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Promi-Bilder Wie aus Kaffee und Zeitung Kunst entsteht

Sandra Breitenstein malt mit Kaffeesatz Musiklegenden, Politiker und Widerstandskämpfer. Die Volksstimme dient als Grundlage.

Von Karolin Aertel 07.02.2021, 00:01

Magdeburg/Möser l Am Morgen weckt er die Lebensgeister, danach haucht er so mancher Legende ein Leben auf der Leinwand ein. Kaffee ist für Sandra Breitenstein mehr als ein reiner Muntermacher. Für sie ist er gleichermaßen Pigment und Strukturengeber ihrer Kunst. Bob Marley gab die braune Bohne so ein Gesicht, ebenso David Bowie. Lemmy Kilmister, Jim Morrison und Amy Winehouse wurden gleichermaßen zu den Objekten ihrer Kaffeekunst. Eine Symbiose gehen die Leinwand-Legenden zudem mit der Gegenwart ein. Die Volksstimme-Beiträge bilden den Hintergrund der Kaffeeporträts. „Denn irgendwie hängt der morgendliche Kaffee doch mit dem Aufschlagen der Tageszeitung zusammen“, erklärt die 35-Jährige. Sie fasziniere die Vorstellung, dass jemand, der in 100 Jahren diese Bilder betrachtet, passende Tagesmeldungen vom Entstehungstag des Bildes lesen kann.

Ein Gedanke, der mit der Corona-Krise in ihr reifte. Der erste Lockdown habe die Künstlerin nach neuen Techniken suchen lassen. Ihren Beruf als Pferde- und Reittrainerin konnte sie nicht ausüben. So widmete sie sich ihrem zweiten Standbein, der Kunst, und stieß auf eine sehr alte Technik. Denn bereits im 17. Jahrhundert wurde mit Kaffee und Kaffeesatz gemalt. Künstler, die sich die teuren Pigmente nicht leisten konnten, griffen zum Malen auf Kaffee oder Rotwein zurück. „Ich mag den Kreislauf, der entsteht, wenn man erst den Kaffee genießt und dann auch noch den ‚Abfall‘ auf so gefällige Art entsorgen kann“, erzählt sie.

Bisher malte Sandra Breitenstein vor allem mit Acryl. Mit der Malerei begann sie vor ein paar Jahren, als die gebürtige Magdeburgerin eine Zeitlang in Bayern arbeitete. Für den Fall, dass sie mal vom Pferd falle und ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, begann sie zu malen. Damals widmete sie sich vor allem Tiermotiven, insbesondere Pferden und Hunden. Vor einem Jahr zog die 35-Jährige nach Möser, wo sie ein eigenes Atelier hat. Dieses dufte nun extrem nach Kaffee.

 Mindestens eine Tasse Kaffeesatz benötige sie für ein 100 mal 80 Zentimeter großes Bild. Sie mische den Kaffeesatz mit Acrylbinder zu einer flüssig-zähen Masse. Die Bilder bekommen dadurch Struktur und wirken plastisch. Um die Masse zu fixieren, arbeite sie Epoxidharz darüber. „So erhalten die Bilder noch mehr Tiefenwirkung und sind sehr langlebig“, verrät sie. Vermutlich könne man sie mit einem Wasserstrahl abspritzen und es würde nichts passieren. Nur daran lecken sollte man nicht – nach Kaffee schmeckt das Bild garantiert nicht mehr. Derzeit malt Sandra Breitenstein vor allem Kundenwünsche, doch die seien meist weniger spannend. „Die meisten sind nicht sehr experimentierfreudig.“ Ihr Herz gehöre jedoch nicht den typischen Starporträts, sondern Bildern wie jenes von dem Politiker Walter Lübcke.

Lübcke, der 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet worden war, malte sie und fügte Namen der Opfer rechtsextremistischer Taten ein. „Walter Lübcke übernimmt auf diesem Bild die Funktion, all den Namen auf diesem Bild ein Gesicht zu leihen. Als dieses Bild entstand, hatte ich dauerhaft einen Kloß im Hals und habe versucht, mir jeden einzelnen Namen einzuprägen“, erzählt sie. Jede Geschichte dahinter nie wieder zu vergessen, sei der Grund gewesen. „Leider ist das für mich nicht möglich. Aber das Bild erinnert an jedes einzelne anerkannte Opfer rechter Gewalt. Das ist es, was Kunst kann. Sie kann unbequem sein. Uns an Themen erinnern; die wir nur allzu gerne im Alltag von uns schieben. Das ist es, was mich antreibt, nicht einfach gefällige Dekoration zu erschaffen.“

Das Gros der Bilder von Sandra Breitenstein ist in einer österreichischen Galerie in einem Luxus-Hotel ausgestellt. Gern würde die Elbestädterin ihre Arbeiten auch hier zeigen können. „In Magdeburg werden Bilder von russischen Künstlern gezeigt und die Arbeiten hiesiger Künstler sind irgendwo anders in der Welt zu sehen. Das ist manchmal sehr schade“, sagt sie und hofft, dass mit dem Ende der Corona-Krise die Wertschätzung heimischer Künstler steigt.