Volksstimme-Reporterin lässt sich für Geld ins Gehirn schauen Versuchskaninchen in der Klinik - Wie Studenten ihre magere Geldbörse auffüllen
Dass Studenten an chronischem Geldmangel leiden ist nichts Neues. In einer Stadt, in der 14000 Studierende leben, sind Aushilfsjobs jedoch Mangelware. Woher also die monetären Mittel bekommen für die Freuden des Lebens?
Magdeburg l Partys an den Wochenenden oder Shoppingtouren im Alleecenter? Auf dem Campus der Universitätsklinik Magdeburg tut sich in Sachen Jobsuche eine recht unkonventionelle Möglichkeit auf. Am Uni-Klinikum führen Wissenschaftler fMRT-Experimente durch, die Daten für wissenschaftliche Publikationen und Promotionen liefern. Die hierfür unabdinglichen Probanden finden sich zumeist unter Studenten, die mit sechs Euro pro Stunde für ihre Teilnahme entlohnt werden. Einen Einblick in das Geschehen gewann Reporterin Luise Bergk vor Ort.
Ich stehe im fMRT-Bereich der Universitätsklinik für Neurologie, im sogenannten "Zenit" (Zentrum für Neurowissenschaftliche Innovation und Technologie). Die Abkürzung fMRT steht für "funktionelle Magnetresonanztomografie". Das ist ein bildgebendes Verfahren, um physiologische Funktionen im Inneren des Körpers mit den Methoden der Magnetresonanztomografie darzustellen. Ein leichter Krankenhausgeruch hängt in der Luft. Zwei Frauen, die Assistentin und die Leiterin des Versuchs, der gleich mit mir durchgeführt wird, begrüßen mich. Fünf bis zehn Messungen mit verschiedenen Probanden finden täglich statt, wobei jede bis zu zwei Stunden dauern kann.
Renate Görtz, die zuständige medizinisch-technische Assistentin, zeigt mir eine kleine Kammer, in der ich mich "metallfrei" machen kann. Dafür gibt es einen einfachen Grund. Alles was metallisch ist, wird durch den extrem starken Magneten in der Röhre in solche Beschleunigung versetzt, dass bereits ein Schlüssel erheblichen Schaden anrichten könnte; nicht nur am Gerät, sondern vor allem am Probanden. Ich setze also meinen Ring ab, entferne die Spange aus meinem Haar und den Gürtel aus meiner Hose. Nachdem ich die Kabine verlassen habe, erklärt mir Steffi, die dieses Experiment für ihre Doktorarbeit durchführt, kurz das Vorgehen: Es handelt sich um einen Versuch zur visuellen Aufmerksamkeit. "Mit diesem Experiment will ich herausfinden, wo und wie die beiden Bewegungsmerkmale Richtung und Kohärenz im Gehirn verarbeitet werden", erläutert die junge Doktorandin. Mir werden zwei Aufgaben gestellt: "Erscheint auf dem Bildschirm der Befehl "dir" - für Richtung, drückst du die rechte Maustaste, wenn sich die Mehrzahl von vielen weißen Punkten nach unten bewegt." Beim Befehl "coh"- Kohärenz, solle ich rechts klicken, wenn sich mehr als 80 Prozent der Punkte bewegen, egal in welche Richtung, meint die Medizinstudentin.
Um an einem Versuch teilnehmen zu können, sollte man idealerweise zwischen 20 und 30 Jahre alt sein, aber mindestens 18. Es werden größtenteils visuelle Versuche durchgeführt, teilweise auch akustische. Seltener sind besondere Experimente, wie beispielsweise zu Farbenblindheit, für die auch spezielle Probanden benötigt werden. Gelegentlich werden auch reifere Testpersonen gesucht, um alterstypische Erscheinungen wie Demenz genauer ergründen zu können. Wenn Tätowierungen, Implantate oder Herzschrittmacher vorhanden sind, kann ein Versuch nicht durchgeführt werden. Wer das beachtet, hat erfahrungsgemäß nichts zu befürchten, versicherte Prof. Dr. Ing. H. Hinrichs von der Klinik für Neurologie.
Kurzer Anflug von Panik
Renate bringt mir Ohrstöpsel, da es während der Messungen recht laut wird. Diese lege ich an und folge ihr dabei zum fMRT. Dort lege ich mich auf eine Art Liege. Mein Kopf wird mit Polstern abgestützt und fixiert, damit ich still liege, wenn die Bilder meines Gehirns erstellt werden. Ich darf mich nachher nicht bewegen, sonst müssen die Aufnahmen wiederholt werden. In die rechte Hand bekomme ich eine Computermouse. Dann werde ich bis zum Bauch in die Röhre geschoben. Kurz überfällt mich angesichts des Platzmangels ein Anflug von Panik, ebbt jedoch schnell wieder ab. Ich ermahne mich und denke daran, was ich mir von dem verdienten Geld leisten könnte. Vor meinen Augen kann ich über einen Spiegel den Computermonitor erkennen. Er wird benötigt, um mir das Experiment zu präsentieren. Renate erkundigt sich von außen über ein Mikrofon nach meinem Wohlbefinden und kündigt eine 10-minütige Vormessung an. Sekunden darauf folgen Geräusche. Eine Mischung aus Klopfen, Rattern und Summen an verschiedenen Stellen in der Röhre.
Studenten, die hier ebenfalls als Tester fungieren, um sich etwas dazuzuverdienen, haben entweder die Aushänge in den Unterrichtsgebäuden und der Mediziner-Mensa gelesen, eine Zeitungsanzeige entdeckt oder sich direkt an den MR-Physiker der Klinik, Herrn Dr. Claus Tempelmann, gewandt. Er verwaltet die Probandendatenbank, mit deren Hilfe Teilnehmer ausgewählt und telefonisch kontaktiert werden.
Das eigentliche Experiment beginnt. Es ist in sechs Durchgänge zu jeweils acht Minuten aufgeteilt. Die Punkte springen vor meinen Augen auf und ab. Die Minuten verfliegen. Das monoton vor sich hin brummelnde fMRT im Hintergrund fördert meine Konzentrationsfähigkeit nicht unbedingt. Wie tänzelnde Eurozeichen schwirren die Punkte vor meinen Augen. Bald erhalte ich meinen Lohn.
18 Euro verdient
Nach über einer Stunde ist es geschafft. Endlich kann ich meine Unterschrift unter das Formblatt setzen, das mir meinen ersehnten Verdienst bescheren wird - 18 Euro! Ich bin zufrieden, in Gedanken schon beim Shoppen im Alleecenter und fahre schließlich gut gelaunt nach Hause.
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(Dieser Beitrag wurde in einem Germanistik-Seminar der Otto-von-Guericke-Universität erarbeitet. Betreut wurde das Seminar von den Volksstimme-Redakteuren Oliver Schlicht und Andreas Stein.)