1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Hänsel und Gretel auf Magdeburgisch

Kammerspiele Hänsel und Gretel auf Magdeburgisch

Die Magdeburger Kammerspiele präsentieren eine eigenwillige und sehr gelungene Auslegung des Märchens "Hänsel und Gretel".

Von Christina Bendigs 13.12.2018, 00:01

Magdeburg l Alkoholische Getränke sind nie knapp, wenn die Laienspielgruppe „Braune Sommer Wiese“ aus Magdeburg-Olvenstedt probt – und recht derb geht es dann auch immer zu. Im Magdeburger Slang bedienen die Kammerspiele Magdeburg mit der neuen Winterfolge von „Olvenstedt probiert’s“ wieder zahlreiche lokale Klischees.

Autor Dirk Heidicke hat auch wieder einiges aus dem aktuellen Stadtgeschehen eingeflochten und sich mit bissigen Wortgefechten selbst übertroffen. Und auch die professionellen Schauspieler der Kammerspiele Magdeburg brillieren in ihren Rollen als Machdeborjer Laiendarsteller – ergänzt von Gästen, auf die man als Zuschauer nicht verzichten mag.

Dieses Mal nehmen sich die Laien im Stück das Märchen „Hänsel und Gretel“ vor. Nicht etwa in der vergleichsweise seichten Form der Brüder Grimm, sondern in einer sehr modernen Auslegung: Hänsel und Gretel werden in der Version der Kammerspiele als verwöhnte Gören dargestellt, die das Nest der Eltern einfach nicht verlassen wollen und am Ende Amok laufen.

Schade eigentlich, dass das Kulturbüro das Fördergeld für das Stück nur bewilligt, wenn eine traditionelle Version des Märchens gezeigt wird. Deshalb müssen sich die Laien am Ende gezwungener Maßen doch wieder auf die ungeprobte Grimmsche Version besinnen.

Das Publikum war begeistert. Tosenden Applaus und Jubelrufe gab es schon im Verlauf der Vorstellung immer wieder, etwa wenn Beate Braune (Susanne Bard) im neuesten Modefummel und federnden Tippelschritten auf der Bühne erscheint und dann im reinsten Magdeburger Dialekt konstatiert: „Isch moach mick moal de Hoare.“

Zuerst jedoch wird sie zur fauchenden Wildkatze – denn nicht sie ist (altersbedingt) für die Rolle der Gretel vorgesehen, nicht einmal für die der Mutter. Da bleibt nur noch die Hexe übrig, was der Celine Dion des Bruno-Taut-Rings so gar nicht in den Kram passen will. Und auch Schauspielschülerin Michaela Mundt (Luise Haberlah) scheidet als Gretel aus, als die hübsche Luise Baum (Friederike Walter) zum Vorsprechen erscheint, was wiederum für Ärger bei Michaela sorgt.

Und so dreht sich das Stück um Streitigkeiten, um Rollen und Auslegung des Märchens, um persönliche Differenzen zwischen den Figuren und die Olvenstedter Sicht auf die Stadt Magdeburg, die anscheinend gar nicht Kulturhauptstadt werden will. – Ein Virus offenbar, denn bei den Blau-Weißen vom Club hat man auch das Gefühl, „dass die joar nich jewinnen woll’n“.

Erstmals in einer Inszenierung von „Olvenstedt probiert’s“ gibt es einen Kümmerling-Kasten mit 26 Flaschen. Die sind bis zur Pause schon nahezu geleert. Wer jetzt meint, die Kammerschauspieler würden echte Kümmerlinge trinken, kann unbesorgt sein: Es befindet sich nur Tee darin. Ausstatterin Meyke Schirmer füllt die Fläschchen immer wieder auf. Selbiges gilt für Bier und Sekt. Die „Buletten in Bejleitung“, die Achim (Michael Günther Bard) so gerne isst, sind aber echt, werden für die Sommerfolgen stets bei einem Fleischer in Auftrag gegeben und für die Winterfolge von der Sudenburger Feuerwache gekauft.

Wer die Winterfolge sieht, kommt zurück in die vertraute Welt des überspitzten Bruno-Taut-Rings – trifft alte Bekannte wieder und auf den eigentümlichen Magdeburger Charme, den die Schauspieler unter der Regie von Oliver Breite einmal mehr auf den Punkt treffen. Die Vorstellungen am Wochenende sind bereits ausverkauft. Wer sich die Sommerfolge anschauen möchte, sollte sich einen Tag vom 20.  bis 23.  Juni oder 26.  bis 29.  Juni 2019 freihalten.