Mit 91 Lebensjahren beherrscht Ortschronist und Hobbyfotograf Heinz Warnecke Laptop, Beamer & Co. Alter Lehrer zeigt den "Jungen" ein paar Lichtbilder
Der Pömmelter Ortschronist Heinz Warnecke hat über sein Dorf eine Foto- und Geschichten-Sammlung angelegt, die ihres Gleichen sucht. Zuweilen lässt er Jene teilhaben, die vor 40, 50 oder 60 Jahren darauf zu sehen sind. Warnecke ist 91.
Pömmelte l "Die Oma von Alwin, die alte Sonntag, war 1907 Kronzeugin beim Bäckermord", sagt Heinz Warnecke. Das Foto zeigt eine schwarz gewandete Frau im Kreise ihrer Familie. Die Damen der Volkssolidarität nicken. Sie kennen die Geschichte in- und auswendig, als Bäckermeister Wilhelm Sonntag von seiner Ehefrau und deren Liebhaber umgebracht wurde. Hätte der ehemalige Lehrer Warnecke nicht Zeitzeugen in den 60er Jahren befragt und diese Story aufgeschrieben, heute wäre sie vergessen.
Doch auch die weniger spektakulären Fotos lassen die Kaffeetassen kalt werden, die vor den Damen stehen. Denn wie es scheint, hat Warnecke seit 1950 Jeden im Dorf abgelichtet. Dabei kennt er auch die verwandtschaftlichen Verknüpfungen im Detail. Was beispielsweise so klingt: "Das ist Hildegard Blumental, die Schwester von Inge Kriene, die kurz nach ihrer Schulzeit geheiratet hat und danach leider bald verstarb." Auch Klärchen Thomalla, sie lebt im Westen, ist auf einem 60 Jahre altem Lichtbild zu sehen. Als sie den Ortschronisten vor zehn Jahren mal besuchte, staunte sie: "Ach, Herr Warnecke. Schön, dass Sie noch leben." Der Lebendige revanchierte sich für diesen charmanten Satz mit alten Fotos aus einer Zeit, als die Besucherin jung war.
Und genau an dieser Stelle packt der 91-Jährige sein Publikum. Denn wer erinnert sich nicht gern an heitere Familienfeiern oder Dorffeste seiner Jugend?
Wobei Warneckes Bilder auch Zeitgeschehen reflektieren. Als ein Hochzeitszug durch die Pömmelter "Vorstadt" zieht, wird er von Schaulustigen flankiert. "Da waren viele Flüchtlingskinder darunter, die mich am Unterrichtsschluss fragten, ob sie in den Papierkörben nach Stullenresten suchen dürfen ...", erinnert sich der ehemalige Lehrer. "Ach Jott, nee", haucht eine der Frauen. Stille Betroffenheit herrscht, als Warnecke den Satz beendet: " ... Stullen, die die alteingesessenen Kinder weg warfen."
Dass sein Langzeitgedächtnis funktioniert, beweist der 91-Jährige bei Klassenfotos von 1952: Locker nennt er die Namen vieler Schüler. Nur bei "Doris Ritz\' schöner Hochzeit" werden die Damen zum Chor der Volkssolidarität: "Ursel. Ursel Ritz!!" "Ach ja, die Tochter hieß ja Doris", verbessert sich Warnecke, "bei deren Geburt die Ursel verstorben ist."
Verhaltene Heiterkeit lösen dagegen Millieu-Fotos von "neugierigen, alten Pömmelterinnen" aus, die zum Zeitpunkt der Aufnahme aber immer noch 10, 15 Jahre jünger waren, als der Vortragende heute ist. Die alte Fuhrmann\', die alte Wintern\' und die Frau von dem Barbier Schulze ...
Fotos waren ein paar Stunden später fertig
Es gab in den 60er und 70er Jahren kaum eine Familienfeier, wo Heinz Warnecke nicht als Fotograf eingeladen war. Der kleine Lehrer war bekannt für seine prompte Arbeit. Er kam, schob die Feiernden zu einer Gruppe zusammen, machte erst das offizielle und dann ein paar ungezwungene Bilder im Saal oder der guten Stube.
In Zeiten des weltweiten Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus musste man normalerweise zwei bis drei Wochen beim Fotografen auf seine Schwarzweißbilder warten. Bei Heinz Warnecke bekam man sie am selben Abend. Was nun wirklich revolutionär war.
Derweil die Party lief, verzog sich der Geschichtslehrer in seine Dunkelkammer und entwickelte, fixierte, wässerte und trocknete. In den Jahrzehnten kam auf diese Weise ein stattlicher Bilderberg zusammen, der eine Chronik der Pömmelter Einwohnerschaft jener Jahre darstellt. Hinzu kommen die Einschulungsbilder. Wer zwischen 1950 und 1982 die Zuckertüte trug, ist bei Warnecke im Archiv. Parallel findet man die selben Kinder, wie sie am Ende der 6. Klasse aussahen, bevor sie zur POS nach Barby gingen. Aus vielen von ihnen ist etwas geworden, einige leben nicht mehr, andere sind weg gezogen.
Der 91-Jährige scannt seine alten Fotos, layoutet sie mit Textpassagen, lädt sie in den Laptop und zeigt sie ab und an auf Veranstaltungen. Natürlich mit dem Beamer. Das sind alles Begriffe, die die meisten seiner 20 Jahre jüngeren Zuschauer überhaupt nicht kennen ...