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Coronavirus Oschersleber Eltern meistern "Zwangsurlaub"

Die Oschersleber haben sich auf die Corona-Maßnahmen eingestellt und blicken in eine ungewisse Zukunft.

Von Yvonne Heyer 23.03.2020, 11:39

Oschersleben l In allen städtischen Kitas nehmen Eltern, wenn auch nur wenige, die Möglichkeit der „Notbetreuung“ ihrer Schützlinge in Anspruch. Mit genauen Zahlen möchte Bürgermeister Benjamin Kanngießer nicht agieren, da diese heute schon wieder anders aussehen können.

Mit Bekanntwerden der Schließung von Kitas und Schulen am 13. März haben Eltern das Wochenende genutzt und die Betreuung ihrer Kinder organisiert. Andererseits sind viele Muttis und Vatis ins Home Office gegangen. So wie Susanne Raap. Im Gericht gibt es keinen Besucherverkehr, Verhandlungen finden nicht statt. Somit arbeiten Mama und die beiden Söhne (5. Klasse Gymnasium und 2. Klasse Grundschule) zu Hause. „Die Jungs haben Aufgaben bekommen, die der Situation angemessen sind. Nach der ersten Ansprache, dass das hier keine Ferien sind, läuft es gut. Morgens und nachmittags wird jeweils eine Stunde konzentriert gearbeitet. Ich sehe das Ganze auch als Chance: keine zusätzlichen Termine, viel Zeit für Spiele, zum Basteln. Ich wünschte nur, alle würden sich an die Regel halten, dann könnten wir in sechs bis acht Wochen durch sein,“ meint die Oschersleberin.

Die Hadmersleberin Sabine Köhler berichtet vom Stress in der Apotheke „Storchshöhe“, in der sie arbeitet. Es sei schwierig, den Patienten klar zu machen, möglichst zwei Meter Abstand zu halten und dass nur ein Kunde pro Bediener in das Innere der Apotheke gelassen werden darf. „Unsere Kinder im Grundschul- und Kitaalter fanden es beim Frühlingswetter schön zu Hause. Ich bin froh, dass wir einen Garten haben. Die Große fragt viel, für beide Kinder ist es schwer zu verstehen, dass sie ihre Freunde nicht sehen dürfen. Auch privat sind wir auf null Kontakte runter gefahren. Etwas Angst bereitet mir die Lage. Was kommt noch? Wie kommen wir mit einem Gehalt mit den laufenden Kosten zurecht? Und? Und? Und? Ansonsten sind wir froh, dass wir gesund sind, den Großeltern haben wir eine ‚Ausgangssperre‘ verordnet“, erzählt Sabine Köhler. Sie richtet einen Appell an alle Mitbürger: Sie alle sollten zu Hause bleiben, nur dann kann die Apotheke geöffnet bleiben, können die Arztpraxen weiter arbeiten und die Pflegekräfte die Kranken und Senioren versorgen.

Für Familie Krause aus Hordorf ist die erste Woche gut gelaufen. Mama Jana berichtet, dass Tochter Ria, sie besucht die St. Martin Grundschule in Oschersleben, um 8.30 Uhr mit den Aufgaben beginnt. „Mit kleinen Pausen ziehen wir bis 13 Uhr durch. Wir haben einen großen Garten, da wird sich am Nachmittag ausgetobt. Ria vermisst ihre Freunde. Aber dank Skype und Co kann sie mit ihnen per Video telefonieren“, erzählt Jana Krause. Am Wochenende war natürlich „schulfrei“. Bei nicht so gutem Wetter darf auch mal länger der Fernseher an sein und Rias kleiner Bruder Jakob hält seine große Schwester zudem auf Trap. „Über Langeweile konnten wir uns bisher nicht beschweren.“

Stefanie Twarkowski nimmt Sohnemann Ben mit in die Firma, zu Kebotherm. Dort arbeitet auch Papa Bastian Hering. „Anders ist es nicht machbar. Ab heute kommt ein Freund von Ben dazu. Gemeinsam mit der anderen Mutti wechseln wir uns dann mit der Betreuung ab, unser Chef hat uns ein extra Zimmer dafür zur Verfügung gestellt“, berichtet die Groß Germersleberin.

Viele Menschen haben in diesen Tagen Sorgen, da es mehr Fragen als Antworten auf die Auswirkungen gibt, die das Coronavirus mit sich bringen wird. Wie aber gehen Menschen mit dieser Krise, mit dieser schwierigen Situation um, die seelische Behinderungen haben, für die feste Strukturen lebenswichtig sind?

„Unsere Klienten haben Ängste. Diese werden nun durch die Corona-Pandemie verstärkt“, erklärt Nicole Strauß, Leiterin der DRK-Einrichtungen Ambulante Begleitung und des Sozial- und Teilhabezentrums „Chancenschmiede-Plan B“. Die Einrichtungen kümmern sich um Menschen mit seelischen Behinderungen. Gerade in diesen Tagen ist es für die Frauen und Männer sehr wichtig, dass ihre klare Tagesstruktur erhalten bleibt. „Die ‚Chancenschmiede‘ ist noch offen. Wir sind für die Menschen in Zeiten der Angst eine Art Kraftoase. Täglich kommen 15 Leute in die Einrichtung, weitere 20 kommen nur an bestimmten Tagen, werden von zehn Kollegen betreut. Das Sozial- und Teilhabezentrum fand erst vor wenigen Monaten ein neues Domizil mit wesentlich besseren Betreuungsmöglichkeiten. „In der alten Bleibe ging es beengt zu, die hätten wir in der aktuellen Situation schließen müssen“, erklärt Nicole Strauß. Zum neuen Domizil gehört ein großes Außengelände, wo sich die Klienten auch draußen bewegen können. Allerdings fallen Außenkurse, wie Schwimmen oder Aktionen im Wiesenpark, weg.

In diesen Tagen haben die Familien der Klienten, die im Rahmen der Ambulanten Begleitung, im Aufsuchenden Dienst oder in der Eingliederungshilfe betreut werden, viele Fragen. Ein telefonischer Bereitschaftsdienst ist eingerichtet. „Wir sind da“, diese Botschaft ist Nicole Strauß wichtig.

Alle Werkstattbereiche der Matthias-Haus-Claudius-Stiftung sind bis zum 19. April geschlossen. An den Standorten sind Mitarbeiter als Ansprechpartner für Kunden und Dienstleister im Einsatz. Die Beschäftigten bleiben zu Hause oder werden in den Wohnbereichen betreut. Hier kommen auch Mitarbeiter zum Einsatz, die bislang in den Werkstätten für den Menschen mit Behinderungen da waren. Werkstattleiter Dirk Belling hofft indes auch auf Maßnahmen der Bundesregierung, damit ausstehende Löhne gezahlt werden können, die Menschen weiterhin finanziell abgesichert sind. „Unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt. Wir haben in den vergangenen Tagen viele Gespräche geführt, geklärt, welche Aufträge dringlich sind, wo Bedarfe, gerade bei Verpackungen für die Industrie, abzusichern sind. Wir möchten die Kunden nicht verlieren“, erklärt Dirk Belling.

Anette Junghans hat die von ihr gegründete Seniorentagespflege geschlossen. Montags bis freitags sind bislang 30 zum Teil hoch betagte Frauen und Männer in die Einrichtung gekommen. Mithilfe der ambulanten Pflegedienste und der Angehörigen müssen sie nun zu Hause betreut werden. „Die Senioren-WG bleibt offen, ist allerdings mit einem Besuchsverbot belegt“, berichtet Annette Junghans. Das bislang in der Seniorentagespflege eingesetzte Personal ist vorerst mit in der Senioren-WG eingesetzt, „Noch habe ich alle 15 Leute beschäftigt, aber wie lange ist das durchzuhalten?“, fragt sich Anette Junghans.