1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Osterburg
  6. >
  7. Jugendliche leben in Lückstedt

Flüchtlinge Jugendliche leben in Lückstedt

Vier minderjährige Flüchtlinge sind nach Lückstedt gekommen. Sie werden vom Sozialtherapeutischen Zentrum Gut Priemern betreut.

Von Ralf Franke 06.11.2015, 19:00

Lückstedt l In die Flüchtlingspolitik ist sehr viel Dynamik gekommen. Zahlen, die heute noch wahr sind, könnten morgen schon Schnee von gestern sein. Als Wische-Bürgermeister Karsten Reinhardt in der Ratssitzung am Montagabend aus dem aktuellen Bericht des Landkreises Stendal und den Angaben zu angemieteten und bereits bezogenen Unterkünften zitierte, und wissen ließ, dass es in der Verbandsgemeinde Seehausen noch keine Zuweisungen gebe, war das praktisch überholt, ohne dass er es hätte wissen können. Da waren vier Plätze im Haus Lück­stedt des Sozialtherapeutischen Zentrums Gut Priemern an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF), wie es im Amtsdeutsch heißt, vergeben.

Im Einzugsbereich des Gutes sind das nicht die ersten Gäste. In der Meßdorfer Außenstelle sind derzeit sechs und im Wals­lebener Wohnheim drei Plätze mit syrischen Jugendliche besetzt. In Lückstedt leben afghanische Flüchtlinge. Die Zuweisungen hat das Gut Priemern vom Landkreis Stendal bekommen, der den Minderjährigen große Aufmerksamkeit schenken muss, weil sie unter dem besonderen Schutz des Gesetzgebers stehen. Das heißt zum Beispiel, dass diese sich nicht selbst in Sammelunterkünften oder Wohnungen überlassen werden dürfen, erklärte Edgar Kraul. Der Kreissprecher ließ dazu durchblicken, dass die Behörde bei den UMF derzeit unter großem Druck stehe, schnell reagieren müsse und nicht immer viel Zeit für die öffentliche Information habe, wie sie beispielsweise die Bürgermeister von Osterburg und Seehausen ihren Einwohnern für den Ernstfall zusicherten.

Bis gestern Vormittag wurden im Landkreis Stendal übrigens 116 der betreffenden Jugendlichen gezählt. Bei momentan knapp 53 000 in Deutschland und den geltenden Verteilerschlüsseln sollte der Landkreis Stendal eigentlich nur 35 unterbringen. Allein in der Nacht zum vergangenen Sonntag mussten 14 Jugendliche ohne Vormund untergebracht werden.

Um dem Dilemma zu begegnen, ist der Kreis permanent mit Einrichtungen der anerkannten Jugendhilfe in Verbindung, um freie Plätze für die Betreuung der Flüchtlinge vorzuhalten. Kraul räumt ein, dass nicht alle Betroffenen gleich wie gewünscht untergebracht werden können und dass der Bedarf an Plätzen steigt. Zum Vergleich: Im August reichten kreisweit fünf Plätze, die auch den sicherheitstechnischen Vorschriften genügten. Nicht nur der Landkreis Stendal ist unter Zugzwang. Inzwischen hat offenbar ein regelrechtes Wettrennen um freie Plätze eingesetzt, bestätigt der zweite Beigeordnete des Landrates, Sebastian Stoll, mit Verweis auf Bemühungen anderer Bundesländer, in Sachsen-Anhalt und in der Altmark unbegleitete Jugendliche unterzubringen.

Nach der logistischen wartet die pädagogische Herausforderung in den Heimen. Die Mitarbeiter der Jugendhilfeträger müssen das verwaltungstechnische Prozedere begleiten und den Flüchtlingen ein Zuhause bieten. Dass die Sprache die größte Barriere ist, ist bekannt. Der Landkreis gesteht in dem Zusammenhang offen Defizite beim Dolmetschen ein, was auch für die psychische Betreuung unerlässlich wäre. 25 Natio­nen, 15 Sprachen, das sei nicht zu schaffen, hieß es.

Trotzdem bemüht man sich auch in den betroffenen Häusern des Therapeutischen Zentrums, den Jugendlichen etwas Deutsch für die Bewältigung des Alltags beizubringen. Manchmal können ein paar Englischkenntnisse gute Dienste tun. In der Regel helfen sich die Betreuer aber mit Pantomime, Piktogrammen und vor allem jeder Menge Geduld weiter. Allerdings bescheinigt Ramona Lenz, Verbundsleiterin der Jugendbetreuung im Gut Priemern, den jungen Leuten auch großen Willen, Deutsch zu lernen.

Über die Gründe, warum fast ausschließlich männliche Jugendliche nach Europa kommen, wollten weder Landkreis noch die Leitung von Gut Priemern spekulieren. Aber es erscheint logisch, dass betroffene und auswanderungswillige Familien in den Krisengebieten nicht die Alten und Kranken als erste auf die beschwerliche Reise schicken. Einige „ihrer“ Jugendlichen, so Ramona Lenz, seien teils seit 2013 unterwegs, um rund 4000 Kilometer hinter sich zu bringen.

Dass sie die Früchte ihrer integrativen Arbeit wohl nicht ernten werden, ist den Beteiligten auch klar. Einige Jugendliche machen sich von sich aus auf den Weg, um nach ihren Familien in Deutschland zu suchen. Andere werden nach dem sogenannten Clearing-Verfahren, bei dem möglichst Nationalität und Alter geprüft aber auch die Vormundschaft geregelt wird, nach acht bis zwölf Wochen umziehen. Auch die Volljährigkeit würde der Betreuung im Rahmen der Jugendhilfe ein Ende setzen.

So lange bemühen sich die Mitarbeiter der Einrichtungen, ihren Schutzbefohlenen auf Zeit die regional üblichen, soziale Kompetenzen nahe zu bringen, ihre Religion (meist der Islam) auszuüben und die Freizeit sinnvoll zu gestalten. Wichtig ist den Verantwortlichen darüber hinaus, den Jugendlichen nach ihrer Odyssee eine Verschnaufpause zu ermöglichen und etwas Geborgenheit zu bieten.