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Diabetes Die gefährliche Seite des Zuckers

Am 14. November ist Weltdiabetestag. Experten der Helios Bördeklinik in Neindorf (Landkreis Börde) geben Rat zur Diabetes.

Von André Ziegenmeyer 13.11.2020, 06:29

Neindorf l Mehr als sieben Millionen Menschen leiden in Deutschland an Diabetes. Täglich kommen rund 500 Neuerkrankungen hinzu. Doch was hat es mit der sogenannten „Zuckerkrankheit“ eigentlich auf sich? Zunächst gilt es, verschiedene Typen zu unterscheiden. Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung. Dabei greifen die eigenen Abwehrkräfte jene Zellen der Bauchspeicheldrüse an, die Insulin herstellen. So wird die Produktion verringert oder kommt ganz zum Erliegen. Doch Insulin ist wichtig. Es sorgt dafür, dass Zellen Glukose aufnehmen und daraus Energie gewinnen können.

Mit dem Typ-2-Diabetes verhält es sich anders. In diesem Fall hat der Körper genug Insulin. Allerdings entwickeln Zellen eine Resistenz dagegen. Das führt ebenfalls dazu, dass sie keinen Zucker aufnehmen und verwerten können. In beiden Fällen wird die Glukose ungenutzt ausgeschieden. Die Zellen hungern und müssen anders versorgt werden. Neben diesen beiden Typen gibt es noch andere Arten, zum Beispiel Schwangerschaftsdiabetes. Aber wie die Deutsche Diabetes Hilfe erklärt, handelt es sich in fast 90 Prozent der Fälle um Typ 2.

Dr. Ali Ghanem arbeitet in der Helios-Bördeklinik als Departmentleiter der Kardiologie. Wie er erklärt, ist Typ-2-Diabetes eine Art Zivilisationskrankheit. Seine Entstehung wird durch Bewegungsmangel und Übergewicht begünstigt. Bei Typ-1-Diabetes ist die Lage komplexer. Hier greifen genetische Faktoren und Umwelteinflüsse ineinander.

Die Gefahren würden in der Bevölkerung oft unterschätzt, so Ali Ghanem. Sie seien vor allem bei einem schlecht kontrollierten Diabetes groß - also wenn Patienten zum Beispiel ihre Kalorienzufuhr nicht im Blick behalten und der Blutzuckerspiegel stark schwankt.

Ein Typ-2-Diabetes könne zum Beispiel zu einer Immunschwäche und vermehrten Infektionen führen. „Außerdem wird die Entstehung einer Arteriosklerose begünstigt“, führt Ali Ghanem aus. Dabei kommt es in den Wänden von Blutgefäßen zu Ablagerungen. Das kann Adern im ganzen Körper schädigen. Mögliche Folgen sind eine Funktionsstörung der Nieren, ein Schlaganfall - oder eben eine coronare Herzkrankheit. „Bei Menschen mit Diabetes ist das Risiko, eine coronare Herzerkrankung zu bekommen, dreimal so hoch wie sonst“, verdeutlicht der Mediziner.

Besonders schwierig werde es, wenn weitere Risikofaktoren hinzu kommen. Dazu zählen Übergewicht, Rauchen, Bluthochdruck, mangelnde Bewegung und erhöhte Cholesterinwerte. Tückisch ist, dass viele dieser Faktoren sich gegenseitig begünstigen und verstärken.

Ebenfalls gefährlich: Wie Dr. Ali Ghanem erklärt, schädigt Diabetes auch das Nervensystem. Auf diese Weise könne es zu sogenannten „stummen Herzinfarkten“ kommen, von denen der Betroffene nichts merkt. Klassische Warnzeichen wie das Engegefühl in der Brust können nicht mehr wahrgenommen werden.

„So entstehen mitunter schwere Schäden am Herzen, ohne dass es der Patient bemerkt“, verdeutlicht Ali Ghanem. Mangelnde Blutversorgung und ein Infarkt können wiederum zur sogenannten Herzschwäche führen. Heikel: Laut Deutscher Diabetes Hilfe wissen von den rund sieben Millionen Diabetikern in Deutschland etwa zwei Millionen gar nichts von ihrer Erkrankung.

Doch es gibt Warnzeichen. „Das häufigste Symptom ist, dass Patienten extrem viel trinken und dementsprechend häufiger Wasser lassen müssen“, erklärt Ali Ghanem. Dabei gehe es um bis zu zehn Liter am Tag. Typ-1-Diabetes gehe darüber hinaus oft mit einer starken Gewichtsabnahme einher. Das hat folgenden Grund: „Die Zellen des Körpers brauchen Energie. „Der schnellste Weg, sie zu bekommen, ist Glukose. Wenn sie nicht verfügbar ist, verbrennt der Körper das Fettgewebe. Wenn auch das nicht mehr da ist, baut der Körper Muskeln ab“, führt Ali Ghanem aus. Ähnliches kann auch bei Typ 2 auftreten, falls der Körper einen erhöhten Energiebedarf hat - beispielsweise in Folge von Anstrengung oder einer Infektion. Da die Glukose nicht von den Zellen aufgenommen werden kann, ist der Blutzuckerwert sehr hoch. Das kann laut dem Departmentleiter der Kardiologie auch zu Sehstörungen führen. Oft stelle sich auch ein massives Hungergefühl ein, weil der Körper nach Energie verlangt.

Die schlechte Nachricht: Heilbar ist Diabetes in den meisten Fällen nicht. Der einzige Weg besteht laut Ali Ghanem in der Transplantation einer neuen Bauchspeicheldrüse - und das nur bei Typ 1. Aber es gibt eine ganze Reihe von Behandlungsmöglichkeiten. Beim Typ 1 muss dem Körper Insulin von außen zugeführt werden. Das ist durch Spritzen möglich oder durch eine Insulinpumpe unter der Haut. Bei ihr lässt sich die Insulinabgabe passend zum Tagesverlauf genau programmieren. Außerdem gibt es heute digitale Blutzuckermessgeräte, bei denen eine Messstation in den Oberarm implantiert wird.

Bei Typ-2-Diabetes gibt es laut Ali Ghanem eine ganze Reihe von Behandlungsmöglichkeiten. Sie alle zielen darauf, Zellen wieder so zu sensibilisieren, dass sie Glukose in ihr Inneres schleusen. Das führe zu einer Senkung des Blutzuckerspiegels und gehe oft mit der Einnahme von Tabletten einher.

Mit Doreen Krebs gibt es im Neindorfer Krankenhaus sogar eine Diabetes-Beraterin. Sie wurde über die Deutsche Diabetes Gesellschaft ausgebildet und sieht sich als eine Mittlerin zwischen Arzt und Patient. Es sei wichtig, dass Diabetiker verstehen, in welcher Situation sie sich individuell befinden und welche Möglichkeiten sie haben. Gleichzeitig müssten die Ärzte über alles Wichtige auf dem Laufenden gehalten werden. „Wir haben eine super gute interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Bereichen der Bördeklinik“, lobt Doreen Krebs.

Es gebe sogar ein spezielles Diabetes-Management. Dabei gehe es unter anderem darum, dass Diabetiker vor Eingriffen einen ideal eingestellten Blutzuckerspiegel haben. Als Unterstützung befinde sich derzeit noch eine Diabetes-Assistentin in Ausbildung.

Darüber hinaus gehören zur Arbeit von Doreen Krebs viele alltagspraktische Aspekte. Sie erklärt Patienten, wie Medikamente wirken, wie der Blutzuckerspiegel gemessen und wie Insulin gespritzt wird. Dabei sei es wichtig, dass der Blutzuckerwert auch nicht zu stark absinkt. „Bei einer Unterzuckerung geht der Adrenalinspiegel hoch. Dann fängt das Herz an, stärker zu schlagen“, verdeutlicht Doreen Krebs. Ein bereits geschwächtes Herz könne das mitunter nicht gut vertragen.

Ausgewogenes Essen spiele ebenfalls eine wichtige Rolle. Vor allem eine mediterrane Ernährung mit viel Gemüse und pflanzlichen Fetten wirke sich günstig aus. Um Patienten zu informieren, gebe es außerdem eine Vielzahl ambulanter und stationärer Schulungsprogramme. Doch eines liegt Doreen Krebs besonders am Herzen: „Wenn ich Diabetes habe, muss ich mich um diese Erkrankung kümmern. Aber dann kann ich mit ihr alt werden.“