnern und dass er graue Wollsocken anhatte, wo die Zehen rausguckten. Die Stiefel hatte man ihm schon ausgezogen. Erst ein älterer Mann stoppte dies entwürdigende Schauspiel. Er fragte die anderen Erwachsenen, ob sie sich nicht schämen würden. Dann haben sie die Sachen wieder hingelegt“, erinnert sich Inge Rudolph, (lebt heute in Bremen) die damals als 14-Jährige mit ihrer jüngeren Schwester Helga (damals sieben Jahre alt), die Absturzstelle besuchte.

Helga Scherping ergänzt: „Das sah alles ganz schön wüst aus. Überall die Trümmer. Auf einmal kamen ein paar Männer mit einem Pferdewagen, auf dem Stroh lag und legten einen Überlebenden drauf. Sie haben ihn dann weggefahren. Helga Scherping, meine spätere Schwiegermutter, war Rot-Kreuz-Helferin und gab dem einzigen Überlebenden noch etwas zu trinken. Er hat es aber nicht geschafft.“

Britische Soldaten auf Friedhof exhumiert

Gefunden wurde die sterblichen Überreste von Pilot Lyndon F. B. Barrett, Bombenschütze H. F. King, Heckschütze F.W. Lee, Funker William Thomas Simpson, Flugingenieur William T. C. Mount und Kanzelschütze Jack Powell, lediglich die drei letztgenannten konnten anhand ihrer Erkennungsmarken eindeutig identifiziert werden konnten. Die Toten wurden am 19. Januar 1945 in aller Stille an der Westseite des Olvenstedter Friedhofs, rechts neben der Kapelle beigesetzt. Alle beigesetzten Besatzungsmitglieder der Maschine wurden am 30. Mai 1947 von britischen Soldaten exhumiert und auf den alliierten Soldatenfriedhof in Berlin umgebettet.

Navigator Cecil F. White hatte sich bei der Landung verletzt und ergab sich am Morgen des 17. Januar 1945 den Deutschen, da eine Flucht auf Grund der Verletzungen keinen Sinn machte. Er wurde in ein Gefangenenlager transportiert. Nach seiner Befreiung kehrte er schwer traumatisiert nach Großbritannien zurück.

Zum Autor: Sven Holste ist Heimathistoriker in Magdeburg und arbeitet seit vielen Jahren ehrenamtlich Geschichten rund um den 16. Januar 1945 auf. Dazu recherchierte er auch in Archiven in London und steht mit Familien der Besatzung in Kontakt.

Quellen: Sterbebuch Olvenstedt im Landeskirchenarchiv,Familie von William Thomas Simpson, John Dann (Friends of 466&462 Squadron.com)