Am Wochenende stellten 30 Frauen und Männer den Gegenpol zur Rechtendemo als Aktionsbündnis von "Bürger/-innen Magdeburgs" Ihr stiller Protest lässt deutschlandweit aufhorchen: Wer sind die Menschen in der Häftlingskleidung?
Deutschlandweit sorgte eine Aktion für Aufsehen, die Magdeburger Bürger am Sonnabend als Protest gegen den Rechtenaufmarsch in der Stadt starteten. Als "Häftlinge" stellten sie sich entgegen und mahnten "Für das Erinnern". Wer sind diese Leute, wie kam es zur Aktion und welche Resonanz erhielten sie?
Von Birgit Ahlert
Magdeburg l "FÜR DAS ERINNERN - Wir trauern um jeden, den wir an den Faschismus verlieren" stand in großen Lettern auf dem Banner, vor dem elf Frauen und Männer in Häftlingskleidung still schweigend dem rechtsorientierten Demonstrationszug entgegengingen. Sie nennen sich "Bürger/-innen Magdeburgs" und engagieren sich in verschiedenen Bündnissen der Stadt. 30 Leute gehören dazu, von denen elf in Sträflingskleidung teilnahmen. Der Jüngste ist 18 Jahre alt, die Älteste über 50. Sie kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten und Berufen, darunter Studenten, Pädagogen, Kaufleute.
Um am Sonnabend - trotz polizeilicher Absperrung - pünktlich auf die Lüneburger/Lübecker Straße zu kommen, haben sich die Aktionsteilnehmer bereits am Freitag in einer Wohnung direkt an der Strecke eingefunden.
Die Aktion haben sie in der Stille vorbereitet, nur mit Leuten, denen sie vertrauen. "Wir wollten keinesfalls, dass sich uns irgendwelche Randalierer anschließen", sagt eine der Teilnehmerinnen. Sie möchte wie die anderen nicht namentlich genannt werden (der Redaktion ist der Name bekannt). Zum einen, weil sie für die anonymen Opfer stehen, zum anderen wollen sie nicht instrumentalisiert werden. Zudem gibt es erste Reaktionen aus der rechten Szene. Bereits am Sonntag ist eine der Teilnehmerinnen in der Straßenbahn bedroht worden, berichtet gestern unsere Gesprächspartnerin. "Sie wurde gezielt auf unsere Aktion angesprochen und persönlich bedroht."
Gewalt lehnen die Bürger des Bündnisses ab. Das gehörte zu ihren Vorgaben: Die Aktion sollte schweigend und gewaltfrei sein.
"Wir wollten etwas Besonderes auf die Beine stellen, etwas, das aufrüttelt", sagen sie. Die Sträfling-Idee fand nicht gleich bei allen Zuspruch. Fragen stellten sich: Ist das Tragen solcher Kleidung makaber, gar verhöhnend? "Deshalb haben wir uns vorab mit Leuten der jüdischen Community in Verbindung gesetzt. Sie haben ihre Unterstützung zugesagt."
"Die Leiden und Schrecken der damaligen Zeit lassen sich heutzutage in keinster Weise nachempfinden. Dennoch wollten wir mit dem schrecklichsten Bild, das die Nationalsozialisten in unserer Geschichte hinterlassen haben, ein Zeichen setzen und mit einem starken Symbol daran mahnen, was damals passiert ist."
Dabei haben sie sich gezielt ein Banner erstellt im Kontra zum "Gegen das Vergessen" der rechten Demonstranten: "Für das Erinnern". Und für das Aufrütteln in der Trauer "um jeden, den wir an den Faschismus verlieren". Auch in der Gegenwart.
Ein Aufrütteln der ganz besonderen Art. Das spürten auch die Beobachter. Nicht nur von Medienvertretern war die Gruppe schnell umringt, auch Passanten schlossen sich ihrem Schweigegang an. "Am Anfang waren wir 30, zum Ende um die 50."
Die Gruppe kam nach zirka einem Kilometer Fußmarsch den Neonazis entgegen. "Dass wir so weit laufen konnten, hat uns selbst erstaunt. Doch als wir auf der Straße standen, dachten wir: Versuchen wir\'s, gehen wir einfach los!" Wobei das "einfach" alles andere war - durch die Fußketten. Doch gerade dadurch entstand dieses tragende Gefühl des Trauermarsches. "Wir hatten damit gerechnet, gestoppt zu werden. Doch die Polizei benahm sich total cool und hat uns laufen lassen." Die Aktionisten kamen bis zur Brücke am Neustädter Bahnhof - und standen dem Naziaufmarsch gegenüber. Dazwischen Polizei. Die Aktionsteilnehmer legten sich (leichengleich) auf die Straße - bis sie von den Polizisten weggetragen worden sind.
"Die Polizisten, die mich wegtrugen, haben gelächelt", erzählt eine der Teilnehmerinnen.
Für ein weiteres Eingreifen habe es keinen Grund gegeben, erklärte auf Volksstimme-Anfrage Polizeipressesprecherin Beatrix Mertens. Die Demonstration sei friedlich gewesen und habe somit keine rechtlichen Konsequenzen.