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Stammzellen Mit einem Piks zum Lebensretter

Für viele ist eine Stammzellspende die einzige Chance auf Heilung. Der Oschersleber Steven Sperling hat das getan.

Von André Ziegenmeyer 16.02.2020, 01:00

Oschersleben l Steven ist 21 Jahre alt und Berufsschüler. Außerdem ist er der genetische Zwilling eines Menschen, der auf einem anderen Kontinent lebt und schwer erkrankt ist. Obwohl Steven dieser Person nie begegnet ist, hat er versucht zu helfen. Was daraus geworden ist, weiß er nicht. Noch nicht.

Der 21-Jährige wohnt in Magdeburg und besucht in Oschersleben die Berufsbildenden Schulen. Dort hat er sich auch typisieren lassen. Denn das Thema Blutkrebs ist an der Einrichtung dauerhaft präsent. Die Schule hat eine Partnerschaft mit der Deutschen Stammzellspender Datei (DSD) abgeschlossen.

Weil die BBS zugleich Europaschule sind, gibt es jedes Jahr einen Europatag. Dabei besteht sowohl die Möglichkeit zu einer Blutspende als auch zu einer Typisierung. Denn damit eine Stammzellspende erfolgreich sein kann, müssen zahlreiche genetische Merkmale von Spender und Empfänger übereinstimmen. Ob das der Fall ist, lässt sich anhand einer Speichel- oder Blutprobe untersuchen.

Dass es an den BBS jedes Jahr eine solche Aktion gibt, hat seinen Grund: „Eine junge Kollegin hat das angestoßen, weil eine Lehrerin in Dessau erkrankt war“, berichtet Kerstin Meier von den BBS. Knapp 100 Menschen ließen sich damals typisieren. Später kamen noch weitere hinzu. Letztlich habe man der Betroffenen leider nicht dauerhaft helfen können. Doch das Typisierungsangebot blieb bestehen.

Steven Sperling hat 2019 mitgemacht. „Ich habe mich belesen und gesehen, dass das eine gute Sache ist und man auf diese Weise Menschen helfen kann“, erklärt er. Im eigenen Familien- oder Freundeskreis habe es bisher zum Glück keine Krebserkrankung gegeben.

Ein halbes Jahr später, im vergangenen Oktober, klingelte Stevens Handy. „Man hat mir gesagt, dass ich in den ersten Merkmalen mit jemandem zusammenpasse, und gefragt, ob ich zu einer Spende bereit sei“, so der 21-Jährige. Ohne Zögern habe er zugesagt. „Sonst hätte ich mich gar nicht erst typisieren lassen“, betont Steven.

„Für viele Menschen ist der Gedanke an eine Stammzellspende mit Angst verbunden. Sie fürchten einen schmerzhaften Eingriff oder sonstige gesundheitliche Unannehmlichkeiten“, erklärt Annette Wiedemann von der DSD.

Doch zunächst ging es im November zu einer Voruntersuchung nach Dessau. Dort befindet sich ein zertifiziertes Entnahmezentrum des Deutschen Roten Kreuzes. Bei der Untersuchung wurde Steven erneut Blut abgenommen. Außerdem wurde der 21-Jährige geröntgt und per Ultraschall durchleuchtet. Insgesamt habe die Prozedur rund fünf Stunden gedauert. „Sie haben mich einmal komplett auf links gedreht“, erklärt Steven Sperling lächelnd. Anschließend erhielt er einen Spendetermin für Anfang Dezember.

Grundsätzlich hätte er zu diesem Zeitpunkt noch einen Rückzieher machen können. Aber ein Schreiben, das Steven von der DSD erhielt, zeigt, welche Konsequenzen das haben kann. Wörtlich heißt es im Hinblick auf den Empfänger: „Bitte bedenken Sie, dass der Patient zehn Tage vor Ihrer Spende mit Chemo- und Strahlentherapie behandelt wird. Sollten Sie kurz vor der Spende absagen, würde es zum Tod des Patienten führen, da er kein eigenes Immunsystem mehr hat.“

Für die Spende wurde Steven Sperling übrigens kein Knochenmark entnommen. Wie die DSD erklärt, kommt es in rund 80 Prozent der Fälle zu einer sogenannten „peripheren Blutstammzellspende“. Ähnlich wie bei einer Dialyse fließt das Blut dabei durch eine Maschine. Diese filtert die benötigten Stammzellen heraus. Den Rest erhält der Spender zurück. Die Spende dauert etwa vier Stunden.

Um die Zahl der Stammzellen im Blut zu erhöhen, musste Steven etwa eine Woche vor dem Termin ein bestimmtes, körpereigenes Wachstumshormon nehmen. Wie der Berufsschüler erklärt, löste das Medikament bei ihm auch Kopf- und Gliederschmerzen aus. Annette Wiedemann informiert, dass sich diese Beschwerden ähnlich wie bei einer Erkältung anfühlen. „Aber wenn man sich überlegt, was man damit erreichen kann, fällt das nicht ins Gewicht“, bekräftigt Steven Sperling. Die Spende habe er ohne Probleme vertragen.

Durch Zufall schnappte er auf, dass sein genetischer Zwilling wohl in den USA lebt und männlich ist. Mehr weiß der 21-Jährige nicht. Ob es sich um ein Kind oder um einen Erwachsenen handelt, wie der Name lautet: All das bleibt vorerst geheim. Wie Steven sagt, bekommt er nach drei Monaten von der DSD Bescheid, wie es dem Empfänger geht, ob er lebt. Erst nach zwei Jahren dürfen sich beide persönlich kennenlernen, wenn sie es wollen. Vorher ist nur anonymer Briefkontakt möglich. Allerdings kann das variieren, je nachdem, in welchem Land der Empfänger lebt und welche Regeln dort gelten. Wie Kerstin Meier informiert, organisiert die DSD jedes Jahr sogar ein Treffen von Spendern und Empfängern, bei denen die zwei Jahre um sind.

Steven erklärt, dass er dem Empfänger vor Weihnachten über die DSD anonym eine Karte geschickt hat. Nun heißt es warten. „Es wäre schön, wenn die drei Monate schon vorüber wären“, so der 21-Jährige. „Es liegt mir sehr am Herzen, dass mein genetischer Zwilling überlebt.“

Wie Steven Sperling berichtet, ist er zwei Jahre lang als Spender vorgemerkt, falls der Empfänger noch einmal Stammzellen benötigt. „Wenn ich ihm dadurch auch nur ein einziges weiteres Jahr schenken könnte, würde ich wieder spenden“, betont der 21-Jährige. Gleichzeitig möchte er auch anderen ans Herz legen, sich typisieren zu lassen.

„Man weiß nie, ob es nicht auch einmal jemanden aus der eigenen Familie trifft“, merkt Kerstin Meier an. Gleichzeitig erklärt sie, dass im Januar noch ein zweiter Schüler der BBS Stammzellen gespendet habe.

Darüber hinaus bietet die Schule auch in diesem Jahr die Möglichkeit zur Typisierung an. Der Europatag findet 2020 am 4. Juni von 8 bis 13 Uhr statt. Die Typisierung ist für Teilnehmer kostenlos. Mitmachen kann jeder, der gesund ist sowie zwischen 18 und 55 Jahre alt. Laut Kerstin Meier können sich bei der Aktion an den BBS auch 17-Jährige per Speichelprobe typisieren lassen.

Allerdings gibt es keine Typisierung im Hinblick auf einen bestimmten Menschen, der an Blutkrebs erkrankt ist. Die Stammzellspender-Datei steht für Patienten im In- und Ausland zur Verfügung. Wie die DSD betont, wird der Datenschutz dabei allerdings groß geschrieben. Die Spender-Datei kann nur von entsprechenden Organisationen eingesehen werden und wird vor unbefugtem Zugriff geschützt.

Für die Finanzierung der Typisierungen ist die DSD auf Spenden angewiesen. Mehr dazu und zum Thema Blutkrebs gibt es unter www.deutsche-stammzellspenderdatei.de.