Besonderer Einsatz im Faulturm der Wasser- und Abwasser GmbH in Schönebeck / Experten berichten von ihrer Arbeit "unter Schlamm" Augen zu und durch: Industrietaucher in der Kläranlage
Eine besondere Mission haben jetzt Industrietaucher im Schönebecker Klärwerk absolviert. Die Männer aus Hamburg haben den Faulturm "gesäubert". Ein Einsatz, der zum letzten Mal vor sieben Jahren nötig war.
Schönebeck l Schwarz, matschig und beißend riechend - der Blick in den Faulturm des Schönebecker Klärwerkes ist recht unheimlich. Es muss wahrlich viel Überwindung kosten, sich in das rund einen Meter breite Loch hinunter zu lassen, um dann mit dem ganzen Körper in diese zähe, undefinierbare Masse zu steigen.
Für Siegfried Richter und sein Team ist das jedoch das tägliche Brot. Der Hamburger Unternehmer betreibt einen Tauchbetrieb, der sich auf den Einsatz in Kläranlagen spezialisiert hat. Jetzt waren fünf Industrietaucher in der Schönebecker Kläranlage im Einsatz. Ihre Mission: den 15 Meter tiefen Faulturm von Ablagerungen befreien.
Das letzte Mal, erklärt Abwassermeister Mike Dragon, habe es eine so groß angelegte Putzaktion im Faulturm vor sieben Jahren gegeben. "Nach einer gewissen Zeit sollte man die Spezialisten holen und genauer hinsehen, um sicher zu sein, dass im Faulturm alles in Ordnung ist", sagt der Mitarbeiter der Oewa Wasser und Abwasser GmbH in Schönebeck, die die Kläranlage betreibt. Der Inhalt des Faulturms umfasst 2140 Kubikmeter. Hier wird der Klärschlamm, der bei der Abwasserbehandlung anfällt, bei etwa 40 Grad umgewälzt. "Bei diesen Bedingungen fühlen sich die Bakterien richtig wohl", berichtet Mike Dragon, der die Spezialtaucher bei ihrer Arbeit begleitet.
"Unter Schlamm" arbeiten die Taucher "blind"
"Das ist körperliche Höchstbelastung", schätzt Knut Fuhrmann diesen Einsatz ein. Von Ekel keine Spur. "Wenn man seinem geliebten Beruf nachgehen will", nennt der gebürtige Aschersleber schlicht seine Motivation. "Ich war zwölf Jahre bei der Bundeswehr und habe in der Ost- und Nordsee getaucht", erzählt er. Etwas anderes als Tauchen, kann und will sich der 32-Jährige nicht vorstellen. Deshalb reist er seit 2010 für das Hamburger Unternehmen durch ganz Deutschland und durch die Welt.
Für den sportlichen Mann ist sein Job selbstverständlich. Während er gelassen auf dem Dach des Faulturmes steht, taucht sein Kollege und Chef Siegfried Richter gerade unter ihm. Das ist dann nicht tauchen unter Wasser, wohl eher "unter Schlamm", und das 15 Meter tief.
Rund zwei Stunden verbringen die Taucher im Faulturm. Währenddessen stehen die Teamkollegen zur Sicherheit bereit. "Der Taucher ist immer im ständigen Kontakt mit dem Signalmann", erklärt Knut Fuhrmann. Sicherheit steht in diesem Berufsfeld ganz oben. "Wir tragen zwar einen Anzug mit Helm, aber an den Händen haben wir beispielsweise nur zwei Gummi-Handschuhe", sagt Fuhrmann. Zwar können die Handschuhe recht schnell Risse im Einsatz bekommen, "aber mit dickeren können wir nicht arbeiten", macht er deutlich.
Denn für die Taucher sind die Finger die Augen. "Im Schlamm sehen wir überhaupt nichts, es ist alles schwarz", beschreibt er die Situation, mit der die Taucher im Faulturm konfrontiert werden. "Das ist nicht ohne", schätzt er ein. "Da herrscht absolute Dunkelheit", sagt Fuhrmann. Deshalb schließe er im Faulturm direkt die Augen, arbeitet also ohne Augen. "Wenn man versucht, etwas zu sehen, suchen die Augen nur die ganze Zeit nach etwas, das strengt unnötig an", versucht der ehemalige Berufssoldat die Situation im Schlamm zu verdeutlichen. Augen zu und durch, sozusagen.
Für diesen Job muss man seiner Meinung nach "belastbar" sein. "Persönliche Probleme müssen außen vor gelassen werden, sonst holen sie einen da unten ein", nennt er einen wesentlichen Fakt.
Schlamm wird gereinigt und landet in der Landwirtschaft
Zusätzlich erschwert wird die Arbeit "unter Schlamm" durch die 40 Grad Celsius, die im Faulturm vorherrschen. "Den Temperaturunterschied, draußen sind zehn Grad Celsius, muss man erst einmal verkraften", erklärt Knut Fuhrmann. Für langes Gewöhnen ist dabei kein Zeit, macht er schnell klar. "Sobald man drin ist, taucht man bis an den Boden und fängt direkt mit der Arbeit an", sagt er.
Pro Arbeitstag gehen die Taucher meist nur einmal "unter Schlamm". Die Erholungszeit nach einem solchen Tauchgang sei zu lang, so dass ich ein weitere nicht lohne, rechnet der 32-Jährige vor. Er und seine Kollegen Sascha Gothe, Christian Lieber, Lothar Richter sowie Siegfried Richter, wechseln sich ab mit dem Tauchen. Steigt einer wieder auf, spritzen die anderen ihn mit Wasser ab. Erst wenn er sauber ist, kann sich der Taucher aus seinem Anzug pellen.
Und was bringen die Männer bei solchen Tauchgängen zu Tage? "Da gibt es jede Menge Ablagerungen und Verzopfungen am Boden", sagt Knut Fuhrmann. So würden sich Haare beispielsweise bündeln und mit dem Schlamm verdichten. Aber auch Kleinteile lagern sich am Boden ab. "Einmal habe ich hunderte Ohrmarken für Kühe gefunden", nennt Fuhrmann ein Beispiel von einem anderem Auftrag. Das sei schon recht kurios gewesen, betont er. Im Regelfall finden die Taucher aber anorganische Sachen wie zum Beispiel Sand.
Mitunter seien die Ablagerungen recht fest. Deshalb sind die Experten auch mit Bohrer, Schneider und ähnlichem Gerät im Einsatz. "Wir machen alles im Faulturm", umschreibt Fuhrmann recht nüchtern das Arbeitsfeld.
Der Auftrag in Schönebeck ist ohne große Vorkommnisse verlaufen. Kein Ehering oder gar wertvoller Gegenstand hat sich in den Ablagerungen verheddert. "Es war übersichtlich", sagt der Taucher schlicht. Nett anzuschauen ist in jedem Fall das Auffangbecken neben dem Faulturm. Dort hin wurden die Ablagerungen per Schlauch abgeführt: eine einzige schwarze, klebrige Masse. "Der Schlamm kommt in einen Dekanter, eine Art Wäscheschleuder, wo ihm bei Höchstgeschwindigkeit Wasser entzogen wird", erklärt Mike Dragon vom Klärwerk den weiteren Verlauf. Am Ende wird der Klärschlamm in der Landwirtschaft genutzt.