Erinnerung Magdeburg will Hans und Sophie Scholl ein Denkmal setzen
Ein Historiker-Duo im Stadtrat Magdeburg initiiert den Aufbau einer Erinnerungsstätte im Geschwister-Scholl-Park.

Magdeburg - Einstimmig hat der Magdeburger Stadtrat im Juni 2021 für ein neues Kunstwerk zum Gedenken an die Geschwister Scholl gestimmt. Die Volksstimme traf die Initiatoren und erfragte ihre Motivation.
„Gerade deshalb. Wir wollen uns das Gedenken an die Geschwister Scholl nicht wegnehmen und es vereinnahmen lassen“, sagt René Hempel (Linke) auf die Frage, was ihn umtreibt, wenn auf eine rot-rote Initiative zum Geschwister-Scholl-Gedenken auch der AfD-Fraktionschef im Stadtrat applaudiert.
Neue Vereinnahmung
Symbolfiguren des Widerstands und der Verfolgung im Nationalsozialismus – Hans und Sophie Scholl gehören ebenso wie Anne Frank dazu – werden aktuell bundesweit auf Plakaten (online oder real) und auf Demonstrationen etwa der Querdenker-Szene als Idole neuer Widerstandsbewegungen benutzt. Während heute vor dem Hintergrund von Maskenpflicht, Kontaktbeschränkung und Impfangebot debattiert wird, ob Menschen hierzulande noch frei ihre Meinung äußern dürfen – zum Beispiel wenn sie dies alles ablehnen -, ließen die noch jugendlichen Geschwister Scholl im Nazideutschland nach einem Schnellprozess unter der Guillotine ihr Leben, vier Tage nachdem sie Flugblätter gegen den Krieg und das Naziregime verteilt hatten.
„Die aktuellen Debatten haben wir im Hinterkopf“, sagt Christian Hausmann (SPD) und ergänzt: „Dann wollten wir die Initiative für einen neuen Erinnerungsort an Hans und Sophie Scholl schon lieber selbst ergreifen.“
Hempel und Hausmann sind beide von Hause aus Historiker mit Diplom und haben wichtige Daten aus dem Effeff parat. Am 9. Mai 2021 jährte sich der Geburtstag von Sophie Scholl zum 100. Mal. Das bot den Anlass für ihre Ratsinitiative. Am 22. Februar 2023 wird des 80. Jahrestages der Ermordung der Geschwister Scholl gedacht. „Das wäre ein guter Termin zur Einweihung“, sagt Hausmann mit Blick auf den Beschluss zum Bau einer neuen Gedenkstätte im Geschwister-Scholl-Park. Zu den Motiven von Hausmann und Hempel zu deren Errichtung gehört neben den historischen Daten der Umstand, dass im Geschwister-Scholl-Park so manch historischer Persönlichkeit gedacht wird, aber nur randständig auf einer Stele der Namensgeber.
Zwischen Monarchin und Marxist
2009 bekam die Königin Luise von Preußen ihren angestammten Platz im Park in der Neustadt zurück – eine Statue mit Strahlkraft und Blumenbeet rundherum. 1901 im damaligen Luisengarten aufgestellt, war die Königin zuvor 1963 aus rein ideologischen Gründen vom Sockel gestoßen worden. Stattdessen fand unweit – inhaltlich heute wenig harmonisch – eine Franz-Mehring-Büste ihren Platz auf der Wiese an der Walther-Rathenau-Straße. Das Denkmal für den Marxisten und Karl-Marx-Biografen sollte ursprünglich – wieder auf Initiative von Hausmann – in die Cracauer Mehringstraße umgesetzt werden. Das misslang aus örtlichen Gründen. Nun kann das Denkmal für die Geschwister Scholl – Widerständler aus dem bürgerlichen Lager – zwischen Königin und Marxist platziert – einen Bogen schlagen und der Park vor allem endlich eine würdige Gedenkstätte für seine Namensgeber bekommen.
Wie das neue Denkmal aussehen soll, dazu haben dessen Ideengeber Hempel und Hausmann bewusst keinerlei Vorgaben gemacht. Klar ist, dass Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums an der Ideenfindung beteiligt werden sollen. Das hatte parallel die CDU-Ratsfraktion angeregt – einhellige Zustimmung im Rat.
Zaunteil aus München
Teil der Gedenkstätte könnte ein Stück Zaun aus München werden. Eine dortige Debatte machte unlängst bundesweit Schlagzeilen. Ein Grundstück an der Münchner Orleansstraße wird neu bebaut. Dafür soll ein Zaun von historischem Wert weichen. Gegen dessen Verschrottung regte sich erfolgreich Protest. Am Zaun verabschiedete 1942 Sophie Scholl ihren Bruder und andere Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ an die Ostfront. Jetzt bleibt ein Stück vor Ort in Ehren. Weitere Teile werden an Gedenkorte in Deutschland verteilt. Magdeburger Stadträte haben Interesse bekundet, ein Stück des „Weiße-Rose-Zauns“ an die Elbe zu holen.
Hintergrund
Hans und Sophie Scholl studieren in München – und lassen dort mit 21 (Sophie) und 24 Jahren (Hans) ihr Leben. Beide sind Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gegen das Naziregime. Am 18. Februar verteilen sie Flugblätter an der Universität, werden vom Hausmeister gesehen und bei der Gestapo denunziert. Nur vier Tage später werden Hans und Sophie zum Tode verurteilt und am selben Tag – dem 22. Februar 1943 – enthauptet.
Ein historisches Foto entsteht am 23. Juni 1942 an einem Zaun nahe dem Münchner Ostbahnhof. Sophie Scholl verabschiedet hier ihren Bruder Hans und weitere Mitglieder der „Weißen Rose“ an die Ostfront. Die Medizinstudenten werden als Sanitätssoldaten eingesetzt. Ihr Kommilitone Jürgen Wittenstein fotografiert die unbekümmert wirkende Szenerie; nur sieben Monate später wird die „Weiße Rose“ entdeckt und werden ihre Mitglieder ermordet.

Der Zaun steht in München noch am historischen Ort in der Orleansstraße, soll aber nun einer Neubebauung weichen. Auf Initiative verschiedener Münchner Gruppen - unter anderem der Linken im Münchner Stadtrat - werden Teile erhalten und andere an Erinnerungsstätten in ganz Deutschland verteilt.