1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Salzwedel
  6. >
  7. Altmark: Heimat der Star-Bäume

Esskastanie Altmark: Heimat der Star-Bäume

Sie galt schon länger als Geheimfavorit, jetzt ist sie zum Baum des Jahres gewählt worden: Die Esskastanie ist auch in Salzwedel zu Hause.

Von Günther Brennenstuhl 27.04.2018, 01:00

Salzwedel l Abweichend vom Grundsatz, dass zum Baum des Jahres nur heimische Gehölze gekürt werden, ist 2018 vom Kuratorium „Baum des Jahres“ der Esskastanie (Castanea sativa) dieser Titel verliehen worden.

Der Grund dafür ist einleuchtend, denn der Baum wird seit der Römerzeit bei uns kultiviert und ist inzwischen heimisch geworden. In den ehemaligen römischen Rheinprovinzen hat er sich voll etabliert und gilt hier als Archäöphyt, also als ein alteingesessenes Florenelement.

Die eigentliche Heimat der Esskastanie, auch Edelkastanie genannt, ist jedoch Kleinasien. Von dort gelangte sie im 5. Jahrhundert vor Christus nach Griechenland, später nach Italien und Spanien. Heute ist sie im ganzen Mittelmeerraum und bis zum Kaspischen Meer verbreitet. Aber nicht nur hier, sondern auch in der Schweiz (Kanton Tessin), in Österreich und in Frankreich tritt sie auf.

Im alltäglichen Sprachgebrauch werden oft Rosskastanien (Aesculus) und Esskastanien einfach als Kastanien bezeichnet. Beide Gattungen sind aber sehr unterschiedlich und nicht miteinander verwandt. Während die Rosskastanien den Ahorn-Arten nahe stehen und zur Familie der hauptsächlich in den Tropen verbreiteten Seifenbaumgewächse gehören, ist die Esskastanie mit den Buchen und Eichen in der Familie der Buchengewächse zu finden. Dabei weist besonders die Fruchtbildung von Buche und Esskastanie eine große Ähnlichkeit auf.

Beide Früchte sind außen mehr oder weniger bestachelt und beherbergen meist zwei Samen, wobei die Samen der Esskastanie, die Maronen, die Bucheckern um ein Vielfaches an Größe übertreffen. Wegen dieser Ähnlichkeit wurde früher die Esskastanie zur Gattung der Buchen gestellt. Es gibt jedoch grundsätzliche Unterschiede. Die unscheinbaren, eingeschlechtigen und einhäusigen Blüten der Eichen und Buchen bilden Kätzchen und der Wind übernimmt die Bestäubung.

Auch die Esskastanie ist eingeschlechtig und einhäusig, besitzt aber bis zu 20 Zentimeter lange männliche Blütenstände mit weit aus den Blüten herausragenden weißen Staubgefäßen. Während der Blütezeit sind sie sehr auffällig und bilden dann den Schmuckwert des Gehölzes. Da die männlichen Blüten duften und Nektar absondern, werden Insekten angelockt, die die Bestäubung der am Grund der Blütenstände sitzenden weiblichen Blüten übernehmen.

Obwohl sich auch bei uns zahlreiche Früchte entwickeln, bleiben die Maronen oftmals taub. Das ist darauf zurückzuführen, dass Esskastanien meist selbststeril sind, also noch einen weiteren Baum als Pollenspender benötigen. Da in unseren Parkanlagen selten mehrere Bäume stehen, ist eine Fremdbestäubung nahezu ausgeschlossen. Es gibt aber auch selbst befruchtende Sorten, die keinen Partner zur Bestäubung benötigen.

Esskastanien können stattliche 20 bis 30 Meter hohe Bäume mit einer ausladenden Krone werden. Sie verlangen einen kalkfreien, tiefgründigen, frischen und fruchtbaren Boden. Die Art ist bei uns winterhart, leidet aber stark unter Spätfrösten. Neben den Maronen ist das Holz von Bedeutung. Es ist hart und besonders gegenüber Nässe sehr beständig. In den Mittelmeerländern wird das hohe Ausschlagvermögen der Stubben genutzt, um zu Stangen für den Weinbau und zu anderen Verwendungszwecken zu gelangen.

Auch in den römischen Provinzen entlang des Rheins war die Anpflanzung der Esskastanie eng mit der Anlage von Rebkulturen verbunden.

Im Mittelmeerraum und darüber hinaus genießen die Maronen eine überaus hohe Wertschätzung. Schon in einem Kräuterbuch von 1678 wird ihre Bedeutung für die menschliche Ernährung sehr treffend beschrieben: „Auff den gebirgen / da es an getreyde mangelt / nehren sich die Einwohner von den Castanien / dann sie braten und essen sie. Auch machen sie meel und brot darauß / derohalben wo viel Castanien wachsen / darff man sich keiner hungersnot besorgen“.

Die Maronen werden auch heute noch geröstet, gedörrt, gekocht, gedämpft und zu Mehl verarbeitet oder auch als Kaffee-Ersatz genutzt. Auch auf Weihnachtsmärkten sind regelmäßig geröstete Maronen zu haben. Sie enthalten etwa 50 Prozent Stärke, 20 bis 30 Prozent Zucker, fünf Prozent Eiweißstoffe und drei Prozent Gerbstoffe.

Nicht für die menschliche Ernährung verwendete Maronen stellen ein wertvolles Mastfutter für Haustiere dar. Natürlich sind sie auch beim Wild als energiereiche Nahrungsquelle beliebt. Die Samen werden auch von kleinen Säugetieren und Vögeln verschleppt und versteckt. Aus den nicht wiedergefundenen Wintervorräten gehen dann junge Bäume hervor.

Seit einigen Jahren wird im Rheingebiet eine starke Zunahme der spontanen Verjüngung in den dortigen Wäldern beobachtet. Die Erscheinung wird im Zusammenhang mit der sich vollziehenden Erderwärmung gesehen.

Um Esskastanien sehen zu wollen, muss man aber nicht gleich in den Süden fahren. Denn auch im Kreisgebiet können einige Bäume bewundert werden. Im Stadtgebiet von Salzwedel steht ein bereits stattliches Exemplar im Burggarten. Es blüht und fruchtet seit mehreren Jahren, entwickelt aber keine voll ausgebildeten Maronen. Weitere, aber jüngere Pflanzungen sind vor der Lessing-Grundschule an der Ernst-Thälmann-Straße und in der Grünanlage hinter der alten Münze zu sehen.

Auch im ländlichen Bereich können Esskastanien entdeckt werden. Ein zweistämmiges Exemplar mit jeweils gut 50 Zentimeter Stammdurchmesser ist im Wald bei Tylsen zu sehen. Die wohl schönste Esskastanie des Kreisgebiets ist ein Solitär in Liesten, in der Nähe des Ortsausgangs nach Depekolk. Im Freistand konnte sie sich optimal entwickeln und eine kompakte Krone ausbilden. Der Stammdurchmesser beträgt bereits 130 Zentimeter. Mit Sicherheit gibt es in Privatgärten noch weitere Bäume des Jahres.

Neuerdings sind auch in unseren Wäldern Anpflanzungen vorgenommen worden. Selbst die Verwendung als Wegbegrenzung, zum Beispiel bei Vienau, kann beobachtet werden. Dagegen wurden Verwilderungen, wahrscheinlich aus Siedlungsabfällen stammend, erst an zwei Stellen nachgewiesen. Aber mehr kann ja noch kommen.