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Prozess Salzwedeler gesteht Missbrauch von Sohn

Zitternd hat ein 53-Jähriger im Prozess vor dem Landgericht Stendal den Missbrauch seines jugendlichen Sohnes eingeräumt.

Von Alexander Rekow 11.06.2020, 01:01

Salzwedel/Stendal l „Wer sexuelle Handlungen an einem Jugendlichen vornimmt, dem drohen drei Monate bis fünf Jahre Haft“, erklärt der Vorsitzende Richter am Stendaler Landgericht, Ulf Galler, zu Beginn der Verhandlung in Richtung des angeklagten Salzwedelers. Mit geneigtem Kopf und zitternd hört dieser, was ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft: So soll sich der heute 53-Jährige in den Jahren 2006 und 2007 insgesamt 50 Mal an seinem damals jugendlichen Sohn vergangen, ihm in die Hose gegriffen und in eindeutiger Weise berührt haben. Und das mindestens einmal wöchentlich.

Die hohe Zahl stamme von der Hochrechnung des Sohns bei seiner Polizeiaussage. Ob er seinen Sohn nun tatsächlich 50 Mal missbraucht habe, glaube er zwar nicht, beginnt der Mann mit dem Geständnis, aber: „Es ist passiert!“ Es tue ihm wahnsinnig leid. „Wenn ich es nur ungeschehen machen könnte ...“

Der Richter wirft dem Angeklagten vor, den damals Jugendlichen im Intimbereich berührt zu haben und fordert Details vom 53-Jährigen, um diese nicht vom Sohn erfragen zu müssen. Die Atmung des sichtlich nervösen Angeklagten wird schneller, als er vom ersten Vergehen an seinem Sohn zu erzählen beginnt. „Ich bin in sein Schlafzimmer gegangen“, dort habe er unter die Decke seines schlafenden Jungen gegriffen und wurde sexuell erregt. Erst unter die Decke, dann in die Unterhose. Der Sohn sei davon wach geworden. „Er war geschockt und hat versucht, abzuwehren.“ Er soll das sein lassen, habe der Sohn gefordert. „Wie haben Sie reagiert?“, hakt Ulf Galler nach. Er habe ihn zu einer weiteren sexuellen Handlung aufgefordert. Der Sohn sei zwar geschockt gewesen, soll dem aber nachgekommen sein, sagt der angeklagte Vater.

„Ich glaube nicht, dass das ein 16-Jähriger freiwillig macht“, unterbricht Richter Galler. Und der Vater bestätigt: „Irgendwann habe ich ihn bedrängt.“ Ungefähr zehnmal sei es dazu gekommen, dass er nachts, wenn die Mutter bereits schlief, ins Kinderzimmer gegangen sei und seinen Sohn im Intimbereich berührte. Dabei nahm er keine Rücksicht darauf, dass im selben Raum auch sein zweiter, acht Jahre jüngerer Sohn schlief. Ob dieser etwas mitbekommen habe, wisse er nicht, räumt der 53-Jährige ein.

Wer aber auf alle Fälle etwas von den damaligen Taten weiß, ist die heutige Lebensgefährtin des heute 29-jährigen Opfers: „Ich weiß, dass er missbraucht wurde“, sagt die als Zeugin geladene 30-Jährige. Das habe er ihr erzählt, Details aber nie anvertraut. Und sie betont: „Egal, was hier herauskommt, er will damit abschließen.“

Das bestätigt auch der Sohn selbst. Als alles begann, sei er noch keine 16 Jahre alt gewesen. „Ich dachte erst, es war ein Versehen.“ Bis es häufiger wurde und der Vater ihn zur Masturbation gedrängt habe. Er habe immer versucht, den Missbrauch mit den Händen abzuwehren.

Er habe sich in der elterlichen Wohnung nur dann sicher gefühlt, wenn seine Mutter mit im Raum war. Doch wenn diese gegen 22 Uhr ins Bett gegangen sei, habe die Angst begonnen. „Ich war nie gern allein mit ihm.“

„Ich wurde erpresst und eingeschüchtert“, erzählt der junge Mann und kämpft gegen die Tränen. Sein Vater habe ihm sogar sein Engagement bei der Feuerwehr untersagt, wenn er nicht gehandelt habe, wie es der Vater wollte. Eine weitere „Bestrafung“ für die Zurückweisung des Vaters: „Ich schmeiß’ dich raus!“ So habe er beispielsweise in einer kühlen Novembernacht auf dem Dachboden schlafen müssen. War er dem Vater hingegen zu Willen, gab es Belohnungen wie ein Tabak-Stopfgerät oder kleine Geldbeträge, erzählt er.

Dafür seien die Zeitabstände der sexuellen Vergehen immer kürzer geworden. Sein stets lautes „Nein“ – in der Hoffnung, die Mutter würde es hören und in das Schlafzimmer kommen, – habe sie nie vernommen. Erst sein Umzug nach Niedersachsen habe sein Leiden beendet: „Das war wie ein Befreiungsschlag.“ Inzwischen führe er ein normales Leben mit seiner Lebensgefährtin und male Bilder: „Das ist wie eine Therapie“, sagt er.

„Sind Sie in der Lage die Entschuldigung Ihres Vaters anzunehmen?“, will der Richter wissen. „Ich nehme sie an, jeder hat eine zweite Chance verdient – aber vergeben kann ich es nicht.“

Nach dem gestrigen Prozessauftakt ist ein weiterer Verhandlungstag am Landgericht Stendal für den 16. Juni geplant. Dann folgen die Plädoyers von Anklage und Verteidigung.