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Aggressiv zum Amt Wenn Bürger pöbeln und beleidigen

Pöbeleien unter der Gürtellinie. Die Opfer: Verwaltungsmitarbeiter. Längst ist das Problem auch im Altmarkkreis angekommen.

Von Alexander Rekow 06.07.2019, 02:00

Gardelegen/Salzwedel/Kalbe/Arendsee l Eine richtige Beleidigung war es wohl nicht, einen fiesen Nachgeschmack hinterließ es trotzdem: Gardelegens Bürgermeisterin sitzt im Restaurant, ganz privat, als sie von der Seite angesprochen wird. Der Fragesteller will wissen, ob ihr das Essen „von den Steuergeldern“ gut schmeckt.

Online hat sie schon Ähnliches erlebt. „Dass ich keine Ahnung habe, mich durchschmarotze, nur an mein eigenes Fortkommen denke oder ein Sklave des Systems bin, solche Sachen werden mir da schon ab und an mal vorgeworfen“, sagt sie.

Wenn sie in ihrem Büro arbeitet, steht ihre Tür in der Regel jedem offen. Auch dabei hat sie schon erlebt, dass sich ihr Besuch deutlich im Ton vergreift. „Nein“, bis jetzt habe sie noch niemanden vor die Tür gesetzt, „aber schon mal darauf hingewiesen, dass eine weitere Diskussion nicht mehr zielführend ist und das Gespräch besser an einem anderen Tag weitergeführt werden sollte.“ Ihre Büroleiterin habe sogar schon Situationen erlebt, in denen sie Angst hatte, „da gelegentlich Bürger mit einer sehr aggressiven Grundstimmung erscheinen, die erstmal beruhigt werden müssen.“

Anja Schrader, Hauptamtsleiterin in der Verbandsgemeinde Beetzendorf-Diesdorf und ehemals in Arendsee, hat sogar schon mal drastischere Maßnahmen ergreifen müssen: „Um mich und meinen Kollegen zu schützen, musste ich in einem Fall die Polizei rufen“, erinnert sie sich an eine brenzlige Situation. Damals wurde sie von einem sogenannten Reichsbürger bedroht. „Da hatte ich Angst“, gibt Schrader unumwunden zu. „Die Leute sind aggressiver und reizbarer“ und das habe in den vergangenen Jahren zugenommen. Vieles würde als selbstverständlich angesehen. Ein Beispiel: die Öffnungszeiten. „Eine ganz normale Bürgerin ist mal einfach ausgetickt, weil das Einwohnermeldeamt wegen Erkrankung eines Mitarbeiters geschlossen war“, erinnert sich Anja Schrader.

Auch Landrat Michael Ziche hat unliebsame Erfahrungen gemacht. „Persönlich bin ich bisher aber nur in wenigen Fällen bedroht oder beleidigt worden“, sagt er. Meist sei es darum gegangen, ihn einzuschüchtern, „um ein bestimmtes Verwaltungshandeln zu erzwingen“, in der Regel schriftlich. Auch er hat aber schon erlebt, dass Gespräche in seinem Büro sehr emotional und nicht einvernehmlich geführt wurden. Strafanzeige hat er bisher aber nicht gestellt.

In den anderen Büros der Kreisverwaltung sieht Ziche zwar „in letzter Zeit“ keine nennenswerte Zunahme von Bedrohungen. Als „besondere Gruppe“ nennt er in dem Zusammenhang aber auch die sogenannten Reichsbürger, „die vermehrt zu Aggressivität neigen“.

Gewalt und Bedrohungen gab es überwiegend im Sozialamt und der Veterinärbehörde, aber auch im Ordnungs-, Bauordnungs- und Umweltamt. Bei konkreten Bedrohungen holen sich seine Mitarbeiter Hilfe bei Kollegen. „Es sind außerdem technische und personelle Maßnahmen zum Schutz ergriffen worden“, erklärt der Landrat.

In Kalbe werden bei „gewissen Spannungsfeldern“ weitere Kollegen schon vorbeugend in einen Termin eingebunden, erklärt der Bürgermeister der Milde-Stadt, Karsten Ruth: „Insbesondere in den publikumsintensiven Bereichen mit einer hohen Erwartungshaltung oder möglichen belastenden Konsequenzen für Bürger kommen häufiger Situationen vor, „die je nach charakterlicher Veranlagung, medizinischer Vorbelastung oder politischer Grundeinstellung der Beteiligten Konfliktpotential haben.“ Besonders seien Einwohnermeldeamt, Kasse und Ordnungsamt betroffen. Daher wurde als Vorbeugung über „bauliche Maßnahmen eine „grundsätzliche Distanz“ geschaffen.

Trotzdem: Es gab schon Fälle, in denen er eingreifen musste. „Meisten bleibt es bei verbalen Auseinandersetzungen“. Aber auch Platzverweise hat Ruth schon ausgesprochen. Beispielsweise bei „Übergriffen auf Einrichtungsgegenstände“, oder wenn sich Bürger lautstark ausfällig gegenüber Verwaltungsmitarbeitern äußerten oder renitent „mit falscher Auffassung“ auf etwas beharren. Auch in Kalbe kam man bislang aber ohne Polizei aus.

Da Salzwedels Bürgermeisterin Sabine Blümel nicht auf die Fragen zum Thema antworten wollte, fragte die Volksstimme bei Amtsvorgängerin Sabine Danicke nach. Auch wenn sie nicht direkt betroffen war: ihre Kollegen hingegen schon, erinnert die sich. „Im Bürgercenter mussten sich die Mitarbeiter schon einiges an Beleidigungen gefallen lassen.“ Sie selbst ist aus diesem Grund nicht in sozialen Netzwerken aktiv, wo Hass allgegenwärtig sei.

Am Salzwedeler Bürgercenter gibt es als Folge der Hakenkreuz-Schmiererei 2013, übrigens auch eine Kameraüberwachung.

Eine Kamera hätte Klötzes Bürgermeister Uwe Bartels allerdings wenig genützt, denn eines seiner negativsten Erlebnisse war ein anonymer Anruf mit verstellter Stimme, bei dem er massiv bedroht wurde. Und auch einer der Klötzer Ortsbürgermeister wurde zum Opfer: Ihm hatten Unbekannte seinen privaten Briefkasten zersprengt. „Der Respekt“ vor Behörden gehe immer mehr verloren, beobachtet Bartels. Er sieht hier auch die Medien und die Betreiber von Internetseiten in der Pflicht: „Da werden solche Fälle veröffentlicht, und die Leute denken dann, sie müssten das nachmachen.“

Fazit der Volksstimme-Umfrage: In jeder Gemeinde gab es schon zahlreiche Fälle von Beleidigungen, Bedrohung und Beschimpfungen. Dennoch sind das immer Ausnahmen. Die übergroße Mehrheit aller Bürger tritt den Mitarbeitern der Verwaltung höflich gegenüber.

Und sogar Bürgermeister erleben manchmal nette Sachen: „Gelegentlich werde ich auch mal angebaggert“, sagt Gardelegens Stadtchefin Mandy Zepig. Und das sogar schriftlich:„Hallo Frau Zepig, ich muss ihnen das erklären. Ich habe sie in einer Fernsehsendung gesehen, nun war ich so angetan von ihrer Person. Ich dachte (...) ruf sie einfach an oder schreibe ihr! Es ist nicht dienstlich einfach nur, um sie mal kennen zu lernen...“ „Und das“, so Zepig schmunzelnd, „gefällt mir natürlich deutlich besser.“