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Flüchtlingspolitik Hetze ohne Substanz und Gesicht

Eine Initiative übt massive Kritik an der Flüchtlingsarbeit der Kreisverwaltung in Salzwedel. Mitarbeiter und Flüchtlingshelfer wehren sich.

Von Christoph Zempel 20.02.2018, 14:00

Salzwedel l Ob, auf dem Parkplatz vor Kaufland oder bei Ausstellungseröffnungen in der Kreisverwaltung – eine Initiative namens „Nichts ist unmöglich“ verteilt derzeit Flugblätter, in denen sie die Flüchtlingsarbeit der Kreisverwaltung harsch kritisiert. In der Ausländerbehörde des Altmarkkreises herrsche für hier lebende Geflüchtete eine repressive Atmosphäre. Es entstehe der Eindruck, die Mitarbeiter „handelten auch aus persönlichem Ehrgeiz, um den Geflüchteten das Leben möglichst schwer zu machen“. Es ist ein Potpourri aus den verschiedensten Vorwürfen, das die Initiative auf dem Flyer aufstellt.

Während die mutmaßlich linksradikale Aktionsgruppe selbst anonym auftritt, fordert sie die Kreisverwaltung auf, Schluss zu machen mit zahlreichen Praktiken im Umgang mit Flüchtlingen. Vor allem ginge es um jene, die ausreisepflichtig sind und wegen kurzer Duldungszeiträume in ständiger Unsicherheit lebten.

Ihre Sozialhilfe, so heißt es, wird in kleinen Portionen für maximal 14 Tage ausgezahlt. Wenn möglich, werde nur noch der gekürzte Satz von 165,84 Euro gewährt. Seit Mitte Januar werde sogar gar kein Bargeld mehr ausgezahlt, sondern nur noch Einkaufsgutscheine verteilt. Andrea Schmieder, Geschäftsführerin des Awo-Sozialdienstes der Altmark kann das nicht bestätigen. „Das stimmt so nicht. Nur wenige Personen bekommen anteilmäßig Gutscheine, ansonsten ganz normal Bargeld.“

Dezernent der Kreisverwaltung Hans Thiele relativiert ebenfalls. Es sei zwar richtig – wenn auch als einziger Fakt auf dem Flugblatt – dass einige geduldete Personen nur Sachleistungen in Form von Einkaufsgutscheinen und dazu geringe Geldbeträge erhalten, aber das liege vornehmlich an der fehlenden Mitwirkung der momentan 107 Betroffenen.

Derzeit befänden sich 470 Asylbewerber in einem laufenden Verfahren. Darunter 289 Personen, die ausreisepflichtig sind, weil ihre Herkunftsländer als sicher gelten. Allein 135 Personen davon kommen aus Indien. Die Gutscheine seien aber erst das letzte Mittel, betont Thiele. „Die Personen werden geduldet, weil sie keine Papiere haben. Wenn sie nicht mithelfen, Ersatzpapiere von ihrer Botschaft zu beschaffen, müssen wir die Leistungen kürzen.“ Dennoch blieben ihnen, anders als von der Initiative behauptet, Geldleistungen, um Bahntickets oder Anwälte zu bezahlen. Noch dazu werde das vom Gesetzgeber nun mal so vorgegeben. „Nur Alkohol und Tabak sind von den Leistungen ausgenommen, weil sie nicht zur Grundversorgung zählen“, sagt Thiele. Genau das aber bemängelt die Initiative ebenfalls. Insofern distanziert sich Hans Thiele vom gesamten Flugblatt.

Weiter, kritisiert die Aktionsgruppe, werde jede Möglichkeit offensiv genutzt, Geflüchtete zum Beispiel nach Italien zurückzuführen. „Wenn Menschen nach Italien rückgeführt werden und dort mitunter auf der Straße leben müssen, ist das natürlich nicht schön“, sagt Evelyn Ruppert-Schulze, Koordinatorin der diakonischen Flüchtlingshilfe Salzwedel. Aber wer diese Praxis kritisieren wolle, müsse sich dafür an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wenden. „Der Altmarkkreis ist definitiv die falsche Stelle für diese Kritik“, betont sie. Im Zweifel gebe es auch noch die Härtefall-Kommission, ergänzt Christina Dietmann, Mitstreiterin von Ruppert-Schulze. Überhaupt betreffe das lediglich sieben Personen, erklärt Hans Thiele. „Wir müssen das EU-Recht umsetzen, wonach Menschen in das EU-Land zurück müssen, das sie zuerst betreten haben.“ Ob das sinnvoll sei, darüber könne man natürlich diskutieren.

Doch für eine Diskussion braucht es mehrere Parteien. Und die Initiative hüllt sich in den Mantel der Anonymität; meldete sich trotz Kontaktaufnahme der Volksstimme nicht zu einer Stellungnahme. „Sie verstecken sich und diffamieren nur. Da kann man hinterfragen, ob das demokratisch ist“, sagt Dirk Kuke, der Unterricht für Flüchtlinge in Gardelegen gibt. Christina Dietmann sieht das genauso. „Diese Anonymisierung ist nicht okay. Die Leute stehen nicht zu ihrer Meinung. Noch dazu ist sie undifferenziert und einseitig.“ Vor allem störe sie, dass die Mitarbeiter der Kreisverwaltung persönlich angegriffen würden.

Holger Lahne, der sich ebenso wie seine Frau Christiane in Salzwedel ehrenamtlich für Flüchtlinge engagiert, fragt gar: „Haben diese Leute überhaupt je selbst Flüchtlingen geholfen?“ Die Vorwürfe seien frech und anmaßend. Radikalität, egal von welcher Seite, bringe nichts. „Natürlich gibt es hier und da Probleme in der Praxis, aber diese heftigen Erfahrungen machen wir nicht“, sagt er. „Es ist wichtig, für Verständnis für die Behörden zu werben“, sagt er. „Wir müssen uns zugestehen, alle nur Menschen zu sein, die nicht die perfekte Lösung finden.“

Auch, dass Abschiebungen nachts vorgenommen würden, prangert die Initiative an. „Arbeiten die Betroffenen freiwillig mit, können sie den Zeitpunkt bestimmen, bekommen Taschengeld und können Anträge für eine Starthilfe im Heimatland stellen“, wehrt sich Hans Thiele. Trotzdem habe die Kreis-Ausländerbehörde zusätzlich ein Netzwerk aufgebaut, um den Ausreisepflichtigen die Integration zu erleichtern. „Wir legen Wert darauf, dass es so menschlich wie möglich abläuft. Natürlich ist das für uns auch eine Belastung. Wir sind ja nicht eiskalt“, sagt er. Vor allem seine Mitarbeiter treffe die Kritik daher hart. Gerade, wenn man für schwierige Dinge Verantwortung trägt.

„Ich kann nicht gutheißen, eine Familie nachts aus dem Bett zu holen. Aber ich bin auch froh, diese Entscheidung nicht treffen zu müssen“, bringt Christina Dietmann es auf den Punkt.