Forschergeist: Die Intelligenz des Kollektivs
Von Yale nach Magdeburg: Die Deutsch-Iranerin Sanaz Mostaghim ist für das laufende Wintersemester auf die renommierte Erxleben-Professur der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg berufen worden. Ihr Spezialgebiet: Schwarmintelligenz. Bei der Forschung helfen ihr auch Glühwürmchen.
Magdeburg l Im Nationalpark Great Smoky Mountains im US-Bundesstaat Tennessee kann man das Naturschauspiel beobachten. Hunderttausende Glühwürmchen, die erst durcheinander und plötzlich synchron blinken. "Warum machen die das?", fragt Prof. Dr. Sanaz Mostaghim und beschreibt damit eine wesentliche Frage ihrer Forschung. Sie ist Spezialistin auf dem Gebiet der Schwarmintelligenz und des Organic Computing. Wisesenschaftler wie sie versuchen, komplexe und vernetzte Softwaresysteme nach dem Vorbild der Natur zu modellieren. Das können staatenbildende Insekten wie Ameisen, Bienen, Termiten, Vogelschwärme - oder eben Glühwürmchen sein.
Noch ist das Büro von Sanaz Mostaghim (38 Jahre) etwas karg. An der Wand hängen noch keine Bilder, im Schrank sind nur wenige Bücher. Lediglich auf dem Schreibtisch stehen zwei Monitore und ein Laptop. "Ich bin noch auf Wohnungssuche" sagt die gebürtige Iranerin.
Sanaz Mostaghim studierte biomedizinische Elektrotechnik in Teheran. Promoviert hat sie 2004 an der Universität in Paderborn. Nach mehreren Forschungsaufenthalten am ETH Zürich arbeitet die Informatikerin seit 2006 am renommierten Karlsruher Institut für Technologie (KIT), wo sie 2012 auch habilitierte. Bis vor wenigen Wochen war sie Gastwissenschaftlerin an einer der bedeutendsten Universitäten der Welt: der Yale University in den USA. Nun wurde Sanaz Mostaghim auf die begehrte Erxleben-Professur der Otto-von-Guericke-Universität berufen (Volksstimme berichtete). Sie setzte sich gegen 17 Mitbewerber durch und kann nun ein Jahr an der Fakultät für Informatik forschen und lehren. "Ich bin sehr glücklich, hier zu sein", sagt sie.
Wenn Sanaz Mostaghim über ihre Forschung spricht, überschlagen sich ihre Worte. Sie zeigt Videos, öffnet Computer-Programme, die sie selbst geschrieben hat, holt eine kleine Drohne aus dem Schrank und will sie im Zimmer fliegen lassen, malt Schaubilder auf ein Stück Papier - und spricht über Glühwürmchen.
"Einzelne Teile haben gemeinsam ein globales Verhalten. Auf einmal entsteht etwas Besonderes, ein Muster wird erkennbar", sagt Sanaz Mostaghim. In Karlsruhe hält die Forscherin auch Vorträge für Kinder. "Ameisen", sagt sie. Die kommunizieren mit Duftstoffen. Das Kollektiv weiß, wie es zu handeln hat. "Das Gleiche machen wir mit Robotern." Die werden beispielsweise so programmiert, dass sie Farben erkennen. Oder Drohnenschwärme, die Formationen bilden können, weil sie miteinander kommunizieren.
"Stellen Sie sich vor, wir könnten diese Technik bei der Bekämpfung von großen Waldbränden einsetzen", sagt Sanaz Mostaghim. Es müsste kein Menschenleben gefährdet werden. Die Technik ist leicht und vergleichsweise günstig. "Wenn ein paar Drohnen ausfallen, wäre das nicht schlimm. Der Schwarm würde weiter funktionieren", erklärt sie. Das ist auch ein Trend, der schon länger in der Informatik-Forschung Einzug gehalten hat. Es geht darum, die Natur möglichst genau zu imitieren. Dabei dreht sich oft alles um Optimierungsfragen. Wenn eine Ameise beispielsweise etwas von A nach B transportieren muss, dann tut sie das auf dem effektivsten Weg. "Ameisenalgorithmen. Davon können wir lernen", sagt sie und lächelt. Philosophisch ausgedrückt: Man hat einen Sachraum mit vielen möglichen Lösungen. Für Informatiker wie Sanaz Mostaghim geht es darum, sich auf die beste Lösung zuzubewegen.
Schon als Kind in Teheran interessierte sie sich für Technik. Der Vater Chemie-Professor, die Mutter Mode-Designerin. Ihre größte Leidenschaft ist das Reisen. "Ich bin sehr gern unterwegs", sagt sie. Eine Leidenschaft, die sich wunderbar mit ihrem Beruf verbinden lasse. Ihr Mann wohnt in Karlsruhe, ist Wirtschaftswissenschaftler. "Er unterstützt mich, ohne ihn ginge so ein Leben nicht", sagt sie.
Obwohl sie schon auf fast allen Kontinenten der Erde war, habe sich ein Traum für sie bisher noch nicht erfüllt. "Ich habe in freier Wildbahn noch nie Glühwürmchen gesehen", sagt die Wissenschaftlerin und lächelt.
Vielleicht habe sie ja in Magdeburg Glück.