Thomas Ulbricht aus Salzwedel tritt für Deutschland bei den Paralympics in London an "Ich hoffe erst einmal auf einen Finalplatz"
Insgesamt 150 Frauen und Männer aus Deutschland nehmen an den Paralympics in London, die heute beginnen, teil. Zu ihnen gehört auch Thomas Ulbricht aus Salzwedel, der im 100- und 200-Meter-Lauf antritt.
Salzwedel l Entspannt lockert Thomas Ulbricht seine Muskeln. Dann stellt er sich an den Start, wartet einen Moment und prescht los. 100 Meter, 11,38 Sekunden. Er geht wieder zurück an den Start. Noch einmal die 100 Meter laufen. Thomas Ulbricht ist alleine im Werner-Seelenbinder-Stadion in Salzwedel. Nur selten begegnet er bei seinem Training in Salzwedel anderen Sportlern im Stadion.
Normalerweise trainiert der 27-Jährige nicht in Salzwedel, sondern in Berlin, wo er wohnt und arbeitet. Doch wenn er zu Besuch bei seinen Eltern ist, dann kommt er mindestens einmal am Tag in das Werner-Seelenbinder_Stadion, um seine Übungseinheiten zu absolvieren. "Egal ob es regnet oder schneit, Thomas geht ins Stadion, um zu trainieren", erzählt sein Vater Siegfried Ulbricht.
Thomas Ulbricht wird bei den Paralympics in London, die heute starten, für Deutschland um 100- und 200-Meter-Lauf antreten. Dafür trainiert der Salzwedeler jeden Tag.
"Eine Medaille in London zu gewinnen könnte schwierig werden"
Wer den 27-Jährigen im Stadion beim Training beobachtet, vermutet nicht, dass er eine Behinderung hat. "Ich habe eine Makula-Degeneration, im Besonderen eine Zapfen-Stäbchen-Dystrophie", erzählt Thomas Ulbricht. Er kann nur eingeschränkt sehen. Der Sehrest liege derzeit zwischen drei und fünf Prozent, je nach Lichtverhältnissen erkennt er mehr oder weniger. Als behindert möchte Thomas Ulbrich jedoch nicht bezeichnet werden, wie seine Mutter Kerstin Ulbricht verdeutlicht. "Er sagt von sich selbst lieber, er sei ein Mensch mit Handicap", sagt sie. Die Krankheit hat er schon von Geburt an. "Deswegen weiß ich gar nicht, wie man normal sieht. Ich könnte nie beschreiben, inwieweit ich anders sehe", erläutert der Salzwedeler.
Im Alter von neun Jahren wurde bei ihm die Sehbehinderung festgestellt. "Bis dahin konnte ich mich in der Schule durchmogeln. Ich habe zuhause immer die Texte, die wir lesen sollten, auswendig gelernt, das ging dann irgendwann nicht mehr", erinnert er sich. Nachdem ein Arzt dann seine Sehbehinderung festgestellt hatte, wechselte er an eine Sehbehindertenschule in Tangerhütte. Seine Leidenschaft für Sport entdeckte der Leichtathlet aber nicht erst in Tangerhütte. "In der ersten und zweiten Klasse habe ich viel Handball gespielt", erzählt er. In Tangerhütte probierte er dann verschiedene Sportarten wie Fußball, Tischtennis, Schwimmen und natürlich Leichtathletik aus. "Bei der Leichtathletik bin ich dann hängen geblieben", sagt Thomas Ulbricht schmunzelnd. Bereits als Jugendlicher gewann er in diesem Bereich verschiedene Jugendsportwettbewerbe. 2003 wurde der Salzwedeler zum Beispiel Junioren-Europameister im Weitsprung. Ein Jahr später war er das erste Mal bei den Paralympics mit dabei und belegte im Fünfkampf den fünften Platz. Bei den Paralympics in Peking gab es für den Sportler dann Silber im Fünfkampf. Doch das sind nur einige der sportlichen Auszeichnungen, die der 27-Jährige bereits bekommen hat.
Bei den Paralympics in London möchte er auf jeden Fall wieder eine Medaille gewinnen. "Es könnte aber schwierig werden", gibt Thomas Ulbricht zu. Denn in London wird er nicht im Fünfkampf antreten, sondern im 100- und 200-Meter-Sprint, da der Fünfkampf als Disziplin der Paralympics weggefallen ist. Deswegen hatte der Salzwedeler, seinen gesamten Trainingsplan umstellen müssen. "Beim Fünfkampf ist das Training wesentlich vielseitiger. Der Sprint ist viel anstrengender für den Körper und die Muskulatur, weil es immer das Gleiche ist", erklärt Ulbricht.
Außerdem hatte der 27-Jährige nur wenig Zeit sich auf London vorzubereiten. Denn von der Nominierung für die Paralympics erfuhr er erst am 21. Juli. "Deswegen hatte ich nur eine kurze Aufbauphase und nicht so viel Zeit zu trainieren, wie ich eigentlich bräuchte", erklärt er.
Für Thomas Ulbricht steht aber nicht nur jeden Tag Training an. Normalerweise arbeitet er in der Woche jeden Tag in Berlin in der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS). Dort bearbeitet er als Büromitarbeiter den Rechnungseingang. Das viele Training, das besonders in Vorbereitung auf die Paralympics erforderlich ist, ist ihm dabei nur möglich, weil er dafür als paralympischer Sportler zu 50 Prozent freigestellt ist. "Für London habe ich sogar Sonderurlaub. Es ist super, dass ich von dieser Seite so unterstützt werde", erzählt Thomas Ulbricht.
"Die Aufregung kommt erst eine Minute vor dem Start"
Seine Chancen schätzt der Salzwedeler recht gut ein. "Im 100-Meter-Sprint ist ein Finalplatz mein Ziel, denn dann greift man schon fast zur Medaille. Bei den 200-Metern hoffe ich natürlich auch auf einen Finalplatz und eine Medaille. Aber ich weiß nie, was so die Konkurrenz macht", betont Ulbricht.
Seine Bestzeit liegt derzeit beim 100-Meter-Lauf bei 11,25 Sekunden, beim 200-Meter-Lauf bei 22,58 Sekunden. Aufgeregt ist der Salzwedeler nicht. "Die Aufregung kommt erst eine Minute vor dem Start, wenn ich mir sage: Wenn du den Start versaust, dann ist das Rennen gelaufen", verrät der Leichtathlet.
Begleitet wird der Salzwedeler zu den Paralympics in London von seinen Eltern und deren Freunden. "Wir fahren zu jedem Wettkampf mit, egal ob regional, bundesweit oder international. Denn wir stehen voll hinter Thomas", erzählt Kerstin Ulbricht. Vor einem Wettkampf sind die Eltern des Leichtathleten oft aufgeregter als ihr Sohn. "Wir hoffen, dass er einen guten Tag hat und natürlich gewinnt", sagt Siegfried Ulbricht.
Ein ganz besonderer Moment sei es dann immer, wenn sie sehen, dass er gewonnen hat. "Man platzt dann fast vor Stolz", beschreibt Kerstin Ulbricht das Gefühl in solchen Momenten. Auch bei den Paralympics in London fiebern Thomas Ulbrichts Eltern wieder mit. "Wir hoffen, dass er es auf jeden Fall ins Halbfinale schafft. Ins Finale wäre natürlich noch schöner", verrät Kerstin Ulbricht.