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Denkmalpflege Der Schatzsucher aus der Börde

Fred Witte aus Marienborn hat den Denkmalpreis des Landes Sachsen-Anhalt erhalten. Was Bodendenkmalpflege ist:

Von Ronny Schoof 31.10.2019, 08:00

Marienborn l Wenn Bewegung im Freien jung hält, dürfte Fred Witte zur Beweisführung als Paradebeispiel dienen. Seine fünfzig Lenze sieht man dem gebürtigen Mecklenburger nicht an. Seit er laufen kann, ist draußen sein Terrain. „Ich habe einen starken Bewegungsdrang, und die frische Luft schafft Glücksgefühle“, erklärt Witte seine Vorliebe fürs Weitläufige. Die kombiniert er mittlerweile mit dem Ehrenamt als Spürnase im Namen des Landesamts für Denkmalpflege in Halle. Bodendenkmalpflege nennt sich das, womit Fred Witte 2013 begonnen hat und was er mit einer unnachahmlichen Hingabe verrichtet.

„Meine Aufgabe besteht im Grunde darin, die Gegend zu durchstreifen und auf Spuren früherer Besiedlung zu achten“, erklärt Witte. Bei solcherlei Indizien handelt es sich meist um verbranntes Silikatgestein, Tonscherben und Knochenreste, die über Jahrhunderte, teils auch Jahrtausende mehr oder weniger tief im Erdreich schlummerten und durch Bodenbewegung an die Oberfläche gelangen, wo sie vom geschulten Auge Wittes entdeckt, dann eingetütet und schließlich noch geografisch eingemessen werden. Die Äcker rund um Marienborn, Sommerschenburg, Harbke und Völpke sind da eine wahre Fundgrube. Die jährliche Feldbestellung spült immer wieder neue alte Dinge nach oben. „Das bedeutet, dass sich das Bild erst vervollständigt, wenn ein Flurstück über mehrere Jahre abgesammelt wird“, weiß Witte inzwischen. Und genau das tut er. Nahezu täglich.

„Die Wochenenden gehören der Familie, ansonsten arbeite ich in drei Schichten und habe daher sowieso einen anderen Tagesablauf als die Familie“, sagt Witte. In diesen Allein-Zeiten widmet er sich den verborgenen Geschichtszeugnissen. Die Streifzüge durch Feld, Flur und Wald erfolgen ausgedehnt und systematisch. „Im Sommer bin ich drei bis fünf Stunden täglich unterwegs, im Winter etwas weniger. Und ich gehe nicht kreuz und quer, sondern nach Plan und Reihe.“ Witte orientiere sich da an der Rübenhackordnung aus seinen jüngeren Tagen, wie ihm auch die Kindheitsfaszination für Steine und Fossilien bei seiner Aufgabe hilft.

Die Erfolgsquote? „Hundert Prozent“, versichert Witte, es vergehe keine Tour ohne Fund. „Ich komme nie mit leeren Händen nach Hause.“ Der Blick auf seine säuberlich GPS-notierten Fundstellen bestätigt, dass er mit der Aussage nicht übertreibt. Tausende Koordinaten sind da auf den Satellitenaufnahmen von Dorn und Born und Börde rot markiert. Diese Bilder verraten letztlich auch, wo sich höchstwahrscheinlich eine alte Siedlung befindet und womöglich eine archäologische Grabung lohnenswert ist. „Die Punkte verdichten sich zu einer bestimmten Stelle, und man kann davon ausgehen, dass genau dort etwas Mittelalterliches oder gar Stein- und Frühzeitliches liegt“, so Witte. Jüngstes Resultat: die Ausgrabung am Bullerpring.

Er selbst ist als Bodendenkmalpfleger nur an der Oberfläche und maximal ein Handbreit tiefer tätig. „Die Archäologen haben es besser“, sagt er, „die graben und haben dann den ganzen Topf; ich finde bloß die Scherben.“ In der Tat sind es fast ausschließlich Bruchstücke oder Teile von etwas Größerem, was Witte birgt: Werkzeuge wie Bohrer und Schlegel aus Felsgestein, Pfeilspitzen, metallene Sargbeschläge, Gürtelschnallen, Schäfte und Fibeln. Besondere Funde gehen ans Landesmuseum nach Halle: „Teils werden sie für die Dauerausstellung verwendet, teils wandern sie ins Archiv, und generell sieht man nicht wieder, was man abgibt.“ Das stört Fred Witte nicht. Er sammelt nicht des Aufbewahrens wegen, behält auch weniger bedeutende Stücke nicht für sich, sondern reicht sie weiter, etwa an die Harbker Heimatstube „Grauer Hof“.

Zu seinen interessantesten Funden gehören eine Reihe Brandenburger Denare (Münzen) mit Signatur des Prägers, ein Bleitäfelchen mit lateinischer Inschrift, die sich als Genesungsgebet für ein erkranktes Mädchen interpretieren lässt, sowie eine so genannte Omegafibel (Mantelspange mit Drachenköpfen), die vermutlich aus dem Baltikum stammt.

Der Aufwand Wittes ist dabei ebenso beachtlich wie seine Akribie – und nimmt mitunter „verrückte Ausmaße“ an. Das sagt er selbst und meint damit weniger die 4000 Kilometer, die er jährlich suchend zurücklegt, sondern eher Aktionen wie das Unkrauthacken auf abgesteckten 100-Quadratmeter-Parzellen irgendwo im Nirgendwo: „Da wucherte es einfach nur, und da kann ich natürlich nichts finden. Also habe ich das per Hand alles freigeräumt.“

Bedenkt man dazu noch die Stunden an dokumentierender sowie foto- und kartografischer Aufarbeitung in den heimischen vier Wänden, kann man den Worten von Interessenskamerad Reinhard Duckstein nur beipflichten. Er hatte Fred Witte vor sechs Jahren die Bodendenkmalpflege ans Herz gelegt und meint nun: „Wenn diesen Preis einer verdient hat, dann er. Ich freue mich sehr für ihn, und wir alle hier sind sehr stolz darauf, denn es ist auch eine Anerkennung für die gesamte ehrenamtliche kulturgeschichtliche Arbeit vor Ort.“