Hexenstammtisch in Trebel / Axel Seegers: "Jeder hat seinen persönlichen Aberglauben" "Die meisten von uns sind freifliegend"
Outing in der Dorfkneipe: Wendland-Hexen besprechen nicht nur an Halloween Warzen, heilen Krankheiten, geben Lebensberatung und achten auf ihr Dorf.
Trebel l Draußen es ist kalt, das Laub flammt in den letzten Strahlen der Sonne auf. In den "Bauernstuben" im wendländischen Trebel glüht der Ofen. Ganz in der Nähe der Atomanlagen von Gorleben findet hier der erste öffentliche "Hexenstammtisch" statt. Gespannt warten die Zuhörer auf die fünf Zauberinnen, die sich in der Dorfkneipe bekennen wollen.
Sie sind Umweltwissenschaftlerin, Verwaltungsangestellte, Handwerkerin, Technische Zeichnerin oder Künstlerin - und sie sind Hexen. Mit Karten lesen, Handauflegen oder Empathie versuchen sie, anderen zu helfen. Anja, Hegalty, Yvonne, Beate und Marianne - fünf Frauen aus dem Wendland, die sich selbst als Hexen bezeichnen, sind so unterschiedlich, dass kein bekanntes Klischee funktioniert. Und doch haben sie eines gemeinsam: Sie nutzen ihre "magischen Fähigkeiten", um anderen zu helfen.
Die zeitliche Nähe zu Halloween sei reiner Zufall, versichert die Jüngste der Magierinnen - der Vollmond bestimme den Termin. Yvonne spielt mit dem Klischee einer Hexe. Die großgewachsene Frau, ganz in Schwarz, bändigt ihre Mähne gerne mit einem spitzen Hut. "Wir sind nicht organisiert", betont die 33-jährige Diplom-Umweltwissenschaftlerin: "Die meisten von uns sind freifliegend".
"Ich bin sehr körperbetont und liebe Rituale"
Yvonne, Hexe
Die fünf Frauen sind denkbar unterschiedlich - ebenso wie ihre Wege zur Magie. Yvonne etwa ist Naturpriesterin und Kräuterhexe. "Ich bin sehr körperbetont und liebe Rituale." Zur Magie ist sie eher beiläufig gekommen, über das Studium der Natur, über Freunde, über Musik. Heute liest sie aus der Hand und gibt Lebensberatung - auch rituelle Hausreinigungen habe sie schon durchgeführt.
"Ich bin stolz, eine Hexe der weißen Magie zu sein", bekennt auch Marianne freimütig. Vor sieben Jahren hat die Frau mit den flammend roten Haaren gespürt, dass mehr in ihr schlummert. Ihr erster Lohn für eine Heilung: 20 Eier. Die bekam sie von einer Bäuerin, die unter einer hartnäckigen Gesichtsflechte litt. "Die Krankheit war nach der Behandlung verschwunden", berichtet Marianne - ihr Einstieg in die weiße Magie. Im vergangenen Jahr hat die 63-Jährige vor allem durch Handauflegen fünf Gürtelrosen wegbekommen. "Die Leute kommen von selbst. Ich habe schon drei Generationen einer Familie behandelt - gleichzeitig."
Die alterslose Hegalty ist eine "Wicca" - sie gehört einer anerkannten amerikanischen Mysterienreligion an, die in Deutschland nicht sehr verbreitet ist. In Kanada ist sie darauf gestoßen und war gleich fasziniert. Hegalty legt Karten, auch gegen Spenden. Sie glaubt an Reinkarnation und liebt die "grüne Kathedrale", die Natur.
Auch Anja wusste schon immer, dass sie eine Hexe ist. Tagsüber arbeitet sie in der Verwaltung. "Ich bin sehr bodenständig, aber ich habe eine Gabe bekommen." Die setzt sie ein, um Krankheiten positiv zu beeinflussen. Früher hat Anja in der Gastronomie gearbeitet und viel gehört - auch von alten Frauen, die bei Vollmond auf einen Hügel gehen und dem Pendel Fragen stellen.
Adressen von Heilern würden im Wendland seit je her unter der Hand weitergereicht. Kein Wunder, schließlich glaubt fast jeder vierte Bundesbürger laut einer Umfrage des Allensbacher Institutes für Demoskopie noch immer an Hexen. Waren in den 1980er Jahren rund 2500 "Hexen" beiderlei Geschlechts in Deutschland aktiv, liegt diese Zahl heute weitaus höher, weiß Axel Seegers.
"Wir sind für unser Leben selbst verantwortlich"
Axel Seegers, Beauftragter für Weltanschauungsfragen
Der Beauftragte für Weltanschauungsfragen winkt ab, als er vom Hexenstammtisch in Trebel hört. "Ja, das gibt es häufig, das nehmen wir zur Kenntnis", betont der Theologe. Gegen die Wiederentdeckung des teilweise Jahrhunderte alten Wissens um die Heilkräfte der Natur durch moderne "Hexen" hat Seegers nichts einzuwenden. Ein Problem sieht er dort, wo die Freiheit des Subjekts durch magisches Denken torpediert wird: "Wir sind für unser Leben selbst verantwortlich. Unsere Entscheidungen können wir nicht an andere delegieren." Seegers räumt ein: "Jeder hat seinen persönlichen Aberglauben. Jeder liest Horoskope beim Arzt."
Aber immer wieder gäbe es Menschen, die in Abhängigkeit von diesen Ritualen geraten. Wenn Pendel und Tarotkarten befragt werden, kann es zu Schwierigkeiten kommen, mahnt Seegers: "Da kann eine innere Dynamik entstehen, nur mehr Magie zu betreiben. Man gerät in eine Abhängigkeit und verlässt sich weniger auf sich selbst und seine eigenen Fähigkeiten."