In der Sonnabendnacht malten rund 1200 Magdeburger vom Kleinkind bis zum Rentner den Hasselbachplatz an Hassel in Farbe: Friedliche Kreide-Botschafter
Der Hasselbachplatz sollte sich als zu klein erweisen. Am Sonnabend gegen 23 Uhr war nicht nur sein Belag, sondern auch der aller umliegenden Straßen mit Kreide überzogen. Mehr als eintausend Magdeburger trafen sich spontan zur vermutlich größten Malaktion der Stadtgeschichte.
Altstadt l Kurz vor 22 Uhr steht André Assmuss die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Der 27-jährige Magdeburger ist Initiator der Aktion "Hassel in Farbe". Für Punkt 22 Uhr hat er im sozialen Internet-Netzwerk "Facebook" jedermann eingeladen, mit Straßenkreide den Platz zu verbunten. "Flashmob" heißt diese noch relativ junge Form von öffentlichem Aktionismus, wie sie am vergangenen Wochenende in Magdeburg ihren vorläufigen Höhepunkt erlebte. Und der geriet für den Beobachter - auch für den in Uniform - durchaus sehr eindrucksvoll.
Schon einige Zeit vor dem ausgerufenen Maltermin bevölkerten Menschenmassen die Fußwege rund um den Verkehrskreisel - die Straßenkreide im Anschlag, die Stimmung blendend. Eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei war vorsorglich zum Geschehen abkommandiert worden und bezog Position rund um den Ort des Geschehens. Um 22 Uhr wurde der Verkehr komplett abgeriegelt und das sollte sich als nötig erweisen.
Heerscharen fröhlicher Menschen - die Polizei wird später von 1200 Teilnehmern sprechen - bevölkern schlagartig den ganzen Hasselbachplatz und malen los. Männeken, Blümchen, unzählige Herzchen mit konkreten oder allgemeinen Liebesbotschaften. Manche schreiben ihre Sympathie für die ein oder andere Hassel-Kneipe aufs Pflaster, andere, was sie sich vom Liebsten immer schon wünschen: "Martin, mach bitte immer das Fenster auf!" Die Sprüche auf dem grauen Stein kommen mehr oder minder sinnig daher, aber sie sind ausschließlich fröhlicher Natur und so ist auch die Atmosphäre auf dem massenhaft bevölkerten Platz eine zutiefst ergreifende. Auch Seniorin Heidi Meyer fühlt sich umgehend mitgerissen und bringt eine gelbe Sonne auf die Straße. "Ich bin zufällig hier und finde das einfach toll."
Der berichtenden Reporterin begegnen ausschließlich offene Arme. Hier treiben keine Vermummten möglichst unerkannt ein Unwesen. Hier lechzt eine Partygemeinschaft nach Aufmerksamkeit für ihre tausendfach verkündete Botschaft: Wir wollen nichts als fröhlich zusammen sein.
Es geht ums lebendige Kneipenviertel und um dessen Pflege. Es geht darum, bei Anwohnern für Akzeptanz zu werben. Einzelne hätten lieber ihre Ruhe als eine Kneipe vor der Tür. Die einhellige Meinung der Akteure dieser Nacht: Die sollen sich besser eine andere Wohnlage suchen als ausgerechnet im einzigen nächtlich lebendigen Viertel der Stadt für Ruhe streiten zu wollen.
Freilich geht die spontane Straßenparty nicht ohne Geräusch ab, aber es ertönt erstaunlich wenig Gegröle, vielmehr Gelächter, Begeisterung, fröhliche Aufregung. Es wird, was nächtlich am "Hassel" abseits von Kneipenterrassen eigentlich verboten ist, auch manche Bierflasche geleert. Die Aktion hinterlässt einige Müllspuren, aber bleibt sie eindrucksvoll frei von Auseinandersetzungen. Uniformierte quittieren das Treiben mit milden Mienen. "Lassen wir sie einfach malen", sagt ein Uniformierter auf die Frage, wie er und seine Kollegen dieses Fest aufzulösen gedenken. Gar nicht. Die Masse verläuft sich bis 23.30 Uhr so friedlich, wie sie sich anderthalb Stunden zuvor zusammengefunden hat. Die Stätten fürs weitere Amüsement liegen dutzendfach in der Nachbarschaft. Die "Hassel"-Maler ziehen sich dorthin zurück, nachdem sie für deren Gedeihen eine Lanze in Kreide gebrochen haben.
Am Sonntagmorgen hat der Regen ganze Arbeit geleistet. Die Kreide - weggespült. Die Botschaft bleibt im Kopf. Der "Hassel" treibt\'s bunt, vor allem nachts. André Assmuss darf zufrieden sein. Er hat mit einer Notiz im Internet Menschenmassen bewegt.