Das Sommerinterview: Heute mit Christian Ruppert, scheidender Verwaltungsdirektor des Theaters Magdeburg "Es ist für mich nicht vorstellbar, den Nachlassverwalter zu spielen"
Zur Serie "Das Sommerinterview" treffen sich Volksstimme-Redakteure an ungewöhnlichen Orten mit Menschen, die das Stadtleben auf unterschiedliche Weise prägen. Heute kommt Christian Ruppert zu Wort. Der 43-Jährige arbeitete ein Jahrzehnt lang als Verwaltungsdirektor städtischer Bühnen im Dienste theaterbegeisterter Magdeburger. Während das Theater auf dem Domplatz die letzten Kulissen seines Sommer-Open-Airs beräumte, packte auch Ruppert die Koffer. Er beendet seinen Dienst am Theater Magdeburg und wechselt ans Staatstheater Nürnberg. Katja Tessnow sprach mit ihm über Abschied und Neubeginn.
Volksstimme: Abschiedsschmerz oder Vorfreude - was überwiegt bei Ihnen?
Christian Ruppert: Ich bin 2001 nach Magdeburg gekommen und habe noch unter Wolf Bunge meine Arbeit an den Freien Kammerspielen begonnen. Ich habe noch seinen Satz im Ohr: "Es ist besser Magdeburg hinter sich als vor sich zu haben." Ich sehe das nicht so. Ich weiß, welche Spielwiese, welche gigantischen Möglichkeiten ich hier mit dem Team Wellemeyer/Scharfenberg (ehemaliger Generalintendant und ehemalige Chefdramaturgin am Theater Magdeburg - d. Red.) hatte. Die Möglichkeit, an so einem Steuerrad zu drehen und dabei nicht von Bord gefallen zu sein, das war schon toll. Aber jetzt bin ich fertig, nicht mit der Welt, aber mit meiner Aufgabe hier. Das Gefühl habe ich ganz stark.
"Ich bin fertig mit meiner Aufgabe hier"
Volksstimme: Hat Ihr Gefühl auch mit dem Weggang des ehemaligen Generalintendanten Tobias Wellemeyer im Jahr 2009 und seiner Nachfolgerin Karen Stone zu tun?
Christian Ruppert: Ich bin inhaltlich schon sehr mit dem Theater von Wellemeyer und Scharfenberg sozialisiert und davon auf lange Strecke geprägt. Unsere Aufgabe, 2003 zwei auf Feindschaft gebürstete Häuser zusammenzubringen, also die Freien Kammerspiele und das Theater der Landeshauptstadt zu fusionieren, einen enormen, auch politischen Gegenwind zu spüren und doch zu erleben, dass es geglückt ist, weil da Menschen waren, die etwas wollten und die Vorurteile abgebaut haben, das bleibt ein tolles Erlebnis.
Karen Stone pflegt einen anderen Ansatz als ihr Vorgänger, möchte eine stärkere Internationalisierung des Theaters. Problematisch ist allerdings, dass die Finanzierungsstrukturen erneut ins Wanken geraten können, denn die Debatte um die Theaterförderung hält an.
Volksstimme: Befürchteten Sie neue Einschnitte?
Christian Ruppert: Ich habe die Befürchtung, dass die Struktur, die wir hier jahrelang aufgebaut haben, wieder den Berg runter rollt. Und es ist für mich nicht vorstellbar, den Nachlassverwalter zu spielen. Ich kann doch nicht mein eigenes Baby zu Grabe tragen.
Volksstimme: Was ist der Grund für Ihre Befürchtungen?
Christian Ruppert: Diese Riesenmaschinerie mit 450 Mitarbeitern bedingt, dass, wenn wir die Leute anständig und nach Tarif bezahlen wollen, es Jahr für Jahr mehr Geld kostet. Eine Tariferhöhung um einen Prozentpunkt bedeutet 200000 Euro mehr Lohnkosten. Um die einzuspielen, müssten wir unseren Umsatz um zehn Prozent steigern, was nicht zu machen ist. Aber das will kaum jemand hören, weil die Theater ohnehin schon Millionenkosten verursachen. Man muss es also wollen. Man muss diesen Kreislauf aus einem Selbstverständnis heraus am Laufen halten wollen, weil man sich als Landeshauptstadt versteht.
Die Leute sollen stolz auf ihr Theater sein, selbst die, die nicht hingehen. Das funktioniert doch beim Fußball auch. Wenn der FCM in seinem schönen, neuen Stadion in der 2. Liga spielen würde, wären alle stolz.
Volksstimme: Die aktuellen Theaterförderverträge mit dem Land laufen 2012 aus. Haben Sie schon Signale, was danach kommt?
Christian Ruppert: Wenn man Tarifsteigerungen bei den Neuverhandlungen nicht berücksichtigt, geraten die Strukturen an den Theatern ins Wanken. Der neue Kultusminister plant einen Kulturkonvent, der im Laufe der nächsten zwei bis drei Jahre eine Verständigung über die zukünftige Theaterlandkarte in Sachsen-Anhalt erreichen soll. Aber dann wäre es für die Theater viel zu spät. Dann heißt es wieder, dort herrsche Misswirtschaft und man kann, wenn man das will, schnell eine Theaterleitung darüber stolpern lassen.
"Die Leute sollen stolz auf ihr Theater sein"
Volksstimme: Welchen Rat geben Sie Magdeburger Theaterfreunden zum Abschied auf den Weg, auf dass dies nicht passiert?
Christian Ruppert: Wenn ein paar Orchestermusiker mit ihren Instrumenten vor dem Landtag protestieren, wird das wenig bis rein gar nichts nutzen. Wir haben unsere Klagehaltung deshalb auch abgelegt. Das bringt nichts. Die Politik hat gute Argumente sogar für Kürzungen auf ihrer Seite. Es fehlt ja tatsächlich an Geld. Es muss also ein starkes Signal von den Menschen in der Region kommen, dass sie das Theater wollen.
Ich meine das gar nicht erpresserisch, sondern als Hilfestellung für die Politik.
Volksstimme: Ist die finanzielle Lage des Theaters denn in Nürnberg wesentlich besser?
Christian Ruppert: Das Nürnberger Haus hat das Glück, neben München als ein Staatstheater geführt zu werden. Träger ist eine Stiftung öffentlichen Rechts, deren Gremien von der Stadt Nürnberg und vom Freistaat Bayern paritätisch besetzt sind. Die Last der Theaterfinanzierung ist also auf zwei starke Schultern gleichermaßen verteilt. Tarifaufwüchse werden hier übrigens bei der Förderung berücksichtigt. Das ist gegenüber der Lage in Sachsen-Anhalt ein Quantensprung.
Volksstimme: Haben Sie beim Wechsel von Magdeburg nach Nürnberg Sorge vor einem Kulturschock?
Christian Ruppert: Im Gegenteil, es gibt viel mehr Parallelitäten als die meisten glauben. Wo immer ich erzähle, ich gehe nach Nürnberg, höre ich hier: Oh, toll! Dann stelle ich fest, dass die meisten aber noch gar nicht dort waren und habe versucht zu ergründen, woher die Begeisterung kommt. Ich habe herausgefunden: Bei Nürnberg denken alle nur an den Christkindlesmarkt. Das ist eine Marke, die funktioniert.
Daneben ist Nürnberg aber wie Magdeburg nicht immer eine Stadt für den ersten Blick. Sie hat im Krieg städtebaulich ziemlich gelitten.
"Bei Nürnberg denken alle an den Christkindlesmarkt"
Volksstimme: In welcher Erinnerung behalten Sie die Magdeburger?
Christian Ruppert: Das hat Stephan Michme mit den Liedern seiner Magdeburg-CD ganz gut getroffen. Was die Magdeburger betrifft, man muss das Miesepetrige, das hier auch unterwegs ist, gar nicht wegbügeln, und erkennt trotzdem, dass es hier unheimlich viele Leute gibt, die etwas wollen. Da ist viel von dem Geist, den wir damals mit der Wellemeyer-Truppe rüberbringen konnten.
Michme hat am 4. Juli in unserer Theaterkulisse auf dem Domplatz ein Konzert gegeben. Es hat geregnet und der Michme ist regelrecht auferstanden vor der Domkulisse. Da kam jede Menge Lebenslust abseits aller Tümelei, ganz weltoffen, rüber. Und das vor der Domkulisse!
Der Dom, das ist für mich einfach immer das prägnanteste Symbol für Magdeburg geblieben, wenn er schon vom Weitem ins Blickfeld rückte. Das ist ungeheuer schön.
Insofern verlasse ich Magdeburg wirklich mit Wehmut.