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Ministerwahl Frauenpower für die Stadtspitze?

Am 14. Mai 2020 wählt der Magdeburger Stadtrat neue Beigeordnete für Wirtschaft und Kultur: Bewerber, Favoriten und Streit ums Verfahren.

Von Katja Tessnow 05.05.2020, 01:01

Magdeburg l Der Kulturbeigeordnete Matthias Puhle (SPD), zuständig auch für Schule und Sport, tritt im Juni seinen Ruhestand an. Einen Monat später folgt ihm Rainer Nitsche (CDU), sein Amtskollege vom Wirtschaftsdezernat, aufs Altenteil. Beide Ämter, die denen von Ministern auf Stadtebene gleichkommen, sind immens wichtig für die Fortentwicklung in Magdeburg, entsprechend attraktiv und schon seit Jahresbeginn heiß umkämpft. 103 Bewerbungen – 50 für Wirtschaft, 53 für Kultur – gingen ein.

Ein Novum: Bis auf die jeweils eine Handvoll Kandidaten, die pro Ressort die Ausschreibungskriterien nicht erfüllten und die weiteren je fünf, die ihre Bewerbungen zurückzogen, werden alle Kandidaten am Wahltag auf den Stimmzetteln für den Stadtrat stehen. „Das sind rund 40 pro Amt“, bestätigte gestern Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) auf Nachfrage. Auf eine sogenannte Shortlist (kurze Liste) aus nur noch drei bis vier aussichtsreichen Kandidaten, auf die sich der Verwaltungsausschuss bei vorangegangenen Beigeordnetenwahlen stets vorab einigte, wird dieses Mal aus Gründen der Unanfechtbarkeit des Verfahrens verzichtet.

Nach Volksstimme-Recherchen haben sich drei Ratsfraktionen zu Absprachen hinter verschlossenen Türen und zur Favoritenkür vor der Wahl getroffen: CDU/FDP, SPD und Grüne/future!. Sie stellen mit zusammen 31 Mandaten eine Mehrheit im 56-köpfigen Stadtrat und sollen sich mehreren gleich lautenden Quellen zufolge auf Sandra Yvonne Stieger (CDU) als neue Wirtschaftsbeigeordnete und Katja von Hagen (SPD) als künftige Chefin des Dezernates für Kultur, Schule, Sport geeinigt haben.

Stieger, ehemals Mdr-Moderation und seit 2015 Geschäftsführerin der stadteigenen Marketing- und Tourismusgesellschaft MMKT, wollte ihre Kandidatur gestern nicht kommentieren und sagte lediglich: „Ich warte ganz entspannt das Verfahren ab.“

Die CDU-Frau war im Januar in den Fokus von Anschuldigungen gerückt. Im Rathaus und darüber hinaus machten anonyme Briefe die Runde, die der CDU Vetternwirtschaft beim Werben für Stieger unterstellten. Hintergrund: Der Sohn von CDU/FDP-Fraktionschef Wigbert Schwenke steht als Angestellter in Stiegers Diensten. Schwenke dementierte die Vorwürfe aufs Heftigste. Stieger gilt weiter als Favoritin aufs Amt, allerdings auch fraktionsintern als nicht unumstritten. „Ich habe mich auf Anraten von Magdeburger Unternehmern beworben, auch um Frau Stieger zu verhindern“, sagt FDP-Stadtrat Stephan Papenbreer. Der Kaufmann und Personalentwickler wurde aber von der Verwaltung aus dem Kader sortiert – kein Hochschulabschluss.

Papenbreer verweist im Gegenzug auf eine Reihe weiterer Abschlüsse in Führungskräfteseminaren, Erfahrung im Umgang mit Unternehmen und die Formulierung „oder vergleichbarer Abschluss“ im Ausschreibungstext. Er hat den Magdeburger Fachanwalt für Verwaltungsrecht Michael Moeskes mit der Prüfung des Verfahrens beauftragt. Seine Expertise liegt der Volksstimme vor.

Moeskes attestiert bezogen auf die Formulierung „vergleichbarer Abschluss“ einen „Verstoß gegen die Bestimmtheit“ und „hinreichende Erfolgsaussichten“ in einem kommunalrechtlichen Beanstandungsverfahren gegen die komplette Ausschreibung.

Trümper blickt dem gelassen entgegen: „Der Ausschreibungstext meint eindeutig einen anderen vergleichbaren Hochschulabschluss.“ Im Original lautet er: „Für die Ausübung dieser Position verfügen Sie über einen Master-, Diplom-, Diplom-FH-, Magister- oder vergleichbaren Abschluss (z. B. Staatsexamen).“

Unabhängig vom Ausschreibungstext übt nicht nur Papenbreer, sondern eine Reihe weiterer Stadträte vor allem kleiner Fraktionen heftige Kritik am Verfahren. Roland Zander (Gartenpartei): „Ich frage mich, wozu wir uns in zig Ausschusssitzungen vor so einer Wahl treffen, wenn am Ende doch nur das Parteibuch entscheidet.“ Auch Papenbreer kritisiert eine Postenvergabe auf Parteibuch. „Ich wünschte mir für die Zukunft, dass externe Personalberater eine Vorauswahl unabhängig von politischen Gremien treffen – ausschließlich nach fachlicher Eignung.“

Neben Papenbreer bestätigte gestern auf Nachfrage mit dem 39-jährige Volkswirt Sven Haller ein weiterer Liberaler seine Bewerbung fürs Amt des Wirtschaftsbeigeordneten. Haller erfüllt auch aus Verwaltungssicht die Zugangskriterien und wird in CDU-FDP-Kreisen als heimlicher Favorit von Stieger-Gegnern gehandelt.

Bis 2011 in Magdeburg beheimatet, war Haller zunächst Wirtschaftsreferent, später Geschäftsführer der FDP in der Hamburger Bürgerschaft und ist heute als Geschäftsführer des Hamburger Marketingunternehmens „Brands alive“ aktiv. Für die FDP saß er 2010/11 für ein halbes Jahr im Magdeburger Stadtrat, bevor es ihn „wider Willen“ beruflich nach Hamburg verschlug. „Ich würde gerne zurückkehren“, sagt der bekennende Ottostadt-Fan, am liebsten als Chef des Wirtschaftsdezernats.

Für das Kultur-Schule-Sport-Ressort zeichnet sich nach gleichlautenden Informationen aus Ratskreisen Katja von Hagen als Favoritin ab. Die SPD-Frau ist aktuell Schulleiterin am Editha-Gymnasium und bestätigt auf Nachfrage ihre Kandidatur, noch ohne sie zum Zeitpunkt weiter kommentieren zu wollen. Sie bekommt Konkurrenz unter anderem von einer Frau, die das angestrebte Amt im nordrhein-westfälischen Minden bereits inne hat. Regina-Dolores Stieler-Hinz (Grüne) ist seit mehr als vier Jahren Beigeordnete für Bildung, Kultur, Sport und Freizeit in der 84.000-Einwohner-Stadt und nennt einen Wechsel in die Landeshauptstadt Magdeburg eine „reizvolle Herausforderung“.

Dem Vernehmen nach soll die Frau mit Grünen-Parteibuch heimliche Favoritin des SPD-Oberbürgermeisters sein, auch mit Blick auf Folgewahlen.

Um die Grünen ins Boot bei den Absprachen zur Mehrheitsbildung zu holen, müssen auch sie bedient werden. Bekommen sie nicht die Kultur, dann fordern sie das Baudezernat ein. Dessen Chef Dieter Scheidemann (parteilos) geht 2021 in den Ruhestand. Trümper soll schwer etwas dagegen haben, dass das Bauressort eine grüne Domäne wird. Die SPD-Frakton hält aber dem Vernehmen nach an von Hagen als Favoritin fest.

Ein möglicher Deal für die Zukunft: CDU behält Wirtschaft und Finanzen (2021 vakant), SPD Kultur und Ordnung (Neuwahl 2022). Die Grünen bekommen Bau und Soziales; beide Ressorts sind 2021 neu zu besetzen und werden aktuell von parteilosen Amtsinhabern geführt. Linke, AfD und zwei Kleinfraktionen sind in dieser Rechnung außen vor, aber mit insgesamt 25 Mandaten alles andere als zu vernachlässigen in den Abstimmungen. Und die sind geheim, was Abweichlern Tür und Tor zum Unterlaufen von Absprachen öffnet. Die Stellen bleiben vakant – bis Auszählungsschluss am 14. Mai.