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40 Jahre Neu-Olvenstedt In Magdeburg entstand ein Plattenbau für Geflügelzüchter

Der Magdeburger Wohnkomplex Olvenstedt ist eng mit dem industriellen Wohnungsbau verbunden, der ab 1981 umgesetzt wurde. Der ungewöhnlichste Bau war ein Vereinsheim.

Von Marco Papritz 19.05.2021, 00:15
Mitglieder des Olvenstedter Geflügelzuchtvereins haben im Frühjahr 1984 mit dem Bau ihres Vereinsheimes am Klusweg begonnen. Da war noch unklar, wie der Deckenschluss erfolgen soll.
Mitglieder des Olvenstedter Geflügelzuchtvereins haben im Frühjahr 1984 mit dem Bau ihres Vereinsheimes am Klusweg begonnen. Da war noch unklar, wie der Deckenschluss erfolgen soll. Archivfoto: 1. Geflügelzuchtverein Olvenstedt

Magdeburg - Der Siedlungsbau, der 1981 auf dem Acker zwischen Nordwest und dem eingemeindeten Dorf Olvenstedt anläuft, beschert so manchem Magdeburger eine Neubauwohnung mit Balkon und integriertem Bad. Dem 1. Geflügelzuchtverein Olvenstedt verhilft der Wohnkomplex Olvenstedt zu einem Vereinsheim. Die Häuserzüge in der Großsiedlung werden mit vorgefertigten sechs Meter fassenden Decken- und Wandelementen montiert, die im Betonwerk Rothensee gefertigt werden. Der Transport zur Großbaustelle erfolgt mit Spezialfahrzeugen, so Werner Freist vom Verein. Um die erforderlichen Qualitätsanforderungen zu gewährleisten, werden die Betonplatten an mehreren Stellen der technologischen Kette durch innerbetriebliche Kontrollorgane gründlich geprüft. Fehlerhaften Wand- und Deckenplatten werden durch die „Technische Kontrollorganisation“ (TKO) vom Wohnungsbaukombinat (WBK) Magdeburg vor der Montage aussortiert. „Es handelte sich überwiegend um Transportschäden in Form von abgespaltenen Ecken, freigelegter Auflagerbewehrung und geringfügige Betonabplatzungen an den Längsseiten“, verweist Freist.

Zeitgleich wird in der Partnerstadt gebaut

Die beanstandeten Platten landen zunächst auf einer Fläche am Ende des heutigen Parkweges (im Bereich der ungenutzten Kaufhalle und der Schwimmhalle), wo sie gestapelt werden, „um nicht den Baustellenbetrieb zu behindern“, so der Bauingenieur, der damals in der Baukommission mitgewirkt hat. Ein Hindernis sind sie dann aber doch, als es 1984 um die Umsetzung eines Beschlusses geht, im Neubauviertel ein Denkmal für Maxim Gorki zu installieren. Der Schriftsteller war Namensgeber der russischen Partnerstadt Gorki, in der zeitgleich eine Großsiedlung errichtet wird.

Kleine Randnotiz: Bei einem Delegationsbesuch stellen die Gäste fest, dass der Olvenstedter Wohnungsbau wesentlich weiter ist als jener in der sowjetischen Stadt, so Werner Freist: „Einer Bitte, das Bautempo zu drosseln oder den Bauablauf zu unterbrechen, konnte von der DDR-Seite nicht entsprochen werden. Die Wohnungen in Magdeburg wurden dringend zur Behebung der herrschenden Wohnungsnot benötigt.“ Die Standortwahl für das Gorki-Denkmal fällt auf den Lagerplatz der Betonplatten. Das Problem für die örtliche Baustellenleitung: Wie soll die Fläche kurzfristig sachgerecht und vollständig beräumt werden? Die Lösung liefert Irene Freist. Sie ist seit Anfang 1982 beim Tiefbaukombinat Magdeburg als Sekretärin des Oberbauleiters auf der Baustelle vom Wohnkomplex Olvenstedt tätig.

Aussortierte Platten als Geschenk

In der „Ortslage Olvenstedt“, wie der heutige Stadtteil Alt-Olvenstedt zur damaligen Zeit betitelt wird, haben sich Mitglieder der damaligen Sparte Rassegeflügel vorgenommen, ein eigenes Gebäude für die Ausübung ihres gemeinsamen Hobbys zu errichten. Am Klusweg gibt es dafür bereits ein Grundstück. Der Bau beginnt im April 1984 mit Materialien, die „überwiegend aus Enttrümmerungsobjekten gewonnen“ werden, so Werner Freist. Bis zum Juli entsteht das tragende Kellermauerwerk bis zur Deckenauflagerung. Die Arbeiten werden von den Vereinsmitgliedern in „unbezahlten Eigenleistungen und ohne staatliche Bilanzen“ erbracht. Zur Deckenschließung können die Geflügelzüchter schließlich die aussortierten Betonplatten nutzen, wie es mit Zustimmung vom Wohnungsbaukombinat heißt.

In mehreren Touren werden sie am 23. Juli zum Klusweg gefahren. Hier stehen sechs bauerfahrene Vereinsmitglieder bereit, die gegen 14 Uhr alle brauchbaren Deckenplatten in einem vorbereiteten Mörtelbett verbaut haben. Da vereinbart ist, den Parkweg komplett zu beräumen, wird das Vereinsgelände am Klusweg als Platz zur Zwischenlagerung genutzt. Diese Aktion sei ein typisches Beispiel für die zur damaligen Zeit nicht unüblichen Praktiken der sogenannten sozialistischen Hilfe, „trotz Mangelwirtschaft und hemmender Bürokratie Reserven zu erschließen, um im gegenseitigen Austausch von Waren, Gütern und Leistungen zum beiderseitigen Nutzen ohne Geldfluss Werte für die Allgemeinheit und für die Gesellschaft zu schaffen“, so der 85-Jährige.

Maxim Gorki ist weg, die Hühnerleiter ist noch da

Kurze Zeit später steht das Maxim-Gorki-Denkmal. Zweieinhalb Jahre später kann der Olvenstedter Verein, der 1919 aus der Taufe gehoben wurde, sein neues Vereinsheim „Zur Hühnerleiter“ feierlich eröffnen. Die zwischengelagerten Platten werden 1988 für den Bau einer Sitzterrasse verwendet. Anders als das Denkmal hat der wohl ungewöhnlichste Plattenbau vom Wohnkomplex die Zeit überlebt und wird heute als Gaststätte vom Gastronom Marcel Frommhagen betrieben.

In den 1990er Jahren wird das Denkmal von Maxim Gorki entfernt. Mit ihm geht die Parkanlage verloren.

Erinnerungen gesucht

Welche Erinnerungen haben Sie an die Entstehung des Wohngebietes im Westen der Stadt, zum Beispiel an Ihren Einzug? Waren Sie am Aufbau von Neu-Olvenstedt als Planer oder Bauarbeiter beteiligt oder haben in einer der Kindereinrichtungen gearbeitet? Schreiben Sie unter Stichwort „Neu-Olvenstedt“ Ihre Geschichte oder Erinnerung an Ihre Zeit in Neu-Olvenstedt an die Volksstimme Lokalredaktion, Bahnhofstraße 17, 39104 Magdeburg. Sie können sich telefonisch unter 0391/599 95 50 sowie per E-Mail an marco.papritz@volksstimme.de mit Ihrem Namen und Ihrer Telefonnummer melden, um Ihre Erinnerungen sowie Fotoimpressionen zu teilen.

Heute wird das Vereinsheim, das mit Betonplatten vom Wohnkomplex Olvenstedt komplettiert wurde, als Gaststätte ?Zur Hühnerleiter? betrieben.
Heute wird das Vereinsheim, das mit Betonplatten vom Wohnkomplex Olvenstedt komplettiert wurde, als Gaststätte ?Zur Hühnerleiter? betrieben.
Foto: Marco Papritz