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Museum Zwischen Rittern und Opfergaben

Seit 28 Jahren arbeitet Uwe Baron als Hausmeister in einem Museum in Salzwedel. Das historische Gebäude hält unzählige Geschichten bereit.

Von Alexander Rekow 09.09.2018, 03:51

Salzwedel l Es knatscht, quietscht und knirscht. Uwe Baron kommt eine uralte dunkle Wendeltreppe aus Holz hinunter. 96 Stufen vom Dachgeschoss bis in den Keller. Er hält einen Schreibblock in der linken, einen Zollstock in der rechten Hand. Sein Weg führt ihn vorbei an Kulturschätzen – an Altären und Gemälden, an Orden und Büsten. Alles Zeugnisse der Geschichte. Mal wenige Jahre alt, mal mehrere hunderte. Uwe Baron kennt sie alle. Er hat sie im Gebäude positioniert. Der 58-Jährige ist Hausmeister in einer ehemaligen Propstei, dem einstigen Herrensitz von Albrecht von der Schulenburg und dem heutigen Johann-Friedrich-Danneil-Museum in Salzwedel.

Täglich bezwingt Uwe Baron die knapp 100 Stufen mehrmals. „Je nachdem, wie oft ich laufe, kommen so zwei bis sieben Kilometer zusammen“, schätzt er. „Ich bin dadurch fit wie ein Jugendlicher.“

Der Keller, sein Büro, wirkt wie eine Mischung aus Werkstatt, Atelier und Kerker. Hier ein alter Schreibtisch mit reichlich Krimskrams, dort allerhand Werkzeug und wenige Meter weiter ein Gewölbe aus dem 15. Jahrhundert mit Kanonenkugeln. Es ist sein Reich. „Das ist wohl einer der schönsten Arbeitsplätze“, sagt er und präpariert einige Strahler für eine Ausstellung.

Gelernt hat Uwe Baron Schlosser. Der Vater von zwei Kindern ist in seinem Elternhaus in Salzwedels Stadtkern geboren, wenige Meter von einem historischen Stadttor aus dem 16. Jahrhundert entfernt. Seit 1990 ist der Salzwedeler aber nicht nur Schlosser. „Ich bin quasi auch Elektriker, Glaser, Maler, Künstler und Tischler“, erzählt er. All diese Fertigkeiten braucht er als Hausmeister und hat sie sich im Laufe der Jahre angeeignet – für die unterschiedlichsten Zwecke.

Uwe Baron zeigt stolz auf eine historische Landkarte im Museum. „Hier, solche Karten hole ich beispielsweise von anderen Museen, rahme sie und setze sie ins richtige Licht.“ 1994 gab es mit Karten wie dieser eine ganze Ausstellung im Museum. „Da ist Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt er. Geholt hatte er die Ausstellung mit historischen Landkarten aus der Staatsbibliothek Berlin. „Die waren alle aus dem 17. bis 18 Jahrhundert.“ Besonders eine Karte von 1635 blieb im Gedächtnis – etwa drei mal vier Meter groß. „Da darf man dann kein Hausmeister sein, sondern ist filigraner Arbeiter – es gibt keinen zweiten Versuch.“ Daher fassen er und Helfer die historischen Dokumente nur mit Samthandschuhen an. Als er die Ausstellung von Salzwedel wieder nach Berlin brachte, passierte das Undenkbare. „Einer unserer ABM-Kräfte (Anm. Red.: Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) ist mit der Karte in einer Drehtür stecken geblieben – wir waren alle schweißgebadet.“ Glück im Unglück: Die mehr als 300 Jahre alte Karte überstand die Tortur.

Uwe Baron geht durch „sein Museum“ wie ein Schlossherr. Jeder Ecke ist ihm bekannt, zu jedem Ausstellungsstück hat er eine Geschichte zu erzählen. „Das alles ist durch meine Hände gegangen“, sagt er und zeigt immer wieder auf die historischen Gegenstände. „Hier, den Kopf habe ich auch geschleppt – ein schwerer Brocken.“ Gemeint ist die Büste von Karl Marx. Wenige Meter weiter zwei Plakate. Der 58-Jährige bleibt davor stehen. Ein kurzer Moment der Ruhe. „Das wirst Du nicht glauben“, sagt er, „auf dem einen ist mein Onkel und auf dem anderen meine Tante.“ Er zeigt auf einen Mann, der Trompete spielt. „Das war beim Ostertanz zu DDR-Zeiten.“ Das Plakat stammt von der Freien Deutschen Jugend, kurz FDJ. Seine Tante wiederum ist auf einem Plakat der VEB Bekleidungswerkstätten, damals Teil der Jugendbrigade, zu sehen. „Das habe ich durch Zufall entdeckt.“

Uwe Baron geht weiter durch das Museum, schaut, ob Lampen funktionieren, kein Schaden aufgetreten ist. Vor einer Ritterrüstung bleibt er stehen und lacht herzlich. „Ich weiß gar nicht, ob ich das erzählen sollte“, sagt er und blickt sich um. „Ach, was soll‘s.“ Denn die Ritterrüstung aus dem 15. Jahrhundert hatte er tatsächlich an und ist damit durch das Museum gelaufen. Wohl dem, den er nicht traf. „Das war ein Spaß“, sagt er und grinst: „Der Chef war an dem Tag nicht da.“ Was er damals nicht ahnte, ins Schwitzen kam er trotzdem. „Ich habe die nicht mehr abbekommen. Da hatte ich wirklich Schnappatmung.“ Sollte ihn nun sein Chef nachträglich darauf ansprechen, ist der 58-Jährige vorbereitet: „Ich stehe dazu, und der Rüstung ist nichts passiert.“

So etwas macht er sonst aber nicht, versichert Uwe Baron, schließlich gibt es als Hausmeister mehr als genug in einem alten Museum zu tun. „Ich baue Schubladen, bringe Gemälde an die Wand, richte Vitrinen her, arbeite am Gebäude oder schleppe etwas durchs Haus.“ Zum Schleppen gibt es reichlich. Uwe Baron zeigt auf einen Wandschrank aus Eiche aus dem 15. Jahrhundert. „Der dürfte mehr als 100 Kilogramm wiegen“, meint er. „Den tragen wir zu zweit!“ Mit Gurten geht es dann durch das knatschende Treppenhaus mit seinen 96 Stufen. Seine Helfer müsse er dann manchmal auch noch die Treppe hoch ziehen, witzelt er.

Bauen, verschrauben, tragen: das beschreibt die Arbeit des 58-Jährigen wohl am besten. Manchmal wird er dann sogar zum Kunstkritiker. Manches gefällt ihm, anderes weniger. „Man muss ja nicht alles mögen“, bringt er es auf den Punkt. Eine Ausstellung im Museum besticht durch ihre Schlichtheit, alles sehr einfach in Schwarz und Weiß gehalten. „Da habe ich gefragt, was das nun sein soll.“ Eine Antwort bekam er nicht. „Ja nun, jeder Künstler ist anders, da muss man ebenso viel Feingefühl wie bei den Relikten haben“, erklärt er. Eine Karte von Künstlern aus Houston (USA, Texas), an den Hausmeister adressiert, macht ihn stolz. Sie bedanken sich für seine Hilfe.

Uwe Baron geht in seine heiligen Hallen, das Archiv im Dachgeschoss. „Hier haben Besucher für gewöhnlich keinen Zutritt.“ In einem Raum lagern unzählige große Bücher mit Ausgaben der Volksstimme ab den 1940er Jahren. Einen Raum weiter stehen historische Bilderrahmen, die der 58-Jährige für „neue Gemälde“ nutzt, aber auch unzählige Tontöpfe, die einst als Opfergaben bei Bestattungen beigelegt wurden. Fein säuberlich nummeriert und beschriftet. An den Wänden hängen Wetterfahnen und Fresken. Selbst eine Toilette der Schulenburgs steht dort. Ein wahres Abenteuerland für jeden Geschichtsinteressenten - und Hausmeister.