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Corona Langer Weg zum Erwachsenwerden

Wie wird sich Corona auf die Jugendweihen im Landkreis Harz auswirken? Im vergangenen Jahr fielen viele Feiern aus. Stehen 2021 die Chancen besser?

21.03.2021, 00:00

Harz

Der große Tag naht. Am 10. April findet die erste Jugendweihe des Jahres im Landkreis Harz statt, in der Harzlandhalle in Ilsenburg. So sieht es zumindest der Kalender des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der Interessenvereinigung Jugendweihe vor. „Wir gehen zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass alle Veranstaltungen wie geplant stattfinden“, sagt Ramona Talsch. Sie ist seit acht Jahren für die Kontaktstellen der Vereinigung in Halberstadt und Wernigerode zuständig.

Allerdings, so räumt sie ein, eine Garantie könne sie nicht aussprechen. „Wir warten auf die Beschlüsse der Regierung. Die kommen kurzfristig, darum können auch wir nur kurzfristig reagieren.“

Alles war vorbereitet

Aktuell lässt die geltende Corona-Eindämmungsverordnung des Landes Veranstaltungen nicht zu. Doch, so hoffen die Planer, könnte sich das bald ändern. Das nächste Bund-Länder-Treffen, bei dem auch die Themen Gastronomie, Tourismus und Veranstaltungen auf dem Plan stehen, findet am 22. März statt.

Doch was ist, wenn Feste wie Jugendweihen auch nach dieser Beratungsrunde unterbleiben müssen? „Wir haben immer im Hinterkopf, dass die Jugendweihen vielleicht doch erst im Herbst stattfinden“, sagt Talsch. Das werde bei allen Planungen und Vorbereitungen berücksichtigt. Etwas, was im vorigen Jahr nicht möglich gewesen sei. Der erste Lockdown und das damit einhergehende Verbot für Veranstaltungen jeglicher Art seien ein Schock für sie gewesen, so Talsch. Immerhin seien die Jugendweihen im März bereits fertig gewesen: Einladungen waren verschickt, Festorte und Programme gebucht, Blumen bestellt, Urkunden gedruckt.

Und nicht nur die Veranstalter standen in den Startlöchern. Auch bei den Jugendlichen – 650 bis 700 sind es in den Altkreisen Halberstadt und Wernigerode insgesamt pro Jahr – waren die meisten Vorbereitungen sicherlich bereits abgeschlossen, ein Anzug oder ein Kleid gekauft. „98 Prozent der Jugendlichen geben sich richtig viel Mühe. Viele der Mädchen waren vorher extra beim Friseur“, berichtet Mike Reichardt. Der 47-Jährige unterstützt Ramona Talsch seit Anfang des Monats bei der Vorbereitung der Jugendweihen. Erfahrung mit den Zeremonien hat er aber reichlich. Seit acht Jahren begleitet der Fotograf die Feierstunden mit der Kamera.

Als Kind auf die Bühne, als Erwachsener wieder runter

Drei der geplanten Veranstaltungen 2020 konnten im Herbst stattfinden. Unter strengen Auflagen und ungewohnten Bedingungen. „Im Halberstädter Theater konnten wir zum Beispiel nicht feiern. Da passen normalerweise exakt 499 Personen rein. Um die Abstandsregeln einzuhalten, hätten jedoch maximal 25 Familien gleichzeitig feiern können.“ Mehrere Veranstaltungen an einem Tag nacheinander abzuhalten, hätte nicht nur die Logistik gesprengt. „Wer will schon eine Jugendweihe abends nach 18 Uhr feiern?“, gibt Mike Reichardt zu bedenken. Deshalb wurde die Veranstaltung in die Mehrzweckhalle in Harsleben verlegt, die mehr Platz bietet.

Ab November reichten größere Abstände jedoch nicht mehr, dann galt wieder ein vollständiges Veranstaltungsverbot. Und die vier noch ausstehenden Veranstaltungen mussten ein weiteres Mal verschoben werden. „Die meisten Eltern haben sehr verständnisvoll reagiert und halten uns die Treue. Sie wissen ja, das wir nichts dafür können und nur nach den geltenden Vorschriften handeln“, sagt Ramona Talsch. Ob das jedoch so bleibe, wenn die Veranstaltungen noch einige Male verschoben werden müssen – und die gekauften Kleider dann nicht mehr passen – sei fraglich, so Mike Reichardt.

Mehr als ein Festakt, kostet aber

Doch nicht nur ein Verschieben ist ein Grund dafür, die Veranstaltung zu kündigen. „Eine Jugendweihe besteht aus mehr als dem reinen Festakt in der Harzlandhalle“, betont Anne-Susan Witschel aus Darlingerode. Ihr Sohn Yves wollte am 10. April seinen Übergang in das Erwachsenenleben feiern. Eigentlich. Bereits im September seien die Verträge unterschrieben worden. Im Oktober habe die Mutter die anfallenden Kosten, 125 Euro für Eintrittskarten und Gebühren, überwiesen. Vor dem zweiten Lockdown. „Da konnte ja noch niemand ahnen, was kommt.“

Doch je länger der Lockdown anhielt, desto mehr gerieten die Pläne ins Wanken. „Yves wollte zusammen mit seinem besten Kumpel und beiden Familien feiern“, berichtet Anne-Susan Witschel. Dafür sollte extra die Sandtalhalle in Darlingerode gemietet werden. Ein neuer Anzug sollte auch nicht fehlen. „Aber wann sollten wir den kaufen?“, gibt die Dreifach-Mutter zu bedenken.

Im Januar habe sich die Familie deshalb schweren Herzens entschieden, den Vertrag mit dem Jugendweiheverein zu kündigen. Zu einem hohen Preis. „75 Prozent unseres gezahlten Geldes wurden einbehalten“, berichtet Anne-Susan Witschel. „Wir haben 90 Euro in den Sand gesetzt. Das ist für viele ein Wochenendeinkauf und in Zeiten wie diesen viel Geld.“

Familie hätte mehr Kulanz erwartet

Dass sie nur 25 Prozent des Geldes im Fall einer Kündigung zurückbekommen, stehe im Vertrag. Allerdings: „Bevor wir unterschrieben haben, hat mein Mann mehrfach explizit nachgefragt, ob es angesichts von Corona eine Art Kulanzregelung geben wird. Das wurde uns auch so zugesichert“, berichtet die Darlingeröderin.

Was sie besonders ärgere: Ihr Mann ist Elternvertreter in der Klasse des Sohnes. Unter den Eltern sei das Thema Jugendweihe lange und intensiv besprochen worden. Anfangs hätten Überlegungen im Raum gestanden, selbst eine Feierstunde zu organisieren. Letztlich habe man sich aber doch darauf geeinigt, mit dem Verein zusammenzuarbeiten.

Allerdings zeige der sich wenig flexibel. „Wir haben mehrfach angefragt, ob es möglich sei, den Termin zu verschieben.“ Etwa auf den Herbst oder gleich um ein ganzes Jahr. „Damit die Jugendlichen so feiern können, wie sie es sich vorgestellt haben“ – ausgelassen, mit vielen Gästen, ohne Maskenpflicht und Abstandsregeln. Denn das sich das bis zum 10. April ändern könne, glaube die Mutter nicht.

Als der älteste Sohn seine Jugendweihe gefeiert habe, sei das „eine große Nummer“ gewesen, mit rund 100 Gästen. „Wie soll ich Yves jetzt erklären, dass bei ihm maximal ein Kaffeetrinken mit den Großeltern möglich ist? Unsere Kinder haben sich etwas anderes gewünscht.“ Bei dem Verein seien sie mit diesen Einwänden auf taube Ohren gestoßen. „Für sie ist die Jugendweihe mit der Feierstunde erledigt.“

Die Corona-Kulanz-Regel gelte für Veranstaltungen des vorigen Jahres, für die bereits alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, informiert Ramona Talsch. Wer von seinem für 2020 geschlossenen Vertrag zurückgetreten ist, weil die Feierstunde verschoben werden musste, erhielt 60 Prozent seiner Zahlung zurück, berichtet sie. Den Jugendlichen wurde dennoch ihre Urkunde und das Humanismus-Buch, das normalerweise auf der Bühne übergeben wird, nach Hause geschickt.

Vieles musste ausfallen

Die Jugendweihen 2021 finden aus Sicht des Vereins wie geplant statt – solange die Beschlüsse der Politik sie nicht unterbinden. Wie und in welchem Umfang Veranstaltungen möglich sein werden, könne vor dem 22. März nicht prognostiziert werden. Es gebe dementsprechend keinen Anlass, vorher zurückzutreten.

Dass die Jugendlichen so oder so im Gegensatz zu der Zeit vor Corona auf vieles verzichten müssen, bedauere auch sie. So bietet der Jugendweiheverein normalerweise Freizeitangebote, Reisen oder Schulprojekte an. Benimm- und Erste-Hilfe-Kurse gehören genauso dazu wie Firmenbesichtigungen. „Nichts davon, was auf der Homepage des Vereins seht, konnte stattfinden“, sagt Anne-Susan Witschel. „Ich weiß, dass der Verein nichts dafür kann. Für die Jugendlichen ist es trotzdem schade.“ Ein Grund mehr, weshalb sie sich von den Organisatoren mehr Entgegenkommen wünsche.