Kommunalpolitik Magdeburgs Rat mit Kritik im Homeoffice
Ausnahmesituation im Stadtrat Magdeburg: Sitzungen fallen wegen Corona aus, Entscheidungen fällt die Verwaltung. Das sorgt für Kritik.
Magdeburg l Der Magdeburger Stadtrat ist seit drei Wochen lahmgelegt: Um seine Mitglieder, die Mitarbeiter des Stadtrats, und Besucher von Sitzungen vor dem Coronavirus zu schützen, wurden fast alle der Sitzungen abgesagt. Die ehrenamtliche Arbeit der Stadträte läuft trotzdem weiter – von zu Hause.
Die Volksstimme hat die Fraktionsvorsitzenden gebeten, ein Foto vom heimischen Schreibtisch zur Verfügung zu stellen und einige Dinge auf dem Schreibtisch zu zeigen, die ihnen wichtig sind – siehe Abbildungen auf dieser Seite. Kein Foto zur Verfügung gestellt hat Roland Zander, Vorsitzender der Fraktion Gartenpartei/Tierschutzallianz: Er sei derzeit beruflich stark beansprucht und nutze ohnehin allein I-Pad und Handy für seine ehrenamtliche Tätigkeit für den Stadtrat.
Mit der Arbeit am heimischen Schreibtisch ist den Stadträten allerdings für die Märzsitzung ein wichtiges Mitwirkungsinstrument genommen worden. Sind sie es doch, die bei vielen wichtigen Entscheidungen zur weiteren Entwicklung der Stadt per Beschluss entweder den Weg frei machen oder einen eingeschlagenen Kurs stoppen.
Da eine Reihe von Punkten zum Beispiel aufgrund von Fristen nicht einen Monat warten konnten, hatte der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) in den vergangenen Wochen ohne Mitwirkung des Stadtrats einige Eilentscheidungen getroffen. In dieses Verfahren waren die Fraktionen des Stadtrats nicht eingebunden. Die Volksstimme hat bei den Fraktionsvorsitzenden nachgefragt, ob sie mit diesem Vorgehen einverstanden sind.
Wigbert Schwenke ist Vorsitzender der CDU/FDP-Fraktion und sagt: „Es handelt sich um eine Ausnahmesituation, die wir so noch nie erlebt haben. Wir können nachvollziehen, dass Eilentscheidungen notwendig sind, um Fristen zum Beispiel für Investitionsvorhaben zu wahren. Wenn diese nicht eingehalten werden, kann für die Stadt ein schwerer Schaden entstehen."
Andererseits wäre erfroh gewesen, wenn die Fraktion über die Entscheidungen möglichst früh informiert gewesen wäre. "Und auch das ist wichtig: Die Politik muss weitergehen. Es muss also schnellstmöglich die Mitwirkung des Magdeburger Stadtrats an den Entscheidungen für die Stadt gesichert werden. Es ist zudem wichtig, für die Entscheidungen die Öffentlichkeit wieder zu gewährleisten.“ Was die von Oberbürgermeister Lutz Trümper getroffenen Eilentscheidungen angehe, sollte der Stadtrat prüfen, inwiefern an der einen oder anderen Stelle noch etwas nachjustiert werden kann und muss, so Wigbert Schwenke.
Madeleine Linke steht gemeinsam mit Olaf Meister der Fraktion Grüne/Future vor. Sie meint: „Die Pressemitteilung zu den Eilentscheidungen hatten wir mit großer Verwunderung und zugegebenermaßen auch Verärgerung zur Kenntnis genommen, zumal im Vorfeld kein diesbezüglicher Kontakt zu uns hergestellt wurde. Wir empfinden es als unangemessen, die Mitglieder des Stadtrates oder auch nur die Vorsitzenden der Fraktionen im Vorfeld nicht von den beabsichtigten Eilentscheidungen in Kenntnis gesetzt zu haben.“
Unter den Entscheidungen befänden sich auch Vorgänge, für die nicht ersichtlich sei, wieso sie nicht bis zur Aprilsitzung des Stadtrates aufgeschoben werden konnten. Von einer „unverzüglichen“ Information des Stadtrates könne aus Sicht der Grünen-Future-Fraktion nicht mehr die Rede sein.
„Insgesamt ist unsere Fraktion von dem ganzen Vorgang und dem damit verbundenen Alleingang des Oberbürgermeisters enttäuscht und wir halten diesen sogar für rechtswidrig. Wir erwarten, dass der OB und die Stadtverwaltung auch unter den derzeitigen Bedingungen mit uns und den anderen Fraktionen die Zusammenarbeit sucht und zum Beispiel vor wichtigen Entscheidungen gegenseitige Konsultationen stattfinden.“ Es sei zu hoffen, dass das Rathaus wieder zu einer geordneten Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Stadtrat zurückfinde.
Jens Rösler ist Vorsitzender der SPD-Fraktion. Er schreibt: „Allen Fraktionsvorsitzenden war aufgrund der Gespräche im Rahmen der Absage der letzten Stadtratssitzung bewusst, dass wichtige und dringende Drucksachen als Eilentscheidung des OB verabschiedet werden müssen.“ Einige der in der Volksstimme aufgeführten Entscheidungen gehören dazu – zum Beispiel der Barleber See – und waren teilweise in den Ausschüssen bereits positiv abgestimmt worden, so Rösler.
„Ganz grundsätzlich habe ich ein hohes Vertrauen, dass Oberbürgermeister Lutz Trümper nicht nur in dieser schwierigen Zeit wichtige Entscheidungen mit Bedacht und viel Sachverstand trifft. Ungeachtet dessen wird auch über die Eilentscheidungen im Stadtrat zu einem späteren Termin noch einmal diskutiert und möglicherweise werden Änderungen veranlasst“, kündigt er an. Dazu gehören zum Beispiel zusätzliche Fahrradabstellbügel am Barleber See. Diese Ergänzung werde aber nicht die gesamte Drucksache infrage stellen. Daher sei es richtig gewesen, zur Absicherung der Fördermittel kurzfristig zu entscheiden.
Jenny Schulz ist Vorsitzende der Fraktion Die Linke. Sie berichtet, dass ihre Fraktion aus der Presse von den Entscheidungen erfahren hat. „Grundsätzlich halten wir es als Fraktion für wichtig, in besonderen Situationen Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten“, sagt sie. Sicher lasse sich bei der ein oder anderen Eilentscheidung diskutieren, ob diese tatsächlich alle Kriterien für eine entsprechende Vorgehensweise erfüllt.
„Das sehen wir durchaus kritisch und hätten uns gewünscht, mindestens informativ einbezogen zu werden. Gleichwohl sehen wir auch die besondere Lage und den daraus resultierenden lernenden Prozess für alle“, so Jenny Schulz. Für die Zukunft erwartet Die Linke, dass ähnliche Vorgänge mit einem transparenten und kommunikativen Vorgehen begleitet werden.
Frank Pasemann ist Vorsitzender der AfD-Fraktion. Er kritisiert, dass die Stadträte nicht ausreichend informiert worden seien: Laut Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt wäre der Stadtrat hierzu unverzüglich zu informieren gewesen.
Der Fraktionsvorsitzende der AfD-Ratsfraktion erklärt dazu: „Auch wenn die Corona-Krise momentan die kommunale Demokratie lähmt, kann Oberbürgermeister Trümper nicht einfach an der Volksvertretung vorbei regieren. Wir werden uns auf der nächsten Präsenzsitzung des Stadtrates klar positionieren.“
Roland Zander steht der Fraktion Gartenpartei/Tierschutzallianz vor und stimmt der Vorgehensweise des Rathauses nicht zu: „Sicher ist es im Moment schwierig, der Situation gerecht zu werden. Jedoch fallen Sitzungen von Ausschüssen und Gemeindevertretungen nicht unter das Veranstaltungsverbot und können grundsätzlich unter Einhaltung der vorgeschriebenen Rahmenbedingungen stattfinden. Wenn eilige Entscheidungen getroffen werden müssen, dann muss aus Sicht unserer Fraktion dazu auch eine Sitzung des Stadtrates einberufen werden.“ Dies, so Roland Zander, sei im Land- und Bundestag möglich und sollte in der Landeshauptstadt Magdeburg ebenfalls möglich sein.
Deutlicher Verbesserungsbedarf bestehe in der Kommunikation des Oberbürgermeisters mit den Fraktionen, die ihre Positionen in Worte fassen und zum Beispiel schriftlich oder per Videokonferenz hätten diskutieren oder mitteilen können. „Unsere Fraktion hatte zudem zu einem getroffenen Beschluss einen Änderungsantrag eingestellt“, so der Vorsitzende der Fraktion Gartenpartei/Tierschutzallianz.
Burkhard Moll ist Vorsitzender der Fraktion Tierschutzpartei/Bund für Magdeburg. Er sieht die Entscheidungen im Rathaus mit größerer Gelassenheit und meint: „In der derzeitigen Situation der Corona-Infektionsgefahr stehen wir den Eilentscheidungen positiv gegenüber.“