Ingrid Birkholz und Wolfgang Kaven überzeugten mit ihrer Lesung im Dorftheater Gladigau Tiefe Einblicke in die Ehe der Tolstois
Tiefe Einblicke in die Ehe und die unterschiedlichen Lebensauffassungen des Schriftstellers Lew Tolstoi und seiner Ehefrau Sonja erhielten die Zuhörerinnen und Zuhörer der szenischen Lesung "Ist es Liebe?" am Freitagabend in Gladigau.
Gladigau l Ingrid Birkholz und Wolfgang Kaven lasen aus Tagebüchern und Briefen des Paares. Ihr packender Dialog ließ nicht nur gegensätzliche Ansichten, immer wieder aufkeimende Konflikte und leidenschaftliche Versöhnungen zu Tage treten. Er vermittelte gleichzeitig auch das anschauliche Bild eines Stücks russischer Zeitgeschichte.
Nach den ausverkauften Aufführungen der erfolgreichen Theater-Spielzeit, die vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist, hatte das Dorftheater Gladigau mit dieser Lesung eine ganz anders geartete Veranstaltung in das Programm seines zehnjährigen Bestehens aufgenommen.
Etwa 70 Gäste, viele davon aus Gladigau, den umliegenden Dörfern sowie aus Osterburg, Seehausen und Stendal waren in den Saal der Gaststätte Roloff gekommen, um bei einem Glas Wein oder Bier interessiert den beiden Schauspielern zu lauschen.
Mit herzlichen Worten hieß Pressesprecher Norbert Lazay alle willkommen und machte noch einmal auf das zehnjährige Dorftheater-Jubiläum und die bereits stattgefundenen Veranstaltungen aufmerksam. Zum Abschluss zitierte er eine Passage aus Tolstois Roman "Anna Karenina" und weckte damit die freudige Erwartung auf die folgende Lesung.
Schon während der ersten Sätze zogen Wolfgang Kaven als Stimme von Lew Tolstoi und Ingrid Birkholz, die den Part der Sonja las, die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer magisch an. Voller Leidenschaft, im Tonfall mal überschwänglich oder lautstark, mal leise, ironisch oder tief verzweifelt brachten sie die widersprüchlichen Emotionen und gegensätzlichen Ansichten des Ehepaares überzeugend zum Ausdruck. Ihr Vortrag fesselte die Zuhörer während der gesamten Lesezeit und entführte sie in eine Beziehung voller Narzissmus, Missverständnisse, Gefühlswallungen und Liebes-Verluste. Immer wieder war Lew hin- und hergerissen zwischen seinem Anspruch als Schriftsteller und schöpferischer Geist mit Visionen zum Wohle des Volkes und der Liebe zu seiner Frau und den Kindern. Die verliebte Sonja dagegen war anfangs gern bereit, sich den Wünschen und Prinzipien ihres Mannes zu fügen. Sie schenkte ihm 13 Kinder, sorgte für deren Erziehung, organisierte den Alltag und leitete die Geschäfte in "Jasjana Poljana", dem Gutsanwesen und Wohnsitz der Tolstois. Nachts schrieb sie sogar noch die Manuskripte ihres Mannes ab. Sie war seine wohlwollende Leserin und Kritikerin, die sich außerdem um die Vermarktung seiner Werke kümmerte.
Aber im Laufe der Jahre wuchs Sonjas Sehnsucht nach einem anderen, einem selbstbestimmten Leben. Sie wünschte sich Geselligkeit und Abwechslung, wollte Konzerte und Feste besuchen, sich lebendig und als Frau bestätigt fühlen. Reputation und eine Zukunft für ihre Kinder waren ihr wichtig.
Ihr Mann dagegen verschenkte sein Geld, proklamierte unbeeindruckt seine Visionen zum Wohle der Allgemeinheit und begann Arbeiten zu verrichten, die sonst seine Angestellten und Bauern erledigten.
Wie stark sich diese gegensätzlichen Lebensauffassungen immer öfter in bitteren Worten Bahn brachen, davon zeugen die Tagebuchaufzeichnungen und Briefe. Nach und nach verschwanden die liebevollen Gefühle zwischen Mann und Frau. Wurde die Frage "Ist es Liebe", die der Lesung auch den Titel gegeben hat, anfangs unsicher und später leidenschaftlich von Tolstoi gestellt, so rückte sie im Verlauf der Beziehung immer mehr in den Hintergrund. Dafür wuchsen die Spannungen zwischen den Ehepartnern. Spannungen, die während des Dialogs fast greifbar waren. Dem konnte sich auch das Publikum nicht entziehen. Ingrid Birkholz und Wolfgang Kaven zogen alle Register ihres schauspielerischen Könnens - eine starke Lesung mit gut ausgewählten Texten.
Die Zuhörerinnen und Zuhörer in Gladigau honorierten das perfekte Zusammenspiel der beiden Künstler mit langanhaltendem Beifall. Herzliche Dankesworte, Blumen für Ingrid Birkholz und eine Jubiläums-Festschrift für ihren Lese-Partner Wolfgang Kaven gab es zum Abschluss des Abends von Dorftheater- Intendant Horst Bannehr.