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Leser schildern unvergessene Erlebnisse / Berühmte Sänger standen einst auf der Bühne und es gab sogar Radrennen Erinnerungen an Glanzzeiten des Kristallpalastes: "Hier fand ich 1965 die Liebe meines Lebens"

Von Jana Heute 30.03.2012, 05:11

Ist der Kristallpalast noch zu retten? Viele Magdeburger haben die Hoffnung auf Erhalt des einstigen Ballhauses, das seit Jahren verfällt, noch nicht aufgegeben. Selbst junge Leute engagieren sich dafür. Volksstimme-Leser schildern in Briefen ihre Erinnerungen an den großen Kristallpalast.

Magdeburg l Mitte März organisierten junge Magdeburger vom "Kristallpalast Magdeburg e.V." eine erste Ausstellung mit Sammlerstücken aus dem Kristallpalast an der Leipziger Straße, der 1986 geschlossen wurde und seither verfällt. Alte Lampen, Programmhefte für Tanz-, Varieté- und Kabarettabende, Fotos u. v. m. waren darunter. In diesem Zusammenhang hatte die Volksstimme Sie, liebe Leser, gebeten, uns an Ihren persönlichen Erinnerungen an den Kristallpalast teilhaben zu lassen, und es ist tatsächlich reichlich interessante Post bei uns eingegangen. Nachfolgend Auszüge aus bisherigen Briefen:

Eine berührende Geschichte schrieb Monika Darius aus Magdeburg:

"Es war im Oktober 1965, ich war 17 Jahre alt und durfte das erste Mal mit meinen Eltern zum Betriebsvergnügen gehen. Ich war sehr aufgeregt! Es wurde extra ein neues Kleid angeschafft. Wir gingen in den Kristallpalast. Oben im großen Saal spielte ein Orchester für die ältere Generation, und unten spielte, nach dem Essen, die Band ,Klosterbrüder\'. Die erste Zeit blieb ich bei meinen Eltern am Tisch sitzen. Irgendwann zog es mich dann in das Untergeschoss zu den Jüngeren. Da ich aber keinen kannte, stellte ich mich an eine Säule und sah den Tanzenden zu. Als ich mich weiter umsah, nahm ich den Blick eines jungen Mannes wahr, der am Bierausschank mit einem anderen blonden Mann stand. Er sagte etwas zu dem Blonden und dann sahen beide zu mir rüber.

Ich blieb noch eine Weile stehen. Als ich mich schließlich umdrehte, um zu gehen, stand der junge Mann hinter mir und forderte mich zum Tanzen auf. Wir haben den Rest des Abends mit tanzen oder an der Bar verbracht, bis mich mein Vati zum Gehen aufforderte. Wir verabredeten schnell ein Wiedersehen. Dieses Fest im Kristallpalast war der Beginn meiner großen Liebe, die im letzten Jahr durch den Tod meines Mannes ein Ende nahm."

Günter Grau berichtet u. a.:

"Im Kristallpalast fanden um 1922 Radrennen statt! Zu diesem Zeitpunkt existierte (1897-1929) eine 400 m lange Radrennbahn an der Berliner Chaussee. Diese Zementbahn sah in den Sommermonaten großen Radsport mit Stars, Weltmeistern und Lokalmatadoren, wie Pepi Brummert, Otto Michaelis oder Georg Bauer. Magdeburg wäre damals nicht die Stadt der Radfahrer gewesen, wenn sie nicht nach Alternativen für die Wintermonate gesucht hätte. Sicherlich inspiriert vom Sechstagesport in den großen europäischen Metropolen hatte man die Idee, Saalradrennen im Kristallpalast durchzuführen. Die Presse schrieb am 13. Januar 1922 vom regen Interesse der ca. 900 Zuschauer. Das Zweiermannschaftsrennen gewannen Otto Nitze und Carl Jahns, natürlich mit einer Übersetzung, die keine großen Geschwindigkeiten zugelassen hat, dazu war das Areal doch sehr beengt, denn die Bahnlänge betrug 65 m. Die Fahrer müssen hinterher einen echten Drehwurm gehabt haben. Trotzdem fanden mehrere Renntage statt und brachten so etwas Flair von Sechstagerennen an die Elbe."

Auch H. Brinck aus Magdeburg berichtet:

"Im Kristallpalast wurden auch diverse Sportveranstaltungen durchgeführt, z. B. ein Städte-Boxvergleichskampf Magdeburg-Königslutter am 12. Januar 1951."

Renate Böhm aus Magdeburg erinnert sich so:

"Nicht nur die heitere Muse hatte im Kristallpalast ihre Heimstatt, sondern auch die klassische Musik. Meine Erinnerungen beziehen sich auf die 50er Jahre, in denen es viele Opern- und Operettenkonzerte gab, die sich eines großen Zuspruchs der Magdeburger Musikliebhaber erfreuten. Vor unserem Haus stand eine Litfaßsäule, an der ich die großplakatigen Ankündigungen der Konzerte schon vom Küchenfenster aus wahrnehmen konnte. Hauptsächlich waren es die beliebten Solisten der Städtischen Bühnen Magdeburg, wie Lothar Anders (Tenor), Bruno Aderhold (Bariton), Irma Hofer (Sopran), Marga Baakes-Bolitsch (Alt), Gilla Garstecki (Soubrette), Otto-Willi Gelhausen (Bass), welche im Kristallpalast auftraten.

Einen Höhepunkt in der Geschichte des Kristallpalastes stellte der Auftritt der international berühmten Sängerin Erna Berger dar. Im Rahmen einer Deutschland-Tournee weilte Erna Berger mit einem Lieder- und Arienabend am 9. September 1955 im ausverkauften Kristallpalast. Neben Magdeburg trat sie in der DDR nur noch in Berlin, Dresden und Leipzig auf.

Dieser Abend wurde von Erna Berger in ihren persönlichen Aufzeichnungen als ,sehr gut\' eingeschätzt. Und das Publikum war begeistert, dieser unverwechselbaren Stimme lauschen zu können. Unter der Überschrift ,Erna Berger begeisterte die Magdeburger\' schrieb die Musikkritikerin Margarethe Hirte am 13. September 1955 in der ,Volksstimme\': ,Wir sind beglückt, Erna Berger wieder einmal gehört zu haben, die Meisterin des Koloraturgesanges, diesen leichten, zarten und doch so kräftigen hohen Sopran.\' Ein weiterer Höhepunkt des Magdeburger Musiklebens, an welchen ich mich erinnern kann, war das Auftreten von Solisten der Mailänder Scala. Ausverkauftes Haus! Solisten des Maxim-Gorki-Theaters waren unter den Zuhörern auszumachen. Das Glanzstück war natürlich das Quartett aus ,Rigoletto\': ,Als Tänzerin erschienst du mir\'. Derartige Auftritte im Kristallpalast sind mir unvergessen. Gerade die 50er Jahre boten den Musikinteressierten viel, und dazu bot unser Kristallpalast den entsprechenden Rahmen."

Wolfgang Tonn schreibt:

"An den Kristallpalast habe ich aus meiner Kinderzeit sehr schöne Erinnerungen. Mitte der fünfziger Jahre arbeitete meine Mutter bei der GHG Lebensmittel, am Fuchsberg. In der Vorweihnachtszeit richtete der Betrieb im Kristallpalast seine Kinderweihnachtsfeier aus. Als damals achtjähriger Junge war es für mich ein aufregendes Erlebnis, wenn wir an diesem Tag in den festlich geschmückten Ballsaal einrücken konnten. Dieser wunderschöne Saal gehörte dann nur uns Kindern. Bei Lebkuchen und anderen Weihnachtsleckereien erlebten wir eine fantasievolle Märchenaufführung und sangen Weihnachtslieder. Wie habe ich mich damals gefreut, als der Weihnachtsmann mir bei dieser Feier das gewünschte Buch: "Die Kinder des Kapitäns Grant", von Jules Verne, brachte. Dieses Buch habe ich heute noch und lese immer wieder gern darin. Dann denke ich oft an diese schöne Zeit zurück. Heute blutet mir das Herz, wenn ich an der Ruine des Kristallpalastes vorbeikomme.

Deshalb wünsche ich dem Verein zur Rettung dieses Kulturdenkmals viel Erfolg."