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Zugunglück Hordorf: Die Erinnerung bleibt

Am 29. Januar vor zehn Jahren hat sich in Hordorf ein schweres Zugunglück ereignet. Zehn Menschen verloren ihr Leben. Ein Rückblick.

Von André Ziegenmeyer 29.01.2021, 00:01

Hordorf l Es war ein nebliger, kalter Abend. Raureif bedeckte den Boden. Doch sonst war alles normal. Ein ruhiger Sonnabend. Niemand in Hordorf ahnte etwas von dem Unglück, das sich gegen 22.28 Uhr ereignen sollte und das viele Menschen noch immer nicht loslässt.

Zwei Züge fuhren mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Der Harz-Elbe-Express war von Magdeburg nach Halberstadt unterwegs. Aus der Gegenrichtung näherte sich ein Güterzug der Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter. Er war etwa zwei Stunden zu spät. Hinter den beiden Loks befanden sich 32 Waggons. Sie waren mit rund 1400 Tonnen Kalk beladen. Eigentlich hätte der Güterzug stoppen müssen. Doch zwei Signale wurden nicht beachtet.

Knapp hinter dem Hordorfer Bahnhof, in Richtung Süden, wird die Bahntrasse zweigleisig. Dort hätten die Züge einander gefahrlos passieren können. Doch dazu kam es nicht. Trotz einer Notbremsung stießen sie frontal zusammen. Dabei trug vor allem der Personenzug schwerste Schäden davon. Er kippte auf die Seite. Zehn Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben, darunter der Lokführer des Harz-Elbe-Express. Mehr als 20 weitere Personen wurden teils schwer verletzt.

An das Geschehen von vor zehn Jahren erinnert heute ein Gedenkstein. Auf seiner Rückseite steht: „Eure Taten, Eure Worte, sie alle sind geblieben. Eure Stimmen in unseren Herzen, sie werden niemals versiegen.“ In Hinblick auf den zehnten Jahrestag des Unglücks ist das Umfeld des Steins vor kurzem neu gestaltet worden. Die Kosten haben die Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter übernommen. Um die Pflege des Steins kümmert sich der Förderverein der Hordorfer Feuerwehr.

Olaf Pichler war damals selbst an der Unglücksstelle. Er engagiert sich ehrenamtlich als Notfallbegleiter für die Feuerwehren im Süden des Landkreises Börde. In schweren Situation steht er anderen Menschen bei. Wie er selbst sagt, leistet er „Erste Hilfe für die Seele“.

Nicht alle Details der Unglücksnacht sind ihm im Gedächtnis geblieben. Aber es gebe Eindrücke, die bleiben. Dazu gehöre zum Beispiel das Bild der voll ausgeleuchteten Unfallstelle, als er seinen Einsatz beendete. „So etwas sieht man zum Glück nur selten. Es war unwirklich. Meist kennt man solche Bilder nur aus dem Fernsehen“, sagt Olaf Pichler.

Der Notfallbegleiter traf in jener Nacht gegen 23.30 Uhr in Hordorf ein. Als Erster wurde zunächst sein Teamleiter Friedrich von Biela angefordert. Vor Ort hätten sich die Notfallbegleiter gleichermaßen um Rettungskräfte wie Privatpersonen gekümmert - zu Letzteren gehörten die Überlebenden des Unglücks, aber auch Anwohner. Einige seien auf ihn zugekommen. Andere habe er selbst angesprochen, so Olaf Pichler. „Das Gespräch ist das A und O. Dafür sind wir da“, betont der Notfallbegleiter. Eine solche Situation und solche Eindrücke könne keiner für sich selbst verarbeiten.

Die Zeugen Jehovas hätten ihr Gebäude, das sich direkt neben dem Bahnhof befindet, als geschützten Ort für Gespräche zur Verfügung gestellt. Später habe man das Hordorfer Dorfgemeinschaftshaus genutzt, so Olaf Pichler. Er selbst sei bis 6 Uhr morgens im Einsatz gewesen. Aber das war nicht alles. Das ganze Team habe Nachsorgegespräche geführt. Dabei sei man auch durch den Ort gegangen, um den Menschen zu helfen. Mit den Einsatzkräften der Feuerwehren habe man sich ebenfalls getroffen.

Mit Blick auf den zehnten Jahrestag des Unglücks erklärt Olaf Pichler: „Es ist gut, dass daran erinnert wird. Aber ich glaube, alle Beteiligten, gerade die Angehörigen der Opfer, haben versucht, sich damit auseinanderzusetzen und abzuschließen.“ Auch ihm falle es nicht leicht, über dieses Thema zu sprechen. So schlimm das Unglück auch gewesen sei: Man müsse seinen Frieden damit machen. „Es ist nicht der richtige Weg, alte Wunden immer wieder aufzureißen“, sagt Olaf Pichler.

Aus diesem Grund möchten auch Hordorfs Ortsbürgermeister Norbert Kurzel und die Feuerwehren keine Interviews mehr geben. Andreas Ehrhardt ist der Pressesprecher der Oschersleber Wehren. Er erklärt, dass es auch darum gehe, die eigenen Leute zu schützen.

Laut Norbert Kurzel haben Vertreter des Ortes bereits gestern Abend in aller Stille einen Kranz am Gedenkstein niedergelegt. Eine offizielle Veranstaltung sei nicht geplant.

Der Kreisbrandmeister der Börde, Matthias Schumann, warf zumindest einen kurzen Blick zurück. Er traf früh am Unglücks-ort ein – damals noch als Leiter der technischen Einsatzleitung des Landkreises. Auch für ihn gibt es Bilder, die nicht verblasst sind. „Man sieht einen umgekippten Waggon vor sich liegen und denkt: Das kann eigentlich gar nicht passieren. Doch es ist real“, erklärt Matthias Schumann im Hinblick auf die Kräfte, die beim Unglück gewirkt haben. Als Feuerwehrmann werde man bei Lehrgängen darauf hingewiesen, dass man auch mit solchen Eindrücken umgehen müsse. Aber so etwas lerne man nicht auf der Schulbank.

Doch gerade vor diesem Hintergrund betont Matthias Schumann: „Was ich positiv in Erinnerung habe, ist die gute Zusammenarbeit der einzelnen Institutionen wie Bundespolizei, Staatsanwaltschaft, Rettungsdienst, Feuerwehren, Stadt Oschersleben und der Notfallbegleiter.“ Es sei ein schwerer Einsatz gewesen. „Noch heute möchte ich mich bedanken, dass die gesamte Einsatzabwicklung hervorragend funktioniert hat“, sagt der Kreisbrandmeister. „Ich bin froh, dass wir im Landkreis Börde Kameraden haben, mit denen man auch solche Einsätze bewältigen kann.“