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Gerichtsverhandlung War der Tod zu vermeiden?

Eine 83-Jährige ist nach einem Sturz in einem Pflegeheim verstorben. Eine Pflegekraft musste sich vorm Amtsgericht Salzwedel verantworten.

Von Alexander Rekow 07.04.2019, 04:00

Salzwedel l Hat eine Pflegefachkraft eine 83-Jährige am 24. Mai 2017 in einem Altenheim im Altmarkkreis Salzwedel unzureichend betreut? Hätte die Seniorin noch leben können? Diese und weitere Fragen wollten die Staatsanwaltschaft Stendal und Richter Klaus Hüttermann am Salzwedeler Amtsgericht klären.

Der Hintergrund: Im vergangenen Jahr hatte die 46-jährige Angeklagte für ihr Fehlverhalten einen Strafbefehl erhalten. Demnach sollte sie für unterlassene Hilfeleistung 1600 Euro Strafe zahlen. Dagegen legte sie mit ihrem Verteidiger Einspruch ein. Deshalb fand sie sich nun auf der Anklagebank wieder.

„An dem Tag hatte ich Spätdienst“, erzählt die Angeklagte. 23 Bewohner auf mehreren Etagen hatte die 46-Jährige mit einer Hilfskraft zu betreuen. „Gegen 17.30 Uhr bin ich ins Wohnheim auf die dritte Etage gegangen, um die Medikationen zu verteilen.“ Die 83-Jährige habe zu dem Zeitpunkt am Abendbrottisch gesessen. „Sie war unauffällig.“ Also machte sich die Angeklagte an die Dokumentation, vervollständigte Akten. „Als das alles erledigt war, kam der Notruf im Haus.“ „Ich bin sofort nach oben gelaufen“, versichert sie. In einem anderen Bereich, nicht in ihrem Zimmer, fanden sie die 83-Jährige. „Sie lag auf der Seite und war bei Bewusstsein“, erinnerte sich die Pflegefachkraft. Eine Kollegin eilte hinzu. „Wir fragten, ob ihr etwas weh tut.“ Dies habe die Seniorin mit einem Kopfschütteln verneint. Dann wurde die betagte Frau, die auch an Demenz litt, aufgerichtet. „Sie stand sicher“, so die Angeklagte. Dann sei sie in einen Rollstuhl gesetzt und in ihr Zimmer gebracht worden. Dort angekommen, soll die Heimbewohnerin abermals von der Angeklagten untersucht worden sein. „Sie kratzte sich an Kopf und Nase“, erinnert sich die Angeklagte.

Von ihrem Sturz habe sie eine Beule am Kopf behalten. Diese sei von ihr mehrfach gekühlt worden. Dann sei sie wieder nach unten gegangen, habe eine Nachtleuchte an- und die Tür einen Spalt offengelassen. Der Hilfskraft habe sie aufgetragen, dass diese sich stündlich nach dem Befinden der Seniorin erkundigen solle.

Gegen 20 Uhr sei sie dann wieder runtergegangen. Sie habe die Vitalfunktionen überprüft, welche abermals in Ordnung gewesen seien. Gegen 20.30 Uhr erfolgte schließlich die Übergabe an die Nachtschicht. Abermals sollen die Vitalwerte im Normbereich gelegen haben. Doch noch in dieser Nacht starb die Frau an inneren Blutungen.

„Wie gut kannten Sie die Seniorin?“, wollte der Richter wissen. Denn ihm sei zu Ohren gekommen, dass die 83-Jährige nur mit einer Bezugsperson im Pflegeheim oder Verwandten Worte wechselte. Sie sei seit 27 Jahren Pflegefachkraft und kannte die Frau im Rahmen ihrer Tätigkeiten. Mehr als Ja und Nein hätte sie nie geantwortet. Aber mit Gestik habe man sich auch verständigen können, versicherte die Angeklagte.

„Es geht jetzt um den Sturz. Sie stellten eine Beule fest“, holt der Richter aus. Eine Anwesende soll die Angeklagte gebeten haben, einen Rettungswagen zu verständigen, weil die gestürzte Dame Blutverdünner einnehmen müsse. „Sie sagten aber: ,Für kleine Verletzungen geht sie nicht ins Krankenhaus‘“, hielt ihr der Richter vor. Die 46-Jährige aber blieb dabei: „Wir haben die Beule gekühlt und die hat sich verringert.“ Und dies sei kein Verstoß gegen eine Anweisung, betonte ihr Anwalt. Seine Mandantin habe keine Chance in dem Verfahren, kritisierte er. Dabei habe sie „alles Notwendige getan“.

Dass der Fall „extrem“ ist, bestätigte der Richter. Er erinnerte aber auch daran, dass wegen unterlassener Hilfeleistung und nicht wegen fahrlässiger Tötung verhandelt werde. Hüttermann: „Aber ich denke, dass die Gefahr einer Verurteilung relativ hoch ist.“

Dies nahm der Anwalt zum Anlass, sich mit seiner Mandantin zu beraten. Sie tue sich mit einer Entscheidung schwer, erläuterte er dann. Allerdings würden ihr bei einer Verurteilung auch arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen. Deshalb zog die Angeklagte ihren Einspruch zurück.

Sie zahlt nun die 1600 Euro aus dem Strafbefehl, zusätzlich kommen 2947 Euro für ein Sachverständigengutachten hinzu. Die Expertin der Charité wurde aber nicht mehr gehört.