Wohnprojekkt in Magdeburg „So baue ich nicht!“
Die Professorin Renate Girmes will eine Brache zur Oase machen und verzweifelt an der Stadtpolitik
Buckau l Ab 1941 brachten die Nazis an der Schönebecker Straße Nummer 51 Kriegsgefangene unter, die nebenan zwangsweise schuften mussten. Zu DDR-Zeiten dienten die Flachbauten als Lager für den Spielwarengroßhandel. Seit der Wende liegt das Areal brach. Der Verfall ist fortgeschritten, aber Renate Girmes schloss die Lage unweit des Stadtteilzentrums schon bei der ersten Besichtigung ins Herz – ein sonnendurchfluteter Lichtpunkt, viel alter Baumbestand. Die Leiterin des Studiengangs Cultural Engineering an der Otto-von-Guericke-Universität – daneben hat sie den Lehrstuhl für Allgemeine Didaktik und Theorie der Schule inne – ist mit ihren Studenten schon von Berufs wegen auf der Suche nach solchen Plätzen. Prof. Girmes befasst sich mit der Frage, wie die Umgebung den Menschen formt und wie die Umgebung aussehen muss, auf dass der Mensch sich gesund entwickelt. Auf das Konto der Studenten von Prof. Girmes gehen die Gemeinschaftsgärten in Nord, der Elbebrückenlauf, das Festival „Die Insel“ im Stadtpark und der Buckauer „Dingweg“ mit seinen Werbesäulen für die aufstrebende Stadtteilkultur. Dem will die 63-Jährige die Krone aufsetzen und zugleich ihrem Lebenswerk.
Für 3,5 Millionen Euro plant Girmes die Kultivierung der Buckauer Brache. Entstehen sollen erschwingliche Appartements und Atelierwohnungen für 50 Bewohner und 30 Gäste/Mitarbeiter, daneben Lehr- und Seminarräume, eine öffentliche Galerie und ein großer Garten als Ort der Besinnung. Gewohnt und gelernt werden soll im Hinterland durch Nutzung des alten Gebäudebestandes, seinen Umbau und seine Aufstockung um ein bis zwei Geschosse samt lichter Innenhöfe und Dachterrassen. Zur Schönebecker Straße hat die Investorin 33 Stellplätze für Pkw angelegt, eine Straßenbahnhaltestelle liegt vor der Tür. Auf eine Randbebauung zum Wohnen will Girmes bewusst verzichten.
„Menschen, die an einer vierspurigen Straße wohnen, werden anders als solche mit Ruhe und Grün. Ich werde nicht die Menschen an die Straße setzen und die Autos in den Garten stellen!“ Renate Girmes lädt jeden, der sich für ihr Projekt interessiert, auf ihr Grundstück ein und erklärt schlüssig ihre Philosophie, die sich an der alten chinesischen Lehre des Feng Shui orientiert. Obwohl heute ganze Hotel- und Geschäftskomplexe nach dem Feng-Shui-Prinzip errichtet werden (zum Beispiel das Sony-Center am Potsdamer Platz in Berlin), eine Ratsmehrheit in Magdeburg kann damit nichts anfangen und verfolgt im Gegenteil eine ganz andere Philosophie. In der Vorwoche befahl der Rat der Investorin eine „geschlossene, straßenbegleitende Bebauung in Höhe der jeweils angrenzenden Bestandsgebäude“. Im mehr als 6500 Quadratmeter großen Innenbereich soll Girmes nur maximal 7 Meter hoch bauen dürfen und statt Ruhezonen besser zusätzliche Stellflächen für Pkw anlegen. Die Vorgaben sprengen das Projekt. Hintergrund des Ratsbeschlusses sind unter anderem Einwände eines Nachbarn. Der Besitzer eines ans Innengelände angrenzenden Viergeschossers (inklusive Dach) befürchtet seinerseits Verschattung, wenn Girmes im hinteren Grundstücksteil bis zu dreigeschossige Objekte mit einem Abstand von 21 Metern (!) zur Grundstücksgrenze plant. Die Verwaltung sah sich nicht in der Lage zur Schlichtung und legte die Sache zum politischen Entscheid vor.
Renate Girmes ist enttäuscht. „Ich habe anfangs viel Beifall für meine Idee bekommen und 50?000 Euro in die Planung investiert. Ich habe einen gültigen Aufstellungsbeschluss für mein Projekt. Der wurde auch im Stadtrat abgesegnet. Jetzt werden mir Steine in den Weg gerollt. Das steht fest: So baue ich nicht!“ Sie wolle nicht reich werden mit dem Objekt, so Girmes, sondern verstehe es im Gegenteil als ein Geschenk an die Stadt und ihre kulturelle Entfaltung. „Ich habe keine Kinder und hatte geplant, das Gelände nach meinem Tod an eine Stiftung zu überführen, die es in meinem Sinne weiterführt.“
Notfalls will Renate Girmes jetzt vor Gericht für ihren Traum kämpfen.