Corona-Impfungen Ärzte und Apotheker in der Börde kritisieren Blindstart des digitalen Impfpasses
Ab sofort sollen sich vollständig geimpfte ihren digitalen Impfpass in der Apotheke ihres Vertrauens ausstellen lassen können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die schrittweise Einführung angekündigt. Damit ist der eigentlich für Montag vorgesehene Termin vorverlegt worden – sehr zum Unverständnis der betroffenen Apotheker und Ärzte in der Region, da einfach die Voraussetzungen fehlen.

Oschersleben l Viele deutsche Apotheken sollen seit dem 10. Juni 2021 einen digitalen Impfnachweis für vollständig gegen Corona geimpfte Bürger ausstellen können. Die Einführung des Digital-Passes in Deutschland ist somit fünf Tage früher, als eigentlich angekündigt, gestartet, glaubt man dem Bundesgesundheitsministerium. In der Praxis sieht es jedoch ganz anders aus.
Die Apotheker und Ärzte in der Region gehen davon aus, dass die entsprechenden technischen Voraussetzungen erst in der kommenden Woche bereitstehen. Das bedeutet, dass die entsprechenden Programme erst dann komplett freigeschaltet sind, im Augenblick sind sie es nämlich noch nicht.
Demnach äußerten sich die von der Volksstimme zu diesem Thema befragten Apotheker und Ärzte recht erstaunt über die vollmundige Ankündigung aus dem Ministerium. So sagt Kristin Nielebock, Inhaberin der Rats-Apotheke und der Arnica-Apotheke in Wanzleben. „Wir wissen nicht mehr als die allgemeine Bevölkerung auch“, stellt sie genervt fest. Möglich sei die Erstellung des digitalen Impfpasses wohl bei ab sofort erfolgenden Impfungen durch die Hausärzte.
Die Apothekerin erläutert: Unsere Aufgabe ist es, praktisch die Nachträge für die bei Hausärzten erfolgten Impfungen zu erstellen.“ Das bedeutet, dass Menschen, die dort die zweite Impfung erhalten haben, zur Apotheke kommen können und sich aufgrund dieser Daten einen digitalen Impfpass erstellen lassen. Allerdings eben erst im Laufe der nächsten Woche.
„Vorher wird das nicht umsetzbar sein“, erklärt Kristin Nielebock. „Das Portal ist überlastet, wir wissen noch nicht einmal, wie eigentlich wirklich die Eingabemaske aussieht noch sonst irgendwas.“ Theoretisch ist man darauf vorbereitet, aber die Freischaltung sei noch nicht erfolgt.
„Außerdem müssen wir uns doch selber erst einmal mit dem portal beschäftigen“, sagt die Apothekerin. Dafür werde auch Zeit benötigt. Daher wäre es ihr recht, wenn die Kunden zunächst telefonischen Kontakt zur Rats-Apotheke aufnehmen, ehe sie persönlich vorbeikommen. Die Arnica-Apotheke dagegen werde wie bisher Testungen anbieten. „Wir sind mittlerweile am Limit angekommen, bei dem, was wir noch leisten können“, betont Kristin Nielebock. „Daher bitten wir unsere Kunden um Verständnis, wenn nicht alles direkt am Montag umsetzbar ist.“
Dr. Jörg Froböse ist der Inhaber der Apotheke Storchshöhe in Oschersleben. Er beschreibt die Situation so: Durch die Berufsverbände seien Apotheker in den letzten Wochen über den digitalen Impfpass und die rechtlichen Grundlagen informiert worden. Wobei die Ausstellung dieses Nachweises in Apotheken wohl erst am Montag, 14. Juni, beginnen soll. Auch das sei mehr als sportlich – zumal er erst am Mittwoch davon erfahren habe, so Jörg Froböse.
Gleichzeitig habe es gestern aber schon zahlreiche Anrufe von Kunden gegeben. „Wir haben derzeit viele Anfragen, die wir nicht verbindlich beantworten können“, so Jörg Froböse. Allgemein sei er über die Kurzfristigkeit der Umsetzung durchaus nicht erfreut. „Apotheken, Verbände und Softwareanbieter arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung. Aber die Zeit ist sehr kurz“, so Froböse. Zumal alles parallel zum eigentlichen Betrieb erledigt werden müsse. Die Situation erinnere ihn an die Verteilaktion von FFP2-Masken durch die Apotheken und an den Verkaufsstart der Corona-Schnelltests. Beides sei ebenfalls sehr plötzlich mitgeteilt worden. „Da gab es mehrere Wochen lang keine Tests zu kaufen. Dementsprechend konnte die Bevölkerung entgegen der Ankündigung durch die Politik nicht versorgt werden“, hält der Apotheker fest.
Der digitale Impfnachweis sei für die Kunden ein kostenloses Angebot. „Aber mir ist noch nicht bekannt, welche Arbeitsschritte wir als Dienstleister im Detail zu vollbringen haben“, sagt der Apotheker. Weiterhin sei unklar, welche Unterlagen mitgebracht werden müssten. Reicht der Impfausweis oder braucht es auch den Personalausweis? Das alles sei offen. Trotzdem könne die Ausstellung der Nachweise vermutlich im Verlauf der kommenden Woche beginnen. Kunden würden dabei einen sogenannten QR-Code bekommen. Entweder werde er ausgedruckt oder am Monitor präsentiert. Anschließend könne er mit dem Handy fotografiert und in die entsprechende App eingeladen werden. Laut dem Bundesgesundheitsministerium funktioniert das zum Beispiel mit der Corona-Warn-App oder mit der Anwendung CovPass.
Ärzte sind ebenfalls vor Herausforderungen gestellt. Doreen Steinke ist Fachärztin für Allgemein- und Palliativmedizin. Sie arbeitet in der Gemeinschaftspraxis an der Oschersleber Gartenstraße und beschäftigt sich nach eigener Aussage bereits seit Dienstag mit dem Thema. Die Praxis verfüge über einen eigenen IT-Mitarbeiter. „Der ist schon dran, mit den Softwareanbietern zu telefonieren“, erläutert die Ärztin. Außerdem erklärt sie, dass der Start des digitalen Nachweises durch den Bundesgesundheitsminister vorgezogen worden sei. Eigentlich hätte es erst Ende des Monats soweit sein sollen. Nun sei die Politik offenbar schneller als die Wirklichkeit. Laut Doreen Steinke gehört die Praxis an der Gartenstraße zu den Pilotpraxen, die schon impfen konnten, bevor die generelle Freigabe für niedergelassene Ärzte erfolgt. Geplant sei, dass Patienten, die ihre zweite Impfung erhalten, das Zertifikat für den digitalen Nachweis sofort erhalten können. Bereits geimpfte Patienten könnten einen Termin machen, um das nachzuholen. „Aber es wäre schön, wenn nicht alle auf einmal kommen“, betont Doreen Steinke.
Auch so gingen täglich mehrere Hundert Anruf ein. Allgemein bitte man beim digitalen Impfpass noch um eine Woche Geduld.